Macrons Absage an die Deutschen
10. Mai 2018Sie hatten lange auf ihn warten müssen, immer wieder verzögerte sich die Ankunft des Präsidenten. Doch als Emmanuel Macron den größten Hörsaal der Universität betritt, begrüßen ihn knapp 1000 Studierende und Gäste der Uni mit stehenden Ovationen. Macron hat den Saal auf seiner Seite, noch bevor eine Studentin die erste Frage an ihn richtet. Die Stimmung hier, wird eine junge Französin nach der Debatte im Rausgehen sagen, habe eher einer Macron-Kundgebung im französischen Wahlkampf geglichen als einem Höflichkeitsbesuch im Ausland. Tatsächlich sind die Studierenden am Programm des Präsidenten interessiert und der Präsident ganz offensichtlich auf der Suche nach Unterstützern - auch im Ausland.
Heimspiel für den Präsidenten
Doch ganz so einfach ist die Sache am Ende für ihn nicht, auch wenn eingefleischte Macron-Gegner im Publikum nicht auszumachen sind und zunächst alles nach Plan läuft. Sein Werben für ein starkes Europa, für die gemeinsamen Werte als Erbe der Aufklärung, "die einzigartige Matrix von Freiheit und Gleichheit in Europa", sind ganz offensichtlich nach dem Geschmack des Publikums, das Macrons Antworten immer wieder mit Applaus quittiert.
Die akademische Fragestunde im Hörsaal - sie ist über weite Strecken ein Heimspiel für den früheren Philosophie-Studenten, der den intellektuellen Austausch und die öffentliche Debatte über seine Politik mit einer Genugtuung zelebriert wie derzeit wohl kein anderer Staatenlenker. "Er ist einfach gerade der einzige Staatsmann in Europa, der versucht, etwas zu verändern", kommentiert die 21 Jahre alte Architekturstudentin Anna im Publikum. Macrons Werben für ein Kerneuropa, seine Skepsis gegenüber neuen EU-Erweiterungsrunden, kommen bei ihr gut an.
Rätselraten um Macrons "Europäische Hochschule"?
Was aber hat der Präsident zur Zukunft des Ortes zu sagen, an dem er sich offensichtlich so wohl fühlt - den traditionellen Ort der Wissenserzeugung- und vermittlung? Darauf angesprochen, entwirft Macron das Panorama einer konkurrenzfähigen europäischen Hochschullandschaft. Bereits in seiner Rede vor den Studenten der Pariser Sorbonne im September 2017 hatte er den Plan einer "Europäischen Universität" präsentiert: Bis 2024 solle ein Netzwerk von bis zu 20 "wahrhaft Europäischen Universitäten" entstehen. Ein Plan, den Macron in Aachen zu konkretisieren versucht.
Nein, erklärt er, es sollen keine neuen Universitäten gebaut werden, an deren Eingang dann das Etikett "Europäische Universität" klebt. Er denke an Partnerschaften von Fachbereichen aus unterschiedlichen Ländern. Ob Philosophie, Mathematik oder Wirtschaft - durch den Zusammenschluss von leistungsfähigen Hochschulen "aus drei, vier Staaten" könne eine europäische Hochschule entstehen, die die für Spitzenforschung notwendige kritische Masse besitze. Denn, so fragt der Präsident, "warum sind heute so viele US-amerikanische und chinesische Universitäten im Ranking so erfolgreich?" Und gibt die Antwort selbst: "Weil sie die notwendige Größe haben."
Auch die Bundeskanzlerin hat Macrons Idee einer Europäischen Universität mittlerweile aufgegriffen. In ihrer Karlspreis-Laudatio wenige Stunden zuvor erwähnte sie das Konzept, das gleichwohl noch weitgehend unkonkret ist, ausdrücklich.
Keine konkrete Zusage
Als nach 80 Minuten Diskussion viele Studierende für Präsidenten-Selfies auf das Podium stürmen, die er mit viel Geduld bereitwillig gibt, ziehen andere im Foyer Bilanz. Und in der geht es in vielen Gesprächen vor allem um ein Thema: Macrons Position zum belgischen Pannen-Akw Tihange. "Er ist schon ein sympathischer Politiker, ein sehr guter Redner", sagt der 21 Jahre alte Informatiker Tom, "aber die Antwort auf Tihange war für mich sehr enttäuschend".
Tihange 2 heißt der belgische Pannenreaktor in der Nähe von Aachen. Eine breite Protestbewegung in der Grenzregion fordert seit Jahren dessen Schließung, weil sie in Tausenden Haarrissen im Reaktor ein unkalkulierbares Sicherheitsrisiko sieht. Das Atomexperten-Forum Inrag stellte erst jüngst fest: Tihange verletzt international anerkannte Sicherheitsmaßstäbe.
Von Macron hatten sich viele Studenten in dieser Angelegenheit Unterstützung erhofft, schließlich hält der französische Staat 20 Prozent der Anteile am belgischen AKW-Betreiber. Doch die Kernkraft-Gegner wurden enttäuscht. Der Besucher aus Paris antwortete mit einem flammenden Plädoyer für die Sicherheit französischer AKW-Technik und einem Frontalangriff auf die deutsche Kohleverstromung, die im Gegensatz zur Kernkraft viel schädliches CO2 produziere. Und so lautete am Ende für viele Studierenden die Bilanz: Ein sympathischer Präsident, aber wenn es konkret wird, haben Deutschland und Frankreich eben doch ganz oft einfach unterschiedliche Interessen.