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Politik

Bedroht der Brexit Europas Sicherheit?

15. Februar 2019

Mit den Briten verlässt eine international bestens vernetzte Nation die EU - mit einer leistungsfähigen Armee und einem legendären Geheimdienst. Was bedeutet das für die EU in Zeiten des globalen Rüstungswettlaufs?

Deutschland Münchner Sicherheitskonferenz Wolfgang Ischinger
Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchner SicherheitskonferenzBild: picture-alliance/dpa/S. Hoppe

Ein Raunen geht durch den Saal, als Wolfgang Ischinger die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) eröffnet. Der sonst so förmlich korrekt gekleidete ehemalige Diplomat trägt einen knallblauen Kapuzenpulli, auf der Brust prangen die gelben Sterne der EU-Flagge. Ein Stern aber fehlt - eine Anspielung auf den Brexit. Es ist kein Zufall, dass die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und der britische Verteidigungsminister Gavin Williamson gemeinsam mit Ischinger den Auftakt in München bestreiten. Das Nachdenken über Europas Sicherheit nach dem Brexit hat begonnen.

Der fehlende Stern

Williamson lacht über den Pulli mit dem fehlenden Stern - und versichert, dass "unser Engagement für die europäische Sicherheit unerschütterlich bleibt. Wir haben schon lange vor der Gründung einer Europäischen Union oder der NATO für europäische Sicherheit gesorgt. Und wir werden es noch lange nach Verlassen der EU tun."

Seine deutsche Kollegin betont, dass Deutschland und Großbritannien sicherheitspolitisch "Schulter an Schulter" stehen: "Wir setzen in der NATO und in der Europäischen Union auf echte Partnerschaft", sagt Ursula von der Leyen. "Unsere Partnerschaft basiert nicht auf Dominanz. Sie schafft keine politische oder wirtschaftliche Abhängigkeit. Unsere Partnerschaft macht stark, denn sie stärkt die eigene Souveränität."

Ursula von der Leyen spricht auf der MSC 2019 mit der Deutschen WelleBild: DW

Doch es gilt als ausgemacht, dass der britische EU-Austritt sicherheitspolitisch keine Kleinigkeit ist. In London waren in den letzten Monaten immer wieder Forderungen aus den Reihen der Brexiteers zu hören, Großbritannien solle sein verteidigungspolitisches Gewicht als Trumpfkarte in den Austrittsverhandlungen ausspielen. Das reichte bis hin zur Drohung mit dem Entzug der Beistandszusagen. Diese Karte stach allerdings nicht, weil die Briten sich der NATO stark verpflichtet fühlen.

"Die NATO ist heute wichtiger als je zuvor, denn ein alter Gegner ist zurück", sagt Gavin Williamson auf der Bühne in München. "Russland bleibt weiterhin eine Bedrohung unserer Sicherheit." Seine Kollegin Ursula von der Leyen sieht das genauso: "Dass Gemeinsamkeit stärker macht, sieht man schließlich auch am INF-Vertrag." Es sei richtig, betont die deutsche Verteidigungsministerin, dass die NATO den russischen Bruch des Vertrages verurteilt habe und "dass wir klarstellen, dass wir auf die erhöhte Gefahr, die die russischen Waffen gerade für uns in Europa bedeuten, reagieren müssen."

Die Briten als Blockierer in der EU

Viele Beobachter gehen sogar davon aus, dass sich London in der Militärallianz nun stärker engagieren wird als früher – auch um sich gegen den Kurs der US-Regierung unter Donald Trump zu stemmen, der die NATO wenig wertschätzt und schon mehrfach Zweifel an Amerikas Bündnistreue aufkommen ließ.

Doch für die EU wird der Brexit zweifelsohne Folgen haben. "Wir verlieren eine bestimmte Denke, ein militärisch-pragmatisches Denken, das in dieser Form sonst in der EU nicht vorhanden ist", sagt Karl-Heinz Kamp, Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, der DW. Das wiege langfristig schwerer als alles andere.

Archivbild: Dieser britischer Soldat war im Mai 2018 im westfälischen Minden stationiert Bild: picture-alliance/dpa/R. Hirschberger

Eine Gegenposition vertritt die deutsche EU-Beamtin Sabine Weyand. Sie hat an führender Stelle im EU-Team das Austrittabkommen mitverhandelt - jenen Vertrag, der im britischen Parlament erst einmal durchgefallen ist. "In der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik sind die Folgen des Brexit begrenzt", glaubt Weyand. Schließlich habe sich Großbritannien von fast allen gemeinsamen EU-Politiken auf diesen Feldern immer schon ferngehalten. Diese Brüsseler Sicht teilen jene, die sich daran erinnern, wie die Briten im EU-Verbund über Jahre hinweg alle Bestrebungen der Europäer blockierten, in der Sicherheitspolitik voran zu kommen.

Geheimdienste machen einfach weiter

Wie es in Zukunft weitergeht, beschäftigt auch die Bundeskanzlerin. Vor wenigen Tagen eröffnete Angela Merkel die neue Berliner Zentrale des deutschen Auslandsgeheimdienstes BND. Für den  Bundesnachrichtendienst bleibe die Kooperation mit den Briten wichtig, und zwar "unabhängig von der aktuellen Debatte um den Brexit".

In München nun traten die Chefs der Auslandsnachrichtendienste aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien am Rande der MSC gemeinsam bei einem Hintergrundgespräch auf. Die drei Spionage-Chefs hatten eine Botschaft. Sie wurde überbracht vom Chef des britischen Dienstes MI-6, Alex Younger: "Wir werden nicht nur an der Zusammenarbeit festhalten, die wir bereits aufgebaut haben, sondern wir gehen weiter und stellen uns gemeinsam den neuen Bedrohungen."

Was für die nationale Ebene gilt und dort auch funktioniert, gilt für die Europäische Union aber ganz und gar nicht. Versuchen, in der Zukunft eine eigene leistungsfähige Gefahrenabwehr zu schaffen – etwa durch den Aufbau eines europäischen Geheimdienstes – versetzt der Brexit einen schweren Rückschlag. Doch im Gegenzug könnten auch die Briten durch ihren EU-Austritt an sicherheitspolitischer Reichweite verlieren, vor allem in der Rüstungszusammenarbeit.

Milliarden für die Rüstungsforschung

Die EU will eine Verteidigungsunion aufbauen und hat dazu unter anderem einen Fonds aufgelegt. In EU-Töpfen stehen in den nächsten Jahren rund 4,1 Milliarden Euro Forschungsgelder für die Verteidigungsindustrie bereit. Nun schreiben die Regeln dieses Verteidigungsfonds vor, dass sich darum Firmen und Forschungsverbünde bewerben können, die in mindestens drei EU-Mitgliedsstaaten oder in assoziierten Ländern beheimatet sind. Für Firmen aus Drittländern ist der Zugang schwierig.

Der britische Verteidigungsminister Gavin WilliamsonBild: picture-alliance/dpa/S. Hoppe

Politisch ist das Vereinigte Königreich traditionell der engste europäische Verbündete der Vereinigten Staaten. Selbst in Zeiten schwerer transatlantischer Spannungen waren die Drähte zwischen Washington und London immer intakt – zum Nutzen aller in Europa. Doch was wird jetzt, da sich das Gefühl zunehmender transatlantischer Entfremdung in immer mehr Hauptstädten Europas breit macht? Der britische Verteidigungsminister Williamson lässt in München durchblicken, was für ein diplomatischer Spagat auf sein Land zukommen könnte.

Küsse zum Abschied 

Gegenüber Russland und in der atomaren Rüstungskontrolle gehe es nun um "Einigkeit", sagt er. Doch gerade in der Frage, wie der Westen jetzt reagieren soll, nachdem Russland den INF-Vertrag über das Verbot landgestützter Mittelstreckenraketen gebrochen hat, sind Washington und die Europäer noch weit von einer gemeinsamen Position entfernt.

Nach der Diskussion gibt es zum Abschied Wangenküsse von Gavin Williamson für Ursula von der Leyen. Die Botschaft der beiden nach einer Dreiviertelstunde auf dem MSC-Podium ist klar: Deutschland und Großbritannien versuchen sicherheitspolitisch aus der Herausforderung namens Brexit das Beste zu machen.

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