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Die Kunst Beiruts in den goldenen Sechzigern

Ruairi Casey
4. April 2022

Eine Berliner Ausstellung erforscht die Blütezeit der Beiruter Kunstszene in den 1960er-Jahren - und wie sie durch den einsetzenden Bürgerkrieg abrupt endete.

Ein Gemälde von Aref El Rayess
Auch in der Ausstellung zu sehen: Gemälde von Aref El Rayess Bild: Aref El Rayess Foundation, Aley, Mount Lebanon, Courtesy: Saradar Collection

Es war eine besondere Zeit. In den 1960er-Jahren - zwischen der Libanonkrise 1958 und dem 15-jährigen Bürgerkrieg, der 1975 begann - erlebte Beirut eine Phase der relativen Ruhe. Die Menschen waren voller Tatendrang, die libanesische Metropole befand sich auf dem Höhepunkt ihres kreativen Schaffens. 

Die Ausstellung "Beirut and the Golden Sixties: A Manifesto of Fragility", die derzeit im Berliner Gropius-Bau zu sehen ist, zeigt Archivmaterialien und Kunstwerke von Dutzenden von Künstlern, die diese Blütezeit der kulturellen Szene der Stadt prägten. 

Beirut - ein scheinbar sicherer Hafen 

Der Libanon galt damals - in einer Zeit, in der Putsche, Revolutionen und Kriege den Nahen Osten und Nordafrika erschütterten - als sicherer Hafen für entwurzelte politische Dissidenten, Intellektuelle, Künstler und ausländisches Kapital.

Das libanesische Bankgeheimnis, nach dem die Banken die Namen der Inhaber von Einlagen nicht bekannt geben mussten, brachte dem Land den Ruf der "Schweiz des Nahen Ostens" ein. Geld floss in den Kultursektor und unterstützte eine blühende Kunst-, Kino- und Theaterszene.

Doch Beirut hatte mehr zu bieten als Kasinos, Nachtclubs, Neonlichter und den Glanz der High Society, die stets exklusiv und ausgrenzend war. Die Maler Paul Guiragossian und Rafic Charaf richteten ihren Blick stattdessen auf die marginalisierten Bewohner der Beiruter Slums und armenischen Flüchtlingslager sowie auf die Verarmung im nahe gelegenen Beqaa-Tal.

Paul Guiragossians "Bteghrine" stammt aus dem Jahr 1965 Bild: Paul Guiragossian Foundation, Courtesy: The Farouk Abillama Collection

Vielfältige Einflüsse 

Das künstlerische Schaffen im Beirut der 1960er-Jahre zeichnet sich durch seine formale Vielfalt aus. Die Künstlerinnen und Künstler übernahmen Techniken und Stile aus lokalen oder internationalen Quellen und gestalteten sie neu, was oft ein bewusst politischer Akt war. Ein lebendiges Netzwerk aus Mäzenen, Galerien und Institutionen unterstützte die Avantgarde der Stadt, darunter das 1961 eröffnete Sursock-Museum, das abstrakte Maler wie Huguette Caland und Aref El Rayess förderte, sowie das Centre d'Art, in dem namhafte internationale Surrealisten wie Max Ernst und André Masson ausgestellt waren.

Die Kunstschaffenden schöpften aus der reichen Geschichte der sumerischen, mesopotamischen oder phönizischen Kunst, der islamischen Kalligrafie, Architektur und Poesie - und verschmolzen oder kontrastierten sie mit westlichen Ideen der Abstraktion, der kinetischen Kunst und des Surrealismus. Persönlichkeiten wie die Schriftstellerin und multidisziplinäre Künstlerin Etel Adnan bewegten sich frei zwischen Form und Medium, von abstrakten Wandteppichen bis hin zu Leporellos genannten Büchern, die gemalte und geschriebene Beobachtungen enthielten.

Diese Freiheit zu mischen, umzugestalten oder neu zu interpretieren sei das, was diesen kulturellen Moment ausmache, so Sam Bardaouil gegenüber der DW. Der Kurator der Berliner Ausstellung stammt selbst aus dem Libanon. "Die Künstler waren sich so vieler Quellen bewusst, dass sie sehr selbstbewusst und frei entscheiden konnten, sich mit ihnen zu verbinden, von ihnen zu borgen oder gegen sie zu arbeiten."

Feminismus und Sexualität

Die Auswirkungen der weltweiten sexuellen Revolution der 1960er- und 1970er-Jahre waren auch in Beirut deutlich zu spüren. Die Debatten über den radikalen Feminismus stellten die traditionellen gesellschaftlichen Sitten in Frage. Frauen spielten eine führende Rolle in der florierenden Kunstszene, indem sie beispielsweise Galerien und literarische Publikationen gründeten.

Auch queere und nicht geschlechtskonforme Kunstschaffende fanden mehr Raum, um sich frei in Gemeinschaften auszudrücken, die die von der bürgerlichen Gesellschaft gesetzten Grenzen ablehnten.

Ein neues Vertrauen in die Darstellung des weiblichen Körpers zeigt sich im Werk der libanesischen Malerin Huguette Caland. Ihre nackten Selbstporträts sind fragmentiert und abstrahiert, bis Körperteile kaum noch erkennbar sind - und die Künstlerin endlich entsprechend ihrer eigenen Vorstellung zu sehen ist.

Die Gemälde der Libanesin Huguette Caland hingen in den berühmten Museen der Welt Bild: Courtesy: The Huguette Caland Estate

Das Ende einer Ära

Aber auch der Libanon war nicht so stabil, wie er schien. Der Einmarsch der USA 1958 zur Stützung der Regierung hatte gezeigt, wie zerbrechlich das Land war. Damals hatte es starke Spannungen zwischen arabischen Nationalisten und prowestlichen Christen gegeben. 

Wie konnte nach den goldenen Jahren die Spannungen so wachsen, dass sie schließlich in Gewalt umschlugen? "Es hat schon unter der Oberfläche gebrodelt", sagt Sam Bardaouil. Die Situation spitzte sich zu, als Israel 1967 den Sechstagekrieg gewann und eine neue Generation palästinensischer Flüchtlinge in den Libanon strömte - und mit ihnen die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO), die das Land als Operationsbasis nutzen sollte. Die PLO und die maronitische Phalange-Miliz, eine nationalistisch-christliche Partei, verübten gegenseitige Anschläge und Massaker. Schließlich kam es 1975 zum Ausbruch des libanesischen Bürgerkriegs, der bis 1990 andauern sollte.

Damals wurden auch die zerbrechlichen Bande zerstört, die die Kulturszene Beiruts zusammenhielten. Galerien, Kinos, Künstlerateliers und Museen wurden voneinander getrennt, oft sogar physisch, da die Stadtteile nach ethnischen und religiösen Gesichtspunkten getrennt wurden.

Einige Künstler schlossen sich linken Milizen wie der Libanesischen Nationalbewegung an, während andere sich dauerhaft in Europa, den USA oder am Persischen Golf niederließen. "Die Netzwerke und Gemeinschaften, die über konfessionelle Grenzen hinweg bestanden hatten, waren plötzlich zerrissen", so Kurator Bardaouil.

Die Künstler wählten zudem kleinere, leichter zu transportierende Medien und harte Schwarz-Weiß-Farbtöne. Die Serie "Civil War Diary 1975-1976" von Jamil Molaeb beispielsweise dokumentiert die sich häufenden Gräuel. In seiner Zeichnung mit dem Titel "13. April" - dem Tag des Busmassakers von Beirut 1975, das als Anfangspunkt des libanesischen Bürgerkriegs gilt - hängen Leichen schlaff aus den Fenstern eines Busses, eine Darstellung der tödlichen Zusammenstöße zwischen der Phalange-Miliz und Palästinensern im Vorort Ain el Remmaneh.

Jamil Molaeb lebt bis heute im Libanon Bild: Jamil Molaeb, Courtesy: Saradar Collection

Obwohl der Bürgerkrieg längst vorbei ist, ist der Libanon nach wie vor tief gespalten. Das Land sah sich in den letzten Jahren mit einer Reihe politischer und wirtschaftlicher Krisen konfrontiert, die durch die Explosion einer riesigen Menge Ammoniumnitrat im Hafen von Beirut im August 2020 noch verschärft wurde; damals wurde ein großer Teil der Stadt zerstört.

Auch einige der in der Ausstellung gezeigten Kunstwerke wurden durch die Explosion beschädigt. Ein Multimedia-Werk des libanesischen Duos Joana Hadjithomas und Khalil Joreige synchronisiert die Aufnahmen von 14 Überwachungskameras im Sursock-Museum, dem ikonischen Zentrum für moderne Kunst in Beirut, zum Zeitpunkt der Explosion: Fenster zerspringen, Kunstwerke fliegen von den Wänden, ein unheimlicher Staub weht durch die Trümmer. Die Kunst des goldenen Zeitalters von Beirut wird von einer weiteren Tragödie getroffen.

Die Ausstellung "Beirut and the Golden Sixties: A Manifesto of Fragility" ist noch bis zum 12. Juni 2022 im Berliner Gropius-Bau zu sehen. 

Adaption aus dem Englischen: Petra Lambeck.

 

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