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Politik

Israel: Beduinen fürchten stündlich ihre Vertreibung

1. Oktober 2018

Seit neun Jahren kämpfen die Bewohner von Khan al-Ahmar im Westjordanland gegen den geplanten Abriss ihres Dorfes. Die Frist, ihre Häuser eigenhändig zu zerstören, ließen sie verstreichen. Kommen nun die Abrissbagger?

Beduinen-Dorf Khan al Ahmar im Westjordanland
Bild: AFP/Getty Images/A. Gharabli

Unmittelbar neben einer Schnellstraße die von Jerusalem in Richtung Totes Meer führt, liegt das palästinensische Beduinendorf Khan al-Ahmar. Fast unsichtbar fügen sich die Wellblechhütten mit den Schaf- und Ziegenställen in die hügelige Wüstenlandschaft des besetzten Westjordanlands.

Doch schon seit Wochen sind das kleine Dorf und seine Bewohner in den Schlagzeilen: Der Ort soll komplett abgerissen werden. Umm Mohammed sitzt auf einer Matte vor ihrem Haus aus Wellblech und Holzbrettern. Ein großer Baum spendet etwas Schatten an diesem heißen Spätsommernachmittag. "Es ist der Horror. Was soll ich noch sagen. Es ist nicht einfach wenn man weiß, dass jeden Moment die Soldaten kommen können und alles hier abreißen", sagt sie im Gespräch mit der DW.

Es sei die Ungewissheit, die unerträglich ist. "Wir sind wirklich mit den Nerven am Ende und ich frage mich die ganze Zeit: Was soll ich machen, wie soll ich unser Zuhause wieder aufbauen?" Jeden Tag könnten die Bulldozer nun anrücken. Die Wege dafür wurden schon vor ein paar Monaten geebnet.

Karges Land, ärmlichen Hütten - seit neun Jahren wehren sich die Einwohner von Khan al-Ahmar gegen den Abriss ihres DorfesBild: DW/T. Krämer

Bereits im Mai hatte das Oberste Gericht in Israel nach einem jahrelangen Rechtsstreit zwischen der israelischen Regierung und den Bewohnern entschieden, das das Dorf abgerissen werden darf. Ein festes Datum wurde nicht genannt. Die Bewohner legten erneut Einspruch ein, die Entscheidung wurde zunächst ausgesetzt.

Siedlerorganisationen wiederum forderten mit Petitionen die baldige Umsetzung der Entscheidung. Im September nun gab das Oberste Gericht endgültig grünes Licht für den Abriss. Kurz darauf hatten Soldaten ein Schreiben der israelischen Militärverwaltung COGAT an die Bewohner verteilt, in dem sie aufgefordert werden, ihre Häuser bis zum 1 Oktober selbst abzureißen. Die Entscheidung des Obersten Gerichts basiere darauf, "dass das Grundstück ohne die erforderlichen Genehmigungen bebaut wurde", so die Stellungnahme. Israelische Behörden hatten zuvor auch auf die "unsichere Lage" nahe der Schnellstraße hingewiesen.

Internationale Kritik

Nun also könnte es ernst werden für die rund 180 Einwohner des Dorfes nahe Jerusalem. Vereinte Nationen, Europäische Union und mehrere europäische Länder - darunter auch Deutschland - haben die Pläne der israelischen Regierung wiederholt kritisiert. Doch bislang scheint diese Kritik wenig zu bewirken.

Warten auf die Abrissbagger - Umm Mohammed weiß nicht, wo sie ein neues Zuhause aufbauen sollBild: DW/T. Krämer

Die neue Frist lief zudem kurz vor dem Besuch von Kanzlerin Angela Merkel und den deutsch-israelischen Regierungskonsultationen in Israel aus. Die Vereinten Nationen weisen darauf hin, dass der Abriss in besetztem Gebiet und eine mögliche Zwangsumsiedlung gegen internationales humanitäres Recht verstießen.

Im israelischen Außenministerium sieht man dies anders. "Israel weist die Behauptung entschieden zurück, dass es sich hier um eine Zwangsumsiedlung von Leuten auf besetztem Gebiet handelt", sagte Emmanuel Nahshon, Sprecher des Ministeriums im Juli im Gespräch mit der DW. Die Tatsache, dass es sich um umstrittenes Gebiet handele, bedeute nicht, dass "Menschen sich dort in illegaler Weise niederlassen dürfen".

Palästinenser wiederum verweisen darauf, dass es für sie fast unmöglich sei, dort überhaupt eine Baugenehmigung zu bekommen. Das Beduinendorf liegt im sogenannten C-Gebiet, das rund 60 Prozent des besetzten Westjordanlands ausmacht und unter israelischer Militärverwaltung steht.

Auch der Dorfschule von Khan al-Ahmar droht der AbrissBild: DW/T. Krämer

Es liegt zudem an einer strategisch wichtigen Stelle, nahe dem sogenannten E1-Gebiet, das das Westjordanland in Nord und Süd teilt. Auch liegt es zwischen zwei israelischen Siedlungen: Maale Adumim und Kfar Adumim. Kritiker der Abrisspläne sagen, dass sich die Siedlungen weiter um Jerusalem ausdehnen könnten und damit das Westjordanland quasi in zwei Hälften teilen. "Falls hier (israelische) Siedlungen entstehen sollten, würden die Aussichten auf ein zusammenhängendes palästinensisches Staatsgebiet - und damit die Umsetzbarkeit einer Zwei-Staaten-Lösung - deutlich verringert", erklärte auch die Bundesregierung in einer Stellungnahme.

Auch Schule vom Abriss bedroht

In der kleinen Dorfschule findet trotz der ungewissen Situation jeden Tag Unterricht statt. Die Kinder seien sowieso schon nervös, sagen die Lehrer. Man versuche deshalb, so viel Routine wie möglich beizubehalten. Die Schule, in die auch Kinder aus den umliegenden Beduinendörfern gehen, wurde mit Hilfe einer italienischen Organisation und EU-Geldern aufgebaut.

Hofft noch, dass die internationalen Proteste erfolgreich sein werden: Die 15-jährige Nisreen Abu DahoukBild: DW/T. Krämer

Nachmittags wird der kleine Fußballplatz nebenan zum Treffpunkt für Aktivisten, Diplomaten und Politiker, die ihre Solidarität mit den Bewohnern bekunden. Die 15-jährige Nisreen Abu Dahouk ist dort in den vergangenen Jahren zur Schule gegangen und beobachtet die vielen Besucher von zuhause aus. Sie schwankt zwischen der Hoffnung, dass der Abriss noch abgewendet werden kann.

Gleichzeitig hat sie Angst, dass plötzlich die Bagger vor der Tür stehen. "Wir leben hier nun schon so lange. Seitdem wir die Schule gebaut haben, können wir lernen und uns weiterentwickeln. Und jetzt wollen sie das alles abreißen, die Schule und unsere Häuser. Warum?”, fragt die 15-Jährige. In der Zwischenzeit versucht auch sie, sich abzulenken und versorgt, wie jeden Tag, die Schafe, Ziegen und Esel der Familie. "Sie sagen ja schon seit langem, dass unser Dorf abgerissen werden soll. Und jetzt heißt es, die Entscheidung sei endgültig. Wir können nur abwarten."

Die Beduinen hätten ihr Dorf gern legalisiert, statt es abzureißen. Der Jahalin-Stamm kommt eigentlich aus der Negev-Wüste und wurde nach der Staatsgründung Israels 1948 in die Gegend um Jerusalem vertrieben.

Das Beduinendorf bekommt viel internationale Unterstützung aber auch palästinensische Demonstranten sind vor OrtBild: picture-alliance/Zumapress/W. Hashlamoun

Die israelische Regierung hatte den Familien vorgeschlagen, sie entweder nahe einer Kläranlage bei Jericho oder an einen nur wenige Kilometer weiter entfernten Ort bei der palästinensischen Kleinstadt Abu Dis umzusiedeln. Dieser Ort läge aber auch nahe einer großen Mülldeponie.

"Wo sollen wir denn hin? Wir sind ja bereits einmal geflüchtet, aus Be'er Sheva. Es ist die (israelische) Besatzung, die uns erneut zwangsumsiedeln will", sagt Abu Mohammed, einer der älteren Einwohner aus dem Dorf. "Wir werden hier nicht einfach so weggehen."

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