Bedroht der Tourismus Kuba? Ja, sagt Pedro Juan Gutiérrez
14. Mai 2018Schneller Sex in einsturzgefährdeten Altbauten, ein täglicher Kampf ums Überleben und abends ein Glas Rum auf der Dachterrasse mit Blick auf den Sonnenuntergang über der Uferpromenade Malecón: Mit seinem Buch "Schmutzige Havanna Trilogie" hat der kubanische Schriftsteller Pedro Juan Gutiérrez seiner Heimatstadt vor 20 Jahren ein Denkmal gesetzt. Er beschreibt eine Stadt am Abgrund.
In der sogenannten Sonderperiode Mitte der 1990er Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion fehlt es auf der sozialistischen Karibikinsel an allem. Es gibt weder Seife noch Wasser, weder Essen noch Arbeit - und Geld schon einmal gar nicht. Ständig fällt der Strom aus und Tausende Kubaner fliehen auf kaum seetüchtigen Flößen in die USA. "Das waren schreckliche Jahre. Du hast dieses politische Projekt aktiv verteidigt, und plötzlich fällt alles in sich zusammen", sagt Gutiérrez in einem Interview.
"Es ist ein schmerzvolles Buch. Ich habe es in einer persönlich schwierigen Phase meines Lebens geschrieben. Und auch das Land war in einer wirtschaftlichen, sozialen, moralischen und ethischen Krise."
Sein schonungsloser Blick auf das raue Leben im Tropensozialismus kam bei den Offiziellen in Regierung und Parteizentrale nicht gut an. Während die "Schmutzige Havanna Trilogie" in 23 Sprachen übersetzt und in rund 80 Ländern veröffentlicht wurde, darf Gutiérrez berühmtestes Buch in seiner Heimat bis heute nicht erscheinen.
Nun verändert der Tourismus die Insel. Im vergangenen Jahr besuchten rund 4,7 Millionen Urlauber Kuba und spülten viel Geld in die leeren Kassen. Jetzt soll die 5-Millionen-Grenze geknackt werden. In Havanna eröffnen neue Hotels, Bars und Restaurants - renovierte Wohnungen werden über Airbnb an Touristen vermietet. "Die Stadt könnte zerstört und in einem Themenpark verwandelt werden", fürchtet Autor Gutiérrez. "Ich bin pessimistisch - wir werden eine Gentrifizierung mit sehr schnellen Veränderungen erleben. Schon jetzt werden ganze Gebäude aufgekauft und alle Wohnungen in Hostels umgewandelt."
Tatsächlich nehmen die Folgen des Touristenbooms in Kuba zum Teil bizarre Formen an. Während der staatliche Durchschnittslohn noch immer bei umgerechnet knapp 30 Euro pro Monat liegt, kann ein Abendessen in einem guten Paladar - wie die neuen Privatrestaurants genannt werden - leicht das Doppelte kosten. Im alten Stadtzentrum Havannas, das Gutiérrez in seiner Trilogie noch als das heruntergekommene Jagdrevier der Säufer, Huren und Kleinkriminellen beschreibt, zieht der Luxus ein.
Gegenüber vom Kapitol hat Kempinski das Gran Hotel Manzana eröffnet. Eine Nacht in dem Fünf-Sterne-Hotel kostet je nach Zimmertyp zwischen 400 und 2500 US-Dollar. In der Einkaufspassage im Erdgeschoss haben sich Luxusmarken wie Armani, Montblanc und Versace eingemietet. Touristen können nun auf der Dachterrasse des Hotels einen Sundowner für zehn Dollar schlürfen oder im Bulgari-Shop eine Uhr für mehr als 10 000 US-Dollar kaufen. Das ursprüngliche Kuba, das so viele auf der Karibikinsel suchen, dürften sie in dem Luxus- Tempel aber kaum finden.
Für die Kubaner, die jeden Tag für Lebensmittel anstehen oder wochenlang nach einem Sack Zement suchen, um ihre baufälligen Häuser auszubessern, muss die Protzerei wie Hohn wirken. Bereits jetzt öffnet sich die soziale Schere immer weiter zwischen jenen, die Zugang zu Devisen aus dem Geschäft mit den Touristen haben, und jenen, die mit dem staatlichen Einheitslohn auskommen müssen. Nach Einschätzung von Experten könnte das in der auf Gleichheit geeichten kubanischen Gesellschaft zu erheblichen Konflikten führen.
Nach der Veröffentlichung seiner umstrittenen Havanna-Trilogie verlor Pedro Juan Gutiérrez, der "karibische Bukowski", seinen Job bei einem staatlichen Nachrichtenmagazin. Groll hegt er aber nicht. "Ich bin dankbar für meine Gegner und die Hindernisse - wenn du damit konfrontiert wirst, weißt du wenigstens, dass du nicht mittelmäßig bist."
20 Jahre nach dem Erscheinen seines bekanntesten Buchs verhandelt der 68-Jährige nun über die Veröffentlichung seiner Trilogie in Kuba. "Es gibt jetzt eine etwas offenere Mentalität", sagt Gutiérrez. In zwei oder drei Jahren soll es so weit sein.
Guillermo Nova und Denis Düttmann (dpa)