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"Bedingt abwehrbereit" - Die Spiegel-Affäre und ihre Folgen

28. Mai 2009

Im Oktober 1962 durchsucht die Polizei die Redaktionsräume des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“. Herausgeber Rudolf Augstein wird verhaftet. Der Skandal hat Auswirkungen bis in die höchsten politischen Kreise.

Gegen die Verhaftung von Redakteuren des Spiegels protestieren vor der Frankfurter Hauptwache Studenten mit einem Sitzstreik.
Kein Maulkorb für die Presse: Studenten protestieren gegen die Verhaftung von Rudolf Augstein und Conrad AhlersBild: ullstein bild - dpa(85)

Ob die Herren vielleicht von St. Pauli kämen, will der Pförtner im Hamburger Pressehaus wissen. Sie marschieren nämlich einfach an ihm vorbei, so als sei das gar nichts. Doch die Herren gehören nicht zur Hamburger Unterwelt, wie sich bald herausstellt, sondern zum Bundeskriminalamt. Ihr Ziel sind die Redaktionsräume des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel". Unter dem Verdacht des publizistischen Landesverrats werden am 26. Oktober 1962 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion der Herausgeber Rudolf Augstein, die Chefredakteure und der Journalist Conrad Ahlers verhaftet. Das Bundeskriminalamt durchsucht die Redaktionsräume und hält sie wochenlang besetzt.

"Etwas außerhalb der Legalität"

Corpus Delicti: Der Spiegel mit dem Artikel "Bedingt abwehrbereit"Bild: DHM

Ausgelöst wird die Spiegel-Affäre durch einen Artikel über das Nato-Manöver "Fallex 62", der am 10. Oktober 1962 erscheint. Unter der Überschrift "Bedingt abwehrbereit" hat der Wehrexperte Conrad Ahlers dem atomaren Verteidigungskonzept der Regierung Adenauer erhebliche Mängel nachgewiesen. Ahlers kritisiert besonders den schlechten Zustand der konventionellen Streitkräfte. Verantwortlich macht der Journalist den damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß. Zudem enthält der Bericht detaillierte Angaben über die Truppenstärke der Nato, ihre Ausrüstung und Aufmarschbewegungen im Kriegsfall. Dass Ahlers Analyse überwiegend auf militärwissenschaftlichen Fachpublikationen beruht, stört den ersten Staatsanwalt bei der Bundesanwaltschaft Siegfried Buback nicht im Geringsten. Der hat auf Geheiß seiner Behörde und des Verteidigungsministeriums gegen den Spiegel ermittelt. In der Anklage ist von "landesverräterischer Betätigung und aktiver Bestechung" die Rede.

Freiheit für die Macher: Rudolf Augstein (links) und Conrad Ahlers werden aus der Haft entlassenBild: picture-alliance/ dpa

In einer Sondersitzung des Bundestags versucht Strauß damals seine maßgebliche Rolle bei der Polizeiaktion herunterzuspielen und streitet jegliche Beteiligung ab. Doch schon bald stellt sich heraus, dass Ahlers auf Intervention von Strauß verhaftet worden ist. Gesetzeswidrig und "etwas außerhalb der Legalität", wie Innenminister Hermann Höcherl vor dem Bundestag zugeben muss. Dieser beschönigende Halbsatz gehört bis heute zu den Klassikern der politischen Vernebelungsrhetorik. Die Spiegel-Affäre hat sich in eine Affäre der Regierung Adenauer verwandelt.

„Strauß rein, Augstein raus!“

Regierung unter Druck: Innenminister Hermann Höcherl (rechts) stellt sich den Fragen der OppositionBild: picture-alliance/ dpa

Verleger, Journalisten und Berufsverbände hat sich zuvor geschlossen hinter den Spiegel gestellt. Das Wort von der Gleichschaltung der deutschen Presse macht im In- und Ausland die Runde. An vielen Orten der Bundesrepublik kommt es zu Demonstrationen für Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit. „Strauß rein, Augstein raus!“, fordern die empörten Massen. Im Dezember 1962 muss Verteidigungsminister Strauß zurücktreten, knapp ein Jahr später folgt ihm das gesamte Kabinett Adenauer. 1965 lehnt der Bundesgerichtshof die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen Augstein und Ahlers mit der Begründung ab, der Inhalt des Spiegel-Artikels habe nicht der Geheimhaltung unterlegen. Im Falle von Strauß sieht die Staatsanwaltschaft sogar den Tatbestand der Amtsanmaßung und Freiheitsberaubung als erfüllt. Im Gegenzug wird eine Verfassungsbeschwerde des Spiegel abgewiesen.

Der Versuch scheiterte, den unbequemen Spiegel "plattzumachen", so der inzwischen verstorbene Herausgeber Rudolf Augstein. Zwei Journalistengenerationen haben seitdem von den politischen und juristischen Folgen der Spiegel-Affäre profitiert. Für das Hamburger Nachrichtenmagazin setzt sich mit dem 10. Oktober 1962 nicht nur eine wirtschaftlich ungewöhnliche Erfolgsstory fort. Seitdem gilt das Spiegel-Pressehaus an der Hamburger Brandstwiete als Hochburg des investigativen Journalismus in der Bundesrepublik.

Autor: Michael Marek

Redaktion: Ramon Garcia-Ziemsen

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