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Begegnungen: Ingo Schulze im Jemen

Gabriela Schaaf7. September 2006

Schriftsteller unterwegs: Ingo Schulze im Jemen. Von diesem arabischen Land am Golf von Aden wusste er bis zum Antritt der Reise nichts - "weniger als nichts" wie er selbst sagt.

Bild: PA / dpa

"Wir flogen mit der jemenitischen Fluggesellschaft und ich fragte mich die ganze Zeit: was ist das da vorne auf der Leinwand? Was ist das für ein komisches Zeichen? Bis mir dann jemand sagte, das ist die Richtung, in der Mekka liegt. Und ich hab das erst für einen Witz gehalten, aber als man dann sah, wo wir lang flogen und wie sich das Zeichen änderte, war das dann klar; also das war schon mal etwas sehr Ungewöhnliches."

Die Welt hatte jetzt ein Zentrum - Mekka - und Europa war plötzlich weit weg. Mit einer Delegation deutscher Schriftsteller, deren prominentestes Mitglied Nobelpreisträger Günter Grass war, trat Ingo Schulze 2004 seine Reise in den Jemen an. Eine Reise ins Ungewisse für den ansonsten auslandserfahrenen Ostdeutschen.

Krummdolche und Klang-Cluster

Schulze erinnert sich noch genau, wie schlecht vorbereitet er sich fühlte: War er überhaupt der Richtige für die Reise? Diese Frage habe ihn damals umgetrieben. Und das nimmt man ihm ab, so bescheiden und uneitel, wie er im Gespräch wirkt. Aber schließlich überwogen die Argumente für die Reise, bot sie doch die Chance für den Schriftsteller, sich dem Fremden und Befremdlichen auszusetzen, es zu beobachten und zu beschreiben. Und das begann dann schon auf dem Flughafen:

"Wir wurden natürlich folkloristisch empfangen, da sprangen dann ein paar Männer mit ihren Krummdolchen, Krummsäbeln im Kreis herum, was irgendwie so keiner richtig ernst nehmen wollte, weil in der Mitte dann auch noch Koffer standen, das wirkte so, als hätten sie die erbeutet."

Beim ersten abendlichen Gang durch die Hauptstadt Sana'a beschleicht ihn ein unbehagliches Gefühl. Die vielen verhüllten Gestalten in der Dunkelheit. Konnte man hier auf offener Straße entführt werden? Doch schon kurz darauf weicht die Furcht dem Staunen, der Offenheit gegenüber den neuen Eindrücken. Alles war anders als in Europa, sagt Ingo Schulze, selbst die Dunkelheit wirkte sanfter, wärmer. Durchbrochen nur von wenigen Lichtern hinter den Fenstern der traditionellen Lehm-Häuser. An deutsche Lebkuchen haben die ihn erinnert. Aber wirkliche Vergleichsmöglichkeiten gab es nicht:

"Es entzieht sich ja vielfacher auch zeitlicher Einordnung. Ich hätte jetzt nicht sagen können, wie alt diese Häuser sind. Sind die 50 Jahre, 100 Jahre, 500 Jahre alt; das kann man ja in Europa so halbwegs: Rundbogen, Spitzbogen, Renaissance, Barock und so. Dann auch diese Muezzin, die ich in erster Linien nicht als religiös empfunden hab. Ich weiß noch dieser erste Ruf am Morgen, wo ich gedacht habe, die ganze Stadt ist in Aufruhr, wo sich dann auch noch mal eine Art Angst meldete und wie ich das dann aber als eine Art musikalische Klang-Cluster erlebte, was auch etwas sehr schönes hatte".

Vogelschwarm

Schibam wurde 1982 von der Unesco zum Welterbe erklärtBild: dpa Bilderdienste

Die Reise führt Schulze und die Schriftstellergruppe vor allem durch den Nordjemen: nach Schibam, dem 'Manhattan der Wüste', wie es im Reiseführer heißt, nach Seiun und nach Tarim in eine Lehmbauschule. Günter Grass schlägt vor, einen Lehrstuhl für Lehmbau einzurichten und schafft es noch am selben Tag beim amerikanischen Botschafter eine Spende dafür aufzutreiben. Überhaupt habe der Nobelpreisträger im Jemen einiges bewirkt, auch für die jemenitischen Schriftsteller, meint Schulze.

Zum Programm gehören Besichtigungen, Empfänge und folkloristische Tanzdarbietungen, bei denen auch die Schriftsteller das Tanzbein schwingen müssen. Und mittendrin dann die Schriftstellerkonferenz in Sana'a. Ingo Schulze soll die deutsche Begrüßungsrede halten. Er bemüht sich, persönliche Erfahrungen einfließen zu lassen, spricht auch von seiner Angst, sich im Gastland zu blamieren. Zu seinem großen Erstaunen wird die Rede von den arabischen Teilnehmern als emotionslos empfunden. Ganz im Gegensatz zu der des Kulturministers, der die Gäste aus dem fernen Europa begrüßt:

"Wir wurden verglichen mit einem Schwarm Vögel oder Tauben, und leuchtend und strahlend, die wir uns da im Jemen niedergelassen haben. Das ist natürlich diese unglaubliche Überhöhung, die aber offenbar auch in der arabischen Sprache anders funktioniert, auch offenbar diese ganzen Redundanzen das funktioniert anders und wo wir dann schon mal streichen würden oder sagen, 'komm mal zur Sache', das wird dort gerade auch als angenehm empfunden."

Akzeptieren und kritisieren

Das Treffen selbst, der Austausch auch mit den irakischen Exil- Kollegen ist für die arabischen Autoren ungeheuer wichtig. Und das, was nur angedeutet wird, was zwischen den Zeilen gesagt wird, so bemerkt Ingo Schulze, enthält oft die eigentliche Botschaft. Das wiederum erinnert ihn an seine DDR- Erfahrung. Als gewisse Worte wie Bomben einschlugen. Der Unterschied ist nur, dass es in einem islamischen Land andere Tabuthemen gibt:

"Also da war so ein Thema, wo man erst das große Gähnen bekommt: "Literatur und Raum". Und dann sagt plötzlich eine Frau, eine Jemenitin, von der ich nur die Augen sah, weil sie ganz verschleiert war, dass auch das Haus, der häusliche Raum, ein Ort der Gewalt sein kann. Und plötzlich fiel das Wort 'Vergewaltigung' und es entstand dann so eine gewisse Spannung und das war dann schon ein Tabuthema und eine Ungeheuerlichkeit, die da im Raum stand."

Arabische Autoren und Autorinnen, so lernt Schulze, haben immer zwei Leser vor sich: den Mann in der Moschee und den Mann von der Zensur. Umso wichtiger sei es gewesen, dass sie selbst sich getraut hätten, offene Worte zu finden. Dass sie die arabischen Kollegen damit in ihren Bemühungen um mehr Liberalität unterstützen konnten. Auch durch Gesten, indem zum Beispiel die Frauen der Delegation keinen Schleier angelegt haben. Eine fremde Kultur zu akzeptieren und sie in Teilen auch zu kritisieren, das sei eine durchaus zwiespältige Situation gewesen:

"Natürlich kann man sagen 'ich fahr da nicht hin' in ein Land, wo Homosexualität quasi mit dem Tod bestraft wird, andererseits geht man dann durch die Straßen und man traut seinen Augen nicht, weil ständig Männer Hand in Hand gehen ohne dass jemand den Verdacht der Homosexualität äußern würde. Oder wie schnell ein Frau ins Gefängnis geraten kann für nichts, für absolut nichts, nur weil sie versucht einen Rest an Eigenleben zu behaupten gegenüber dem Ehemann oder sich trennen will oder gar einen anderen (Mann) liebt. Das sind schon gravierende Dinge, die wir versucht haben zu formulieren."

Neuer Blick auf den eigenen Wohlstand

Einen Koffer voll Souvenirs und Geschenke hat Ingo Schulze mit nach Berlin zurückgebracht - und "Hausaufgaben", die er mittlerweile schon gemacht hat: Nämlich sich intensiv mit arabischer Gegenwartsliteratur zu beschäftigen. Die Reise war der Beginn einer großen Faszination. Im nächsten Jahr, so ist es fest geplant, will er noch einmal in den Jemen - privat, mit der ganzen Familie. In ein Land voller Widersprüche. Für ihn als Deutschen jedenfalls, der auf der einen Seite die Schattenseiten des Islam sieht und gleichzeitig weiß, dass der Jemen die einzige Republik auf der arabischen Halbinsel ist, das einzige Land mit Oppositionsparteien. Und das zu bereisen Spuren hinterlassen hat:

"Es verändert natürlich vor allem den Blick auf das Eigene. Dort sehen sie die Demokratie und den Westen noch in dem Glanz, den wir gerade dabei sind kaputtzumachen. Also man wird doch zu einem Verteidiger - nicht nur von Liberalität - sondern auch von sozialen Rechten und Möglichkeiten und einer gewissen Gleichheit. Und natürlich schaut man dann noch mal anders auf den eigenen Wohlstand."

Ein konkretes Ergebnis hat die Reise übrigens auch gehabt. Mit dem ägyptischen Kollegen Gamal Al Ghitani, den Schulze von der Konferenz in Sana'a kennt, hat er dieses Jahr schon mehrfach zusammen gelesen. Und offenbar haben die beiden Schriftsteller noch etwas gemeinsam: Ghitanis "Buch der Schicksale" wird in der deutschen Ausgabe beworben als die "Simple Stories" Ägyptens.

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