1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Beirut, Hisbollah und der lange Arm des Iran

21. August 2020

Nach der Explosion in Beirut und dem Befund des UN-Sondertribunals für den Libanon steht das gesamte politische Personal unter Kritik. Diese richtet sich auch gegen die Hisbollah und ihre Verbindungen in den Iran.

Libanon Explosion in Beirut
Bild: picture-alliance/AP Photo/H. Ammar

Unabhängigkeit der Justiz oder letztendlich doch ein politisches Urteil? Im Libanon gehen die Ansichten über den Befund des UN-Sondertribunals für den Libanon (STL) weit auseinander. Das Gericht hatte Anfang der Woche ein Mitglied der schiitischen Hisbollah-Miliz der Mittäterschaft an der Ermordung des ehemaligen libanesischen Regierungschefs Rafik Hariri im Jahr 2005 für schuldig befunden. Es fand aber keine Beweise für die Verstrickung der Hisbollah oder Syriens in das Attentat.

Der Richterspruch löste im Libanon unterschiedliche Reaktionen aus: Ein Teil der Öffentlichkeit wertete den Befund des Tribunals als Ausdruck einer unabhängigen Justiz, während ein anderer den in Den Haag arbeitenden Richtern politische Rücksichtnahmen unterstellten. In dieser Lesart wird das "weiche" Urteil als Beitrag "zur Vorbereitung eines günstigen regionalen und internationalen Umfelds für einen Dialog zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran" gesehen, der in den nächsten Monaten stattfinden könnte, schreibt die die in Beirut verlegte Zeitung "L'Orient-Le Jour".

Ein Lichtkunstprojekt im Iran zeigt Mitgefühl mit den Opfern in BeirutBild: mehr

"Erhebliche Mengen" von Ammoniumnitrat

Zumindest an der internationalen juristischen Front ist für die Hisbollah zunächst Ruhe eingekehrt. Weiterhin offen ist hingegen die Frage ihrer (Mit)Verantwortung für die Explosion im Beiruter Hafen vom 4. August, bei der nach bisherigem Stand 220 Menschen starben und über 6000 verletzt wurden. Einen neuen Schub erhielt diese Diskussion Mitte der Woche aus Deutschland. Anfang dieser Woche erklärte die Tageszeitung "Die Welt", ihr lägen Geheimdienstinformationen vor, denen zufolge die Hisbollah in den Jahren 2013 und 2014 "erhebliche Mengen" von Ammoniumnitrat erhielt - also in jener Zeitspanne, der auch die 2750 Tonnen Ammoniumnitrat im Hafen eingelagert wurden, die am 4. August explodierten.

Insgesamt, so die "Welt", habe die Hisbollah in den Jahren 2013 und 2014 zwischen 630 und 670 Tonnen Ammoniumnitrat erhalten. Der Transport sei von den Kuds-Brigaden der iranischen Revolutionsgarden abgewickelt worden. Ein Teil der Bestellungen sei im vergangenen Oktober per Flugzeug transportiert worden - vermutlich, so die "Welt", "mit einer der offiziell privaten iranischen Airlines, die als Tarnfirmen der Revolutionsgarden gelten." Die anderen Lieferungen seien auf dem See- oder Landweg erfolgt, etwa über die syrische Grenze. Ob das von der Hisbollah georderte Ammoniumnitrat zu dem im Beiruter Hafen explodierten Vorrat gehörte, ist derzeit unklar.

Wie auch immer: Treffen die von der "Welt" veröffentlichten Geheimdienstinformationen zu, wären sie ein weiterer Hinweis auf die engen Beziehungen zwischen der Hisbollah und dem Iran und könnten die Schiitenmiliz auch im Libanon weiter unter den Druck der Öffentlichkeit setzen.

"Kritik an der politischen Klasse insgesamt"

Zwar stünden im Libanon auch die Beziehungen der Hisbollah zum Iran zu Debatte, sagt Joachim Paul, Leiter des Beiruter Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, im DW-Interview. "Allerdings steht das Thema derzeit nicht im Vordergrund. Derzeit sieht sich die Hisbollah zwar vehementer Kritik ausgesetzt, aber die betrifft die politische Klasse des Landes insgesamt." Da die Hisbollah Teile des Hafens und des Flughafens kontrolliere, stehe sie seit der Explosion vom 4. August besonders in der Kritik.

Seit Oktober des vergangenen Jahres gehen Libanesen unterschiedlicher Konfession - Christen, Sunniten, Schiiten - gemeinsam auf die Straße, um gegen das konfessionelle Staatssystem zu protestieren, das in ihren Augen für Korruption und in deren Folge auch den wirtschaftlichen Niedergang verantwortlich ist. Die Kritik am konfessionell begründeten politischen Proporz des Landes - bestimmte Positionen innerhalb der Staatsführung werden, einer nach Ende des Bürgerkriegs 1990 vereinbarten Abmachung entsprechend, ausschließlich an Mitglieder bestimmter Konfessionen vergeben – betrifft zwar nicht nur die Hisbollah, sondern auch die Parteien der anderen insgesamt 18 Konfessionen.

Libanon: zwischen Resignation und Revolte

12:36

This browser does not support the video element.

Der Iran als Schutzmacht

Für die Hisbollah ist diese Entwicklung aber besonders alarmierend, da sie stärker als Sunniten und Christen an ihre Schutzmacht gebunden ist. Während die Christen ein vergleichsweise lockeres Verhältnis zu ihrer ehemaligen Schutzmacht Frankreich pflegen und sich die Beziehungen zwischen den von dem Hariri-Familie geführten Sunniten und Saudi-Arabien zuletzt etwas abgekühlt hatten, sind die Bindungen zwischen der Hisbollah und dem Iran weiterhin eng.

Informationen des American Jewish Committee (AJC) zufolge wurde die Hisbollah im Jahr 2017 vom Iran mit einer Summe von rund 700 Millionen US-Dollar unterstützt. Auf weitere Unterstützung wies bereits vor Jahren bereits das "Washington Institute für Near East Policy" hin. "Iranische Transportflugzeuge liefern moderne Waffensysteme, von Raketen bis zu kleineren Waffen, über regelmäßige Flüge von Damaskus nach Teheran", hieß es in einer Studie des Instituts aus dem Jahr 2005. "Diese Waffen werden in Syrien umgeladen und dann per Lastwagen zu Hisbollah-Lagern in der Bekaa-Ebene gebracht." Diese Lieferungen nahmen im Laufe des Syrien-Krieges zu und veranlassten Israel zu Hunderten von Lufteinsätzen, in denen es die entsprechenden Transporte zerstörte. 

Für die Tötung des iranischen Kommandeurs Kassem Soleimani durch US-Drohne forderte der Anführer der Hisbollah im Januar 2020 in Beirut zu Angriffen auf US-Soldaten aufBild: picture-alliance/dpa/B. Jawich

Das Kalkül des Iran

In der arabischen Welt versucht sich der Iran als führende Widerstandskraft gegen Israel zu inszenieren. Zwar verfängt diese Propaganda nicht mehr durchweg, wie etwa das Abkommen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen vom August dieses Jahres zeigt. Doch für das Selbstverständnis der politischen Führung in Teheran ist dieses Ziel weiterhin von zentraler Bedeutung. Aus diesem Grund ist der Libanon, ein unmittelbarer Nachbar Israels, für das Regime in Teheran so wichtig. "Im vergangenen Jahrzehnt bestand die Strategie der Hisbollah im Libanon darin, die Stabilität zu bewahren", heißt es in einer Analyse der Zeitschrift "Foreign Policy" vom Januar 2020. "Allerdings handelt es sich um jene Art von Stabilität, die die Interessen des Iran schützt."

Eben darum habe die Hisbollah im Herbst ihre Schlägertrupps ausgesandt, um die Demonstranten auf den Straßen - vor allem auch in schiitischen Städten und Dörfern – anzugreifen. Auch habe sie ihre Drohungen gegen schiitische Dissidenten und Aktivisten verstärkt. Um dieses Anliegen zu unterstützen, sei der im Januar 2020 durch einen US-Drohnenangriff getötete Kommandant der Kuds-Brigaden, Kassem Soleimani, wiederholt nach Beirut gereist. "Seine Strategie konzentrierte sich auf zwei Ziele: die Schiiten an der Teilnahme an den Protesten zu hindern und Druck auf die libanesischen Sicherheitskräfte auszuüben, damit sie die Proteste gewaltsam unterdrücken. Er verstand, dass jeder Aufruhr eine Gefahr für die fragilen Interessen und Errungenschaften des Iran in der Region darstellen könnte", so "Foreign Policy".

Die engen Bindungen zwischen dem Iran und der Hisbollah bestehen weiter. Noch im Juli hatte Hisbollah-Chef Nasrallah den Libanesen empfohlen, Öl aus dem Iran zu importieren. Dies würde dazu beitragen, den Druck auf das libanesische Pfund zu lindern.

Sorge um die nationale Zukunft

Zugleich würde diese Annäherung aber dazu beitragen, den konfessionellen Charakter des politischen Systems im Libanon zu erhalten. Dieses System steht aber stärker zur Debatte denn je. Nach der Explosion im Beiruter Hafen seien für das Land zwei Entwicklungen denkbar, sagt Joachim Paul von der Böll-Stiftung. "Zum einen könnte es sich tatsächlich entwickeln, was kurzfristig auch bedeuten würde, dass internationale Hilfsgelder für den Wiederaufbau nicht in dunklen Kanälen verschwinden." Möglich sei aber auch das Gegenteil: "Die politische Klasse verweigert sich gegenüber Reformen, die über den Wiederaufbau hinausreichen. Das bedeutet, dass die nationalen Institutionen weiter zerfallen und der Konfessionalismus weiter zunehmen würde."

Der Iran hat seine Interessen im Jemen, im Irak, in Syrien und auch im Libanon bislang ebenso entschlossen wie erfolgreich vertreten. Für Kompromisse dürfte die politische Führung in Teheran derzeit wenig Anreiz sehen. So kann man davon ausgehen, dass sie im Libanon das konfessionelle System zu erhalten sucht.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika