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Politik

Geteiltes Echo auf Orbans Sieg

9. April 2018

Der Wahlerfolg der ungarischen Nationalkonservativen löst in Europa Zuversicht und Ängste aus. Wie wird es in der EU weitergehen mit einem gestärkten Premier Orban? Aus Brüssel Bernd Riegert.

Ungarn Wahlen Viktor Orban Wahlsieg Jubel
Bild: Reuters/B. Szabo

Der Beifall aus der ganz rechten Ecke ließ nicht lange auf sich warten. Bereits am Sonntagabend gratulierten die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen und ihr niederländischer Gesinnungsfreund Geert Wilders dem ungarischen Wahlsieger per Twitter. Wilders nannte den Erfolg Viktor Orbans "exzellent" und "wohlverdient". Die Frontfrau der französischen Rechten sprach in ihrer Mitteilung von einem "großen Sieg". Die Politik der Masseneinwanderung in der EU sei erneut abgelehnt worden. Die deutsche Rechtspopulistin Beatrix von Storch (AfD) jubelte: "Ein schlechter Tag für die EU, ein guter für Europa!"

Spitzenpolitiker in der EU ließen sich etwas länger Zeit mit ihren Glückwünschen, nachdem am Montagmorgen klar war, dass Viktor Orban bei seinem vierten Wahlsieg besser abgeschnitten hatte als jemals zuvor. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der gegen Orbans Regierung diverse Verfahren angestrengt hat, will am Dienstag mit dem alten und neuen Regierungschef in Budapest telefonieren. "Die EU ist eine Union der Demokratie und der Werte", las Junckers Sprecher Margaritis Schinas in Brüssel von einem vorbereiteten Blatt ab: "Präsident Juncker und die EU-Kommission glauben, dass die Verteidigung dieser Prinzipen und die Verteidigung dieser Werte die gemeinsame Aufgabe aller Mitgliedsstaaten ist, und zwar ohne Ausnahme." Der nationalistisch-konservative Orban hatte die EU und die Kommission im Wahlkampf scharf angegriffen und ihr vorgeworfen, sie verursache eine "Invasion von Migranten" und eine "islamische Überfremdung". Um all das werde es in dem Telefonat zwischen Juncker und Orban am Dienstag gehen, kündigte Kommissionsprecher Schinas an.

Gegenspieler: EU-Kommissionspräsident Juncker will Orban (li.) zur Achtung von EU-Gerichtsurteilen zwingenBild: Reuters

Merkel sieht Kontroversen

Kühl fiel die Gratulation von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) aus. Sie erinnerte an die Verbundenheit der beiden Länder, aber es sei ganz offensichtlich, dass es in der Zusammenarbeit "Kontroversen" gebe, sagte Merkels Sprecher Steffen Seibert in Berlin.

Die EU hat Ungarn, Polen und die Tschechische Republik verklagt, weil sie sich entgegen höchstrichterlicher Rechtsprechung weigern, umgesiedelte Flüchtlinge aus Griechenland oder Italien aufzunehmen. Zurzeit verhandeln die 28 EU-Mitgliedsstaaten über ein künftiges Verteilungssystem und ein europäisches Asylverfahren. Bislang blockieren aus Brüsseler Sicht Ungarn und auch Polen aber jeden Kompromiss. "Das Verhandeln wird sicher nicht einfacher", mutmaßt Stefan Lehne von der Denkfabrik "Carnegie" in Brüssel. Der selbstbewusste und noch einmal gestärkte Viktor Orban "wird einer der schwierigsten Verhandlungspartner sein", so Lehne. "Eine Einigung ist aber nicht ausgeschlossen." Schließlich haben die Europäische Union und die Vertreterin des größten Nettozahlers, Kanzlerin Angela Merkel, ein entscheidendes Druckmittel in Händen: Geld. Ungarn ist auf Fördermittel der EU angewiesen, um Wirtschaftswachstum zu erzielen. In diesen Wochen beginnen die Haushaltverhandlungen für die Jahre nach 2021-2027, in denen insgesamt fast eine Billion Euro verteilt werden.

Unterschlagung von EU-Geld in Ungarn

02:48

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Seehofer sieht den Partner

Der Koalitionspartner von Angela Merkel, Innen- und Heimatminister Horst Seehofer (CSU), war im Gegensatz zur Kanzlerin ganz angetan von Orbans Erfolg. "Ich freue mich über den Wahlsieg. Es ist ja ein wiederholt sehr deutlicher Wahlsieg", sagte Horst Seehofer. Die "Partnerschaft" der bayerischen Konservativen mit Orbans Fidesz-Partei werde fortgesetzt. Seehofer, der künftig in der Europäischen Union über die Migrationspolitik mitentscheidet, hatte einen guten Rat für Brüssel auf Lager: "Die Politik des Hochmuts und der Bevormundung gegenüber einzelnen Mitgliedsstaaten" sei falsch. Ob er damit die Durchsetzung europäischen Rechts und von Mehrheitsbeschlüssen zur Flüchtlingspolitik meinte, ließ der Minister offen.

Stefan Lehne, der Europa-Experte bei der Carnegie-Stiftung in Brüssel meint, das Überstimmen Ungarns und Polens zur Umverteilung von Flüchtlingen im Jahr 2015 sei zwar "perfekt legal" gewesen, aber offenbar nicht durchsetzbar: "Die Beschlüsse haben in den Augen der Öffentlichkeit der Staaten, die überstimmt worden sind, keine Legitimität." Man werde sich jetzt bemühen müssen, einen Konsens zu finden. "Selbst wenn eine Einigung in manchen Punkten gelingt, wird die zu Grunde liegende Spaltung bestehen bleiben", schreibt Stefan Lehne in einer Analyse.

Asselborn warnt vor "Werte-Tumor"

Der Chef der konservativen, christdemokratischen EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Manfred Weber (CSU), gratulierte Orban. Er freue sich, "weiter an gemeinsamen Lösungen für europäische Herausforderungen zu arbeiten." Orbans Partei ist Teil der EVP-Fraktion. Vorwürfe anderer politischer Gruppierungen, Orban baue seinen Staat zu einem autoritär gelenkten Gebilde um, macht sich Weber nicht zueigen. Die Grünen im Europaparlament sprachen dagegen von einem "traurigen Tag". Die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn sei bedroht, deshalb müsse ein Strafverfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages eingeleitet werden, forderten sie. Die SPD-Europaabgeordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann sprach von "einem weiteren bitteren Sieg des Populismus auf Kosten schutzsuchender Menschen". Orban habe mit Angst vor Flüchtlingen Wahlkampf gemacht und verstoße gegen europäische Werte.

Manfred Weber (EVP): Orban bleibt ParteifreundBild: picture-alliance/S. Simon

Der Außenminister Luxemburgs, der Sozialdemokrat Jean Asselborn, kritisierte Viktor Orbans Wahlsieg ebenfalls scharf in einem Interview mit der Zeitung "Die Welt". "Vor allem nach dieser Wahl in Ungarn ist es an Deutschland und Frankreich sowie allen Mitgliedstaaten, die nicht auf Gleichgültigkeit setzen, sich schnell und unmissverständlich auf der Basis des europäischen Vertragswerks einzubringen, um diesen Wertetumor zu neutralisieren", sagte Asselborn. Rechnet man die Stimmenanteile von Orbans Fidesz-Partei mit denen der rechtsextremen Jobbik-Partei zusammen, dann haben fast 70 Prozent der Ungarn für xenophobe, populistische EU-Skeptiker gestimmt.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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