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Politik

Behörden tun nichts für Flüchtlinge

18. Juni 2019

Im bosnischen Bihac leben Flüchtlinge inzwischen auf einer Mülldeponie. Doch auch die Lokalbevölkerung ist überfordert. Und die Behörden versagen, sagt Journalist Dirk Planert vor Ort im DW-Interview.

	
Bosnien und Herzegowina | Flüchtlinge auf der Balkanroute
Bild: DW/A. Kamber

DW: Warum ist die lokale Bevölkerung in Bihać - viele von denen waren selbst Flüchtlinge - so aufgebracht?

Dirk Planert: Weil es so nicht mehr geht. Ein normales Leben ist für die Bevölkerung in Bihac nicht mehr möglich. Es sind zu viele Migranten. Bihac hat etwa 40.000 bis 45.000 Einwohner. Wie viele Flüchtlinge in der Stadt sind, ist unklar. 4.000 bis 6.000 etwa. In den Einrichtungen der IOM (Internationale Organisation für Migranten) ist nicht genug Platz. Viele campieren deshalb in leerstehenden Häusern, oder auf einer Wiese neben dem Camp Bira. Dort werden sie von der IOM nicht versorgt, weil sie nicht registriert sind.

In einer solchen Situation reicht ein kleiner Anteil Krimineller, um Angst in der Bevölkerung auszulösen. Väter lassen ihre jungen Töchter nicht mehr allein in die Stadt gehen. Es gibt zu viele Einbrüche in Häuser, Diebstähle, gewalttätige Übergriffe, Messerstechereien unter Migranten. Die Bürger können sich nicht mehr sicher fühlen. Überall sind Gruppen von Migranten unterwegs. Vor kurzem kam es zwischen Afghanen und Irakern zu Schlägereien mitten in der City. Unter diesen Umständen ist es so, dass dann fast alle Migranten als Risiko betrachtet werden. Die Bürger fühlen sich von allen im Stich gelassen. Von der EU, der IOM und ihrer Regierung in Sarajevo. Und das zu Recht. Bürgermeister Suhret Fazlic sagte mir, dass in Sarajevo EU-Gelder für die Flüchtlinge ankommen. Bihac habe davon aber noch keinen Cent gesehen. 

Hochgradig explosiv: Flüchtlingshelfer kaufen für Migranten ein Bild: Dirk Planert

Migranten erheben schwere Vorwürfe an die Adresse der IOM, die sich um Unterkünfte kümmert und sie mit Essen versorgt. Warum?

Die IOM macht ihre Arbeit nicht gut. Die Versorgung mit Lebensmitteln innerhalb der IOM-Einrichtungen funktioniert. Das Essen sei aber schlecht und zu wenig, sagen die Flüchtlinge. Alle, die nicht in den IOM Einrichtungen sind, weil die Kapazitäten nicht ausreichen, bekommen von der IOM nichts. Das lokale rote Kreuz verteilt Lunchpakete, aber das reicht nicht.

Im Camp Bira zum Beispiel gibt es keine Möglichkeiten sich zu beschäftigen. Sport, TV, Sprachunterricht - nichts. In der ehemaligen Fabrikhalle stehen Container. Die Luft steht buchstäblich. Die Temperaturen liegen bei über 30 Grad. Man muss sich in die Situation der Menschen denken. Sowohl der Bürger von Bihac, als auch der Migranten. Dann ist klar – das kann so alles nicht gut gehen. Das ist genau wie im Krieg: Die EU schaut weg, als sei das alles nicht existent. Bihac wird erneut allein gelassen. Wem also sollen die Bürger vertrauen? Der IOM, also der UN? Ganz sicher nicht. Man hat sie ja damals auch im Stich gelassen.

Dirk Planert: War schon im Bosnienkrieg vor OrtBild: Dirk Planert

Die bosnischen Behörden haben begonnen, die Flüchtlinge auf eine ehemalige Mülldeponie zu verlegen. Warum ist das umstritten?

Weil es unmenschlich ist, Menschen auf einer ehemaligen Mülldeponie zu "entsorgen". Anwohner, die dort in der Nähe ein Wochenendhäuschen haben sagen, dass auf der ehemaligen Mülldeponie Methangase aufsteigen und dass es in der Nähe noch alte Minenfelder gibt. Um Druck rauszunehmen haben Stadt, Polizei und andere Behörden entschieden, die nicht registrierten Migranten aus der Stadt heraus zu bringen. Anstatt ein Camp auf einem freien Gelände einzurichten und dann die Menschen dorthin zu bringen, hat man es umgedreht. Dort standen nach Ankunft der ersten Migranten drei Zelte für mehrere hundert Menschen. Keine Toiletten, keine Duschen, kein Strom. Es stinkt und überall ragt Müll aus der Erde. Unfassbar, dass man sie ausgerechnet dorthin gebracht hat.

Unter Beobachtung: Flüchtlinge in Bihac Bild: Dirk Planert

Was hat dazu geführt, dass sich die Zahl der Flüchtlinge plötzlich so erhöht? Die bosnischen Grenzbeamten aber auch einige Politiker in Sarajevo behaupten, dass die Grenze zwischen Serbien und Bosnien durchlässig sei und dass die Migranten sie ungestört passieren.

Die EU-Grenzen sind zu. Nur wenige schaffen es, sie zu überwinden. Flüchtlinge werden auch aus anderen Balkanländern nach Bosnien geschickt. Egal wo sie die bosnische Grenze passieren, werden sie weiter nach Bihac geleitet. Wie ein Eimer Wasser mit einem nur sehr kleinen Loch, in den immer Wasser nachläuft. Irgendwann läuft er über. Migranten/Flüchtlinge, wer soll das beurteilen, sagen genau das. Sie werden hier hin geschickt von überall. Was an der Grenze zu Serbien los ist, habe ich nicht gesehen. Das weiß ich nicht. Es scheint einfach zu sein, sonst hätten die Menschen mir das nicht erzählt. Gestern Morgen sind erneut 100 Menschen angekommen. Weil man in Bihac versucht die Busse zurück zu schicken, halten sie nun weit außerhalb der Stadt und laden die Menschen dort aus. Den Rest der Strecke müssen sie laufen. 

Auch an Kroatien gehen Vorwürfe, dass es sogar Migranten nach Bosnien abschiebt bzw. zurückschickt, die nicht über Bosnien kamen. Ist da was dran?

Ich weiß nur, dass hier Migranten sind, die es schon bis Slowenien geschafft hatten. Dann wurden sie aufgegriffen und in Bussen oder Polizeifahrzeugen an die kroatische Polizei übergeben. Die bringt die Menschen an die Grenze zu Bosnien nahe Kladusa oder Bihac und schiebt sie rüber - sogenannte "Push Backs", die gegen EU Recht verstoßen. Die Menschen hätten das Recht einen Asylantrag in der EU zu stellen. Dieses Recht existiert nur auf dem Papier. Die kroatische Polizei erledigt die Drecksarbeit für die EU.

Bis zu 30 Mal schon die Grenze überwunden und dennoch wieder in Bihac gelandetBild: Dirk Planert

 Was tun überhaupt die bosnischen Behörden?

Ganz einfach: Nichts. Die Behörden der Stadt Bihac schon. Aber woher soll eine so kleine Stadt das Geld nehmen, um so viele Flüchtlinge über einen so langen Zeitraum zu versorgen und unterzubringen. Bihac macht einiges. Einige Flüchtlingskinder gehen zur Schule, es gibt Musikprojekte usw. Aber die Anzahl der Menschen liegt weit über den Kapazitäten. Das Signal von Freitag mit dem Abtransport auf die Mülldeponie ist klar: Die EU Grenze ist von der Mülldeponie nur noch fünf Kilometer entfernt.

Spaltet die Migrantenkrise Bosnien noch mehr, bzw. nutzt man sie, um Bosnien als Staat noch mehr zu destabilisieren?

Das passiert. Das wird zugelassen, das ist gewollt. Migranten bedeuten Geld. Irgendwer verdient immer und die Situation wird auch politisch genutzt.

Dirk Planert ist freier Journalist und Fotograf. Er ist derzeit in bihac und war schon während des Krieges in den 1990er Jahren in Bosnien.

Das Interview führte Jamina Rose.