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Berühmter Berlin-Besucher

Jane Paulick / db13. September 2014

Vor 50 Jahren predigte Martin Luther King in zwei Kirchen in Ostberlin - mit einer mindestens genauso kraftvollen Botschaft an seine begeisterten Zuhörer wie John F. Kennedy ein Jahr zuvor im Westteil der Stadt.

Martin Luther King 1966 Foto: AFP/GettyImages
Bild: AFP/GettyImages

An einem sonnigen Nachmittag im September 2014 kehrt Irmtraut Streit an den Schauplatz eines der wichtigsten Augenblicke ihres Lebens zurück. "Wir waren uns nicht sicher, ob er wirklich kommen würde", sagt sie, und lässt ihren Blick über die Marienkirche in Berlin-Mitte schweifen. Es sei nirgends angekündigt worden, aber alle seien trotzdem erschienen.

Die Pfarrerstochter war damals 21 und frisch verheiratet. In der DDR habe man sich sowieso eine "Mal sehen, was kommt"-Haltung angewöhnt. Man habe sich auch vor Geschäften in die Schlange gestellt, ohne zu wissen, was es zu kaufen gab, nur weil es hieß, es gäbe dort etwas Besonderes, erinnert sie sich.

Für die damals 21-jährige Irmtraut Streit ist Martin Luther King ein Symbol der friedlichen RevolutionBild: Privat

An jenem Spätsommertag 1964 ging es allerdings um niemand Geringeren als Martin Luther King, den weltberühmten Prediger und US-Bürgerrechtler. Das Gerücht hatte sich verbreitet, er würde an jenem Abend am Übergang Checkpoint Charlie die Grenze passieren, um in Ostberlin zu predigen. Dass er in Westberlin zu Besuch war, hatte man schon über die in der DDR verbotenen Westsender RIAS und SFB gehört.

Morgens hatte King auf Einladung des regierenden Bürgermeisters Willy Brandt in Westberlin vor 20.000 begeisterten Zuhörern gesprochen. In Kreuzberg betrachtete er Einschusslöcher in einer Hauswand, wo nur Stunden zuvor DDR-Grenzposten einen jungen Mann namens Michael Meyer während seines Fluchtversuchs angeschossen und verwundet hatten. Doch ein Besuch Kings in Ostberlin war nicht vorgesehen.

Gerne auch American Express

Obwohl niemand ein Telefon hatte, verbreitete sich das Gerücht "in Windeseile", erinnert sich Irmtraut Streit. Zur Abenddämmerung waren tausende Menschen vor der Kirche an der Karl-Liebknecht-Straße versammelt - auch der junge Joachim Gauck, heute Bundespräsident.

Gerade für die jüngere Generation war Martin Luther King ein Held. Er und seine Freunde hätten gehört, dass King in Ostberlin sprechen werde: "Wir wussten, dass wir dabei sein mussten", erinnert sich Hans-Joachim Kolpin.

"Seine 'I have a dream'-Rede hatten wir im Jahr davor im Radio gehört, und überhaupt liebten wir alles, was mit Amerika zu tun hatte: Kaugummi, Elvis Presley und die TV-Serie Bonanza", meint Kolpin, damals ein 15-jähriger Schüler. Sie hätten gar nicht glauben können, dass ein so prominenter Mann zu ihnen sprechen wollte. Durch die Mauer sei man damals gefangen gewesen: "Wir fühlten uns von der Welt vergessen, unbedeutend."

Joachim Kolpin wird den Klang der Stimme von Martin Luther King nie vergessenBild: Privat

Der Geistliche aus Atlanta war eine Schlüsselfigur seiner Zeit: Nur wenige Monate vor seinem Besuch in Berlin hatte King entscheidend dazu beigetragen, dass der US-Kongress das amerikanische Bürgerrechtsgesetz Civil Rights Act verabschiedete.

Es war die Zeit des Kalten Krieges. Das US-Außenministerium, wenig begeistert vom Plan Kings, den amerikanischen Sektor an just dem Tag des Vorfalls mit Michael Meyer zu verlassen, konfiszierte den Pass des Bürgerrechtlers. Doch das hielt King nicht davon ab, nach Ostberlin zu gehen. Um sich zu identifizieren, zeigte er den DDR-Grenzern kurzerhand seine American-Express-Kreditkarte.

Der Besuch Martin Luther Kings, der durch seine persönliche Verbindung mit Heinrich Grüber, dem Propst der Marienkirche, zustande kam, war nicht von der DDR-Führung genehmigt worden. Aber sie tat auch nichts, um ihn zu verhindern.

"King war gegen den Vietnamkrieg, er war ein Verfechter von Gewerkschaften und Arbeiterrechten", erklärt Streit. "Die Amerikaner wollten nicht, dass er mit den 'Kommunisten' spricht, aber die DDR-Führung hatte nichts dagegen."

King habe sowohl an die kommunistische Führung als auch an die Kritiker des Systems appelliert. Er habe zwar für revolutionären Wandel gestanden, "aber er glaubte an gewaltlosen Widerstand", sinniert Streit. Er habe die Menschen elektrisiert, und das "machte ihn für uns zum Vorbild."

Gestärktes Selbstvertrauen

Auf die Massen, die an dem Abend auftauchten, war die Marienkirche allerdings nicht vorbereitet. Kurzfristig wurde ein zusätzlicher Auftritt in der benachbarten Sophienkirche organisiert - und auch dort gab es bald nur noch Stehplätze.

Eine Gedenktafel erinnert an den hohen Besuch vor 50 JahrenBild: picture alliance/Schroewig/Bernd Oertwig

King sprach von den "Symbolen der Trennung der Menschen auf Erden" und erklärte, "auf beiden Seiten der Mauer leben Gottes Kinder - eine Tatsache, die keine von Menschen errichtete Mauer auslöschen kann", aber vor allem konzentrierte er sich auf die soziale Revolution in den USA. Die wenigsten werden die Predigt allerdings verstanden haben, meint Kolpin.

Von seinem Sitzplatz aus habe er King auf der Kanzel gut sehen können: "Seine Leidenschaftlichkeit war nicht zu überhören." Den Klang von Martin Luther Kings Stimme hat Kolpin noch heute im Ohr. Seine Worte seien bestimmt mitreißend gewesen. "Aber wir sprachen alle kein Englisch und sein Dolmetscher redete so eintönig, dass man nach einer Weile aufhörte, zuzuhören", erinnert sich Kolpin.

Dennoch war die Predigt ein voller Erfolg. Als King die Kirche verließ, drängten sich die Menschen um ihn, um seine Hand zu schütteln oder ein Autogramm zu ergattern. Hans Joachim Kolpin hatte Glück: Die signierte Serviette hütet er heute noch wie einen Schatz.

Kings Besuch sei für ihn ein Zeichen gewesen, dass die Kommunikation mit dem Westen nicht völlig abgebrochen war. "Es war eine erbauliche Erfahrung", so Kolpin. An dem Abend habe einem die Welt Aufmerksamkeit gezollt: "Er gab uns ein Gefühl von Zuversicht."

Nur ein Jahr zuvor hatte US-Präsident John F. Kennedy in einer legendären Rede -"Ich bin ein Berliner" - den Menschen in Westberlin versichert, Amerika werde an ihrer Seite stehen. Die Stippvisite von Martin Luther King 1964 in Ostberlin, von den Geschichtsbüchern oft übergangen, gab nun der anderen Hälfte der geteilten Stadt Hoffnung - jenen Menschen, die sie vielleicht noch mehr brauchten.

Im Rückblick sieht Irmtraut Streit eine Verbindung zwischen der friedlichen Revolution in der DDR im Jahr 1989 und dem warmen Septemberabend vor 50 Jahren. "Ich bin immer noch erstaunt, dass nicht ein Tropfen Blut geflossen ist", meint sie. Das Ende der DDR "war eine Revolution ganz im Geiste Martin Luther Kings".

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