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Behindertensport

12. März 2010

Der Behindertensport finden in der Öffentlichkeit kaum statt. Woran liegt's? An den Leistungen wohl kaum, denn Menschen mit Behinderung betreiben genauso Spitzensport wie die Athleten ohne Einschränkung.

Sledge-Eishockey ist in Kanada beliebt (AP Photo/Massimo Pinca)
In Kanada beliebt: Sledge-EishockeyBild: AP

Biathleten ohne Augenlicht, gelähmte Athleten, die Eishockey spielen, 100-Meter-Läufer ohne Beine. Was unmöglich erscheint, ist längst sportliche Wirklichkeit. Menschen mit einer Behinderung treiben Höchstleistungssport, der dem der Menschen ohne eine Einschränkung in kaum etwas nachsteht. "In den letzten 15 Jahren hat sich der Behindertensport immer mehr professionalisiert, so dass die Spitzenleistungen auch mittlerweile durchaus mit denen von Nichtbehinderten vergleichbar sind", ist Horst Strohkendl überzeugt, der als Dozent für Bewegungstherapie an der Universität Köln arbeitet.

Noch ist es verhältnismäßig einfach, im Behindertensport erfolgreich zu sein – aufgrund der fehlenden Breite. Zwar hat jeder Zehnte in Deutschland eine Behinderung, aber nur sechs Prozent von ihnen treiben in einem Verein Sport. Zum Vergleich: Bei Menschen ohne eine Einschränkung liegt die Zahl bei 33 Prozent. "Es braucht besondere Maßnahmen Menschen mit einer Behinderung überhaupt an den Sport heranzuführen", erklärt Horst Strohkendl, der in Deutschland Rollstuhlrugby etabliert hat. "Denn eine Behinderung geht meistens mit einer Lebenskrise einher, die der Mensch erstmal bewältigen muss." Das könne ein jahrelanger Prozess sein, bis jemand seine Behinderung akzeptiere und die Möglichkeit ergreife, Sport zu treiben.

Plötzlich in der Öffentlichkeit

Ausnahmsweise mal im Rampenlicht: Sledge-Eishockeyspieler beim Internationalen Tag der Paralympics im Dezember in MoskauBild: picture-alliance/dpa

Zudem fehlten auch lange Zeit sportliche Vorbilder, an denen sich die Menschen orientieren konnten. Wichtig für den Behindertensport in Deutschland war das Jahr 1994, als Marianne Buggenhagen zur Sportlerin des Jahres gewählt wurde. "Ich wurde Erste vor Steffi Graf, vor Franziska van Almsick, vor Heike Drechsel, vor all den großen Namen – das war schon toll", erinnert sich die neunmalige Leichtathletik-Olympiasiegerin. "Da ist der Name Buggenhagen das 1. Mal überhaupt bekannt geworden." Doch rückblickend meint Buggenhagen, die seit ihrem 23. Lebensjahr aufgrund einer schleichenden Lähmung im Rollstuhl sitzt: "Viel hat sich seitdem nicht getan. Noch immer findet der Behindertensport in der Öffentlichkeit viel zu wenig Beachtung."

Das liegt zum einen daran, dass wir in unseren Köpfen den Mythos des perfekten Athleten haben. Die Ästhetik des Behindertensports widerstrebt dem Ideal eines Helden. Ein viel größeres Problem ist aber das komplexe Klassifizierungssystem. Die Sportler werden dabei in unterschiedliche Kategorien eingeteilt, um die Art der Behinderung und ihre Auswirkung auf die Ausübung einer jeweiligen Sportart zu berücksichtigen. So soll möglichst vielen Menschen mit Behinderung die Teilnahme am Sport ermöglicht werden. "Denn es ist ein großer Unterschied, ob ich meine Beine bewegen kann, oder ob ich auf den Rollstuhl angewiesen bin. Ob ich im Rollstuhl die Arme bewegen kann oder die auch beeinträchtigt sind", erzählt Strohkendl.

Komplexes Klassifizierungssystem

doch wer legt diese Kategorien fest? Wo werden die Grenzen gezogen? Und wieviele Kategorien sollte es geben? Ein umstrittenes Thema, für das noch keine optimale Lösung gefunden wurde.Grundsätzlich unterscheidet das Internationale Paralympische Komitee (IPC) derzeit zwischen sechs Kategorien.

  • Athleten, denen mindestens ein Hauptgelenk in einem Glied fehlt.
  • Athleten, die durch Schädigung des Steuerzentrums im Gehirn im Bewegungsablauf beeinträchtig sind.
  • Athleten, die sehbehindert oder blind sind.
  • Athleten, die zur Ausübung ihres Sports einen Rollstuhl brauchen
  • Athleten, die kleiner sind als 1 Meter 45. Und
  • alle anderen Athleten, die in keine der fünf vorherigen Kategorien eingeordnet werden können.

Innerhalb der einzelnen Klassen gibt es allerdings noch mehrere Unterkategorien, z.B. wie stark jemand sehbehindert ist. Zu kompliziert und dem Laien-Publikum nicht zumutbar, findet die Mehrheit der Medien - und berichten lieber gar nicht. Marianne Buggenhagen hält dagegen: "Es ist sehr wohl machbar. Im Sport der Nichtbehinderten gibt es doch auch Klassen, z.B. im Gewichtheben oder beim Boxen. Das hält auch keinen Reporter davon ab, über diese Sportart zu berichten."

Nicht trotz, sondern mit Behinderung

Insgesamt 9 Mal Gold: BuggenhagenBild: picture-alliance/ dpa

Wenn Journalisten bisher über Behindertensport berichtet haben, stand oft die Behinderung und nicht der Sportler und dessen Leistung im Fokus. Meistens wird vergessen: der Athlet zeigt beeindruckende Leistung nicht trotz, sondern mit Behinderung. Marianne Buggenhagen: "Ich muss beweisen, dass ich leistungsstark bin, ich muss beweisen, dass ich etwas kann. Dabei bin ich genauso leistungsstark, kann genauso viel wie die anderen, nur eben sitzend im Rollstuhl. Und das wird oft nicht gesehen." Gleichwertig über den Behindertensport zu berichten, bedeutet auch, kritische Töne anzuschlagen.

So ist beispielsweise im Behindertensport die Ausrüstung oft noch ausschlaggebender über Sieg und Niederlage als bei den Nichtbehinderten. Fast jeder Sportler mit Behinderung ist auf technische Hilfsmittel wie Prothesen und Rollstühle angewiesen. Da sind natürlich Athleten, die finanziell und/oder entwicklungstechnisch unterstützt werden, im Vorteil. Das kann zur Wettbewerbsverzerrung führen. Andererseit muss auch betonnt werden, dass durch Sportler oft Hilfsmittel weiterentwickelt oder neuerfunden werden, die Menschen mit Behinderung auch im Alltag weiterhelfen.

Doping auch im Behindertensport ein Thema

Auf dem Weg zum 2. Gold: Gerd SchönfelderBild: picture-alliance/ dpa/dpaweb

Ebenfalls muss im Behindertensport auch über Doping gesprochen werden. Laut dem Deutschen Behindertensportverband wird seit 1992 kontrolliert. Bis Ende 2009 wurden 2059 Proben ausgewertet, in 39 Fällen waren sie positiv. "In dem Moment, wo das Gewinnen und die Medaille im Vordergrund stehen, wo entsprechende Investitionen gemacht werden, wo Trainer und Sportler Druck bekommen, ist die Gefahr da, dass gedopt wird", gibt Horst Strohkendl zu. Ein Teufelskreis, wie es scheint: entweder der Behindertensport bleibt eine Randsportart, in der kaum Geld verdient werden kann, was zur Folge hat, dass die Verführung zu dopen, sehr gering ist. Oder der Behindertensport wird zum Medienereignis inszeniert, zieht Sponsoren, Geld und damit auch voraussichtlich Dopingsünder an.

Doch das sollte nicht davon abhalten, über Behindertensport zu berichten, zu diskutieren, zu kommentieren. Denn dadurch steigen die Chancen, dass sich Nichtbehinderte mit diesem Thema überhaupt auseinander setzen. Horst Strohkendl: "Wenn man in Begegnung kommt, verschwindet die Behinderung und aus Mitleid wird Respekt für die Leistung, die derjenige vollbringt." Für die Zukunft wünscht sich Marianne Buggenhagen: "Dass der Behindertensport den Stellenwert bekommt, den er verdient und dass wir mehr den Nachwuchs fördern und das für jeden Sport mit Behinderung auch finanzierbar ist."

Autorin: Sarah Faupel
Redaktion:Wolfgang van Kann

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