Kritik am Literaturbetrieb
1. Oktober 2014Der Literaturbetrieb ist eine sehr betrübliche Angelegenheit, heißt es an einer Stelle im Roman "Nachkommen.". Und die Autorin wird noch direkter. Die Buchmesse in Frankfurt wird aufs Korn genommen, der Deutsche Buchpreis insbesondere, auch die Kritiker und das Feuilleton. Streeruwitz spart nicht mit beißender Kritik an den Mechanismen des Literaturbetriebs in Deutschland.
Roman einer Insiderin
Und was wir da lesen, kommt nicht von irgendwoher. Es sind Details, die man in diesen Einzelheiten nur kennen kann, wenn man selbst mitmischt in diesem Betrieb. Der Roman "Nachkommen." ist das Buch einer Insiderin. Daraus macht die Autorin auch keinen Hehl. Aber: Man hat es im Roman zunächst einmal mit einem Stück literarischer Fiktion zu tun.
Und doch ist "Nachkommen." ein Kommentar der Autorin Marlene Streeruwitz zu den Verwerfungen des literarischen Lebens. Damit hat Streeruwitz eine Debatte ausgelöst, die vom Feuilleton aufgegriffen wurde. In einem Zeitungsbeitrag wandte sie sich speziell gegen die Dominanz der Männer in diesem Betrieb. Streeruwitz kritisiert darüber hinaus die starke Macht des Marktes, den überhandnehmenden Einfluss des Marketings und der Werbung. Die aufs Ökonomische konzentrierte Fokussierung des Betriebs - all das ist der Österreicherin ein Dorn im Auge.
Die Literatur ist gefährdet
"Wir leben in einer Welt, in der die wichtigsten Dinge aussterben", sagt Marlene Streeruwitz im Gespräch mit der Deutschen Welle: "Genau das ist auch der Grund, weswegen Literatur zum Aussterben gebracht wird: Weil dadurch andere Gedanken möglich sind, als die vom Marketing hergestellten." Literatur ermögliche "Kritik und Erkenntnis", so die Autorin. "In der vor sich hinrasenden Realität der Bilderüberflutung" sei die Literatur deshalb hinderlich.
Einblicke in den Buchmesse-Alltag
Das zeigt sich nach Meinung der Autorin besonders deutlich beim "Deutschen Buchpreis". Im Roman "Nachkommen." erzählt Streeruwitz die Geschichte einer jungen Autorin, die es auf die Shortlist des Preises geschafft hat, bei der Preis-Kür in der Frankfurter Paulskirche dann aber leer ausgeht.
Die Literatur war am Ende. Alles andere war wichtiger geworden. Und es ging um den Abstieg. Die ganze Veranstaltung war ein Versuch, den eigenen Wert darzustellen und damit der Einschätzung preiszugeben. Das Marketing war dann das Instrument des Obsoleten.
Der Leser begleitet die fiktive Autorin, eine junge Debütantin: bei der Preisverleihung, den sich anschließenden Messe-Tagen, bei Interviews und Auftritten vor TV-Kameras. Auch bei ihren Streifzügen durch die Messestadt Frankfurt und Begegnungen mit Menschen innerhalb und außerhalb des Betriebs.
Literatur im sportlichen Wettkampf
Streeruwitz war selbst vor drei Jahren auf der Shortlist des Buchpreises dabei. Mit "Nachkommen." schaffte sie jüngst den Sprung auf die Longlist der "Besten 20 Romane". Es sind mehrere Aspekte, die Streeruwitz kritisiert. Allein die Bezeichnung "Bester Roman", also die Fokussierung auf quasi sportliche Aspekte von Literatur, hält sie für grundfalsch.
Auch den Ablauf der eigentlichen Preisverleihung, die Konzentration des literarischen Spektakels auf Siegerin bzw. Sieger kritisiert sie: "Wir wissen, dass der Buchpreisträger sein Buch verkauft." Alle anderen aber verschwänden hinter dieser Marketingmaßnahme, sagt Streeruwitz gegenüber der Deutschen Welle. Damit wirke der Deutsche Buchpreis "zerstörerisch": "Die Bücher (der nicht prämierten Autoren, Anmerk. der Redaktion) verschwinden, nachdem der Buchpreis vergeben worden ist."
Streeruwitz ist nicht die Einzige, die den Deutschen Buchpreise heftig kritisiert. Vor ein paar Jahren schon verglich ein so prominenter Autor wie Daniel Kehlmann die Teilnahme der sechs verbliebenen Kandidaten der Shortlist an der abendlichen Preisverleihung mit "Schlagersängern in einer Castingshow". Ein entwürdigendes Spektakel sei das. Literaturkritiker, die nicht der jeweils aktuellen Jury angehören, beklagen fast schon rituell das Fehlen bestimmter Titel.
Kunst, Markt und Medien
"Angesichts Tausender von Preisen ist die Shortlist insofern als Adaption im Kampf ums mediale Dasein verständlich, als symbiotischer Mechanismus zwischen Kunst, Markt und Medien" - so versuchte jüngst die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" ein gewisses Verständnis für den Preis aufzubringen.
Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der den Preis auslobt, sieht das naturgemäß anders. Dessen Vorsitzender Heinrich Riethmüller lobte gerade die Zuspitzung auf einen einzigen Roman: "Wir wollen als Branche den besten Roman des Jahres küren."
Claudia Paul vom Börsenverein bekräftigt das im Gespräch mit der Deutschen Welle: "Wir wollen Öffentlichkeit für die Literatur schaffen und das funktioniert. Ab dem Zeitpunkt, an dem die Longlist für den Deutschen Buchpreis veröffentlicht ist, wird in den Feuilletons die deutschsprachige Literatur über Monate debattiert." Dabei drehe es sich auch nicht nur um die Titel der Long- und Shortlist: "Das funktioniert nur durch Zuspitzung."
"Die Inszenierung hilft der Literatur"
Auch der Buchhandel profitiere von den Kaufanreizen. Und die Preisvergabe verteidigt Claudia Paul so: "Schreiben und Lesen sind sehr intime Vorgänge, und Autoren sind nicht bekannt dafür, dass sie ähnlich wie Schauspieler die Öffentlichkeit suchen. Das ist uns bewusst. Doch wenn die Tür zur Literatur nicht weit geöffnet wird, fehlt die nötige Aufmerksamkeit. Die wollen wir im Sinne aller schaffen." Die Literatur brauche, um zwischen Film, Musik und großen Kulturereignissen überhaupt ausreichend wahrgenommen zu werden, die "Inszenierung".
Ihren allerneusten Roman, "Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland." stellt Marlene Streeruwitz im Übrigen in wenigen Tagen auf der Buchmesse in Frankfurt vor. Sie begibt sich also wieder ins Getümmel. Streeruwitz ist sich des Aberwitzes ihres Auftritts bewusst: "Zur Wahrheit gehören Widersprüche."
Zum Weiterlesen: "Nachkommen." und "Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland." sind im Fischer-Verlag erschienen.