1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
GesellschaftLibanon

Beirut: Hamra - Herzschlag einer Stadt, Spiegel eines Landes

Diana Hodali mit Sara Hteit, Beirut
18. August 2025

Wenn im September in Hamra das Kino Le Colisée wieder seine Türen öffnet, geht es um mehr als um Filme: Es ist ein Zeichen dafür, wie der Libanon zwischen Krise und Hoffnung immer wieder neu zu leben beginnt.

Libanon Beirut | Kassem Istanboli vor der Fassade des Lebanese National Theatre
Qassem Istanbouli freut sich auf die Wiedereröffnung des Kinos Le ColiseéBild: Sara Hteit

An der Ecke von Beiruts Hamra-Straße, dort, wo früher noch eine verblichene, schief hängende Ankündigung für ein Konzert des ägyptischen Sängers Mohamed Mounir am Gebäude hing, prangt nun ein neues Schild: Lebanese National Theater. Am 13. September wird hier, im altehrwürdigen Kino Le Colisée, erstmals seit vielen Jahren wieder das Licht ausgehen und der Vorhang sich heben.

"Diese alten Kinos wiederzubeleben, sie zurückzubringen, ist für mich schon immer ein Traum gewesen", sagt Qassem Istanbouli, Schauspieler, Regisseur und Gründer des Lebanese National Theater. In Tyros, Nabatiyeh und Tripoli sind bereits Kinos neu aufgebaut worden - und nun bald auch in Beirut, im Stadtteil Hamra. "Das komplettiert unseren Traum", sagt er. "Dieses Kino ist auch deshalb wichtig, weil es Traditionen weiterführt, unsere kulturellen Schätze bewahrt, unsere Identität und unsere gesellschaftlichen gemeinsamen Erinnerungen - für Beirut, aber auch für den ganzen Libanon."

Hamra war einst das Epizentrum der Kulturszene in Beirut

Unterstützt wird Istanbouli von der Tiro Association for Arts und einem Netzwerk von Freiwilligen. Sie alle meinen: Jeder hat ein Recht auf Kunst - unabhängig von Herkunft, Religion oder politischer Zugehörigkeit. Dass das Le Colisée nun wieder seine Türen öffnet, ist das Ergebnis dieser zivilgesellschaftlichen Initiative, nicht staatlicher Kulturpolitik.

So sah das Kinogebäude jahrelang aus. Jetzt wurde es renoviert.Bild: Diana Hodali/DW

Denn Hamra war einmal das kulturelle Epizentrum Beiruts. In den 1960er- und 70er-Jahren zählte die Gegend zahlreiche Kinos und Theater, Premieren liefen bis tief in die Nacht. Auf den Bühnen standen Fayrouz und Adel Imam, während Musiker wie Abdel-Halim Hafez und Farid el-Atrash im Horse Shoe Café verkehrten. Hier schrieb der syrische Lyriker Nizar Qabbani seine Gedichte, hier diskutierten Intellektuelle über Politik und Poesie. Hamra, im Westen der Stadt gelegen, war - und ist bis heute - ein Ort, an dem Christen und Muslime Seite an Seite leben. Geprägt vom linken, säkularen arabischen Nationalismus der Zeit verband das Viertel Ost und West, Kunst und Politik, Alltag und große Ideen. Hamra wurde so zum urbanen Schmelztiegel, der den Spaltungen des Landes trotzte.

Mit Ausbruch des Bürgerkriegs 1975 (bis 1990) veränderte sich das Bild. 1982 marschierten israelische Truppen die Straße hinunter. Danach wechselten Milizen die Kontrolle, schwere Kämpfe beschädigten das Viertel. Hamras Commodore Hotel wurde zur Basis für ausländische Korrespondenten.

Viele Menschen besuchten damals trotz der Gewalt die Kinos - doch einige Säle wurden zerstört. Der Krieg beendete Hamras goldene Ära. Nach dem Bürgerkrieg verlagerte sich das internationale Geschehen mehr in das neu aufgebaute Downtown Beirut. Hamra überlebte, aber seine Theater schlossen fast alle - nur das Theater Metro Al-Madina blieb. Die großen Kinos verschwanden.

Hamra erlebt eine Wiedergeburt in den 2000er-Jahren

In den 2000er-Jahren bekam Hamra ein Facelift: neue Wasser- und Stromleitungen, Kopfsteinpflaster. Das brachte die Gegend und die gleichnamige Hamra-Straße zurück. Abends stauten sich die Autos vor den Bars und Restaurants, Studenten der Universitäten strömten in die Cafés, syrische Familien eröffneten Lokale, eine neue Generation Beiruter brachte frische Energie. "Seit ich klein war, haben wir Zeit auf der Hamra-Straße verbracht - mit Freunden und Familie, dort pulsierte einfach das Leben", erinnert sich Haitham, heute Mitte fünfzig. Sein ganzes Leben hat er in Hamra und Umgebung verbracht. "Manchmal war es so voll, dass du keinen Fuß auf die Straße setzen konntest", sagt er. Er erinnert sich gerne daran.

Zeitungsverkäufer Naim Saleh denkt gerne an die glanzvollen Zeiten Hamras zurückBild: Diana Hodali/DW

Naim Saleh denkt auch gerne an die glanzvollen Zeiten Hamras. Er ist eine Institution in Hamra. Seit über 54 Jahren verkaufen er und seine Familie am Anfang der Hamra-Straße Zeitungen und Bücher - den Stand hat er von seinem Vater übernommen. Früher stapelten sich Magazine und Neuerscheinungen, heute kauft kaum noch jemand. Und doch ist er noch da, Tag für Tag, mit seinem Kiosk, während ringsum Geschäfte schließen. In einer Zeit, in der Hamra stiller geworden ist, verkörpert er jene Beharrlichkeit, die das Viertel - und auch den Libanon - am Leben hält.

Hamra: Seismograph von Beirut und vom Libanon

Heute, nach dem wirtschaftlichen Kollaps des Landes ab 2019, ist die Straße stiller. Viele Geschäfte sind geschlossen, alteingesessene Cafés gaben auf. Stromausfälle verdunkeln Hamra schon früh am Abend. Die Wirtschaftskrise hat tiefe Spuren hinterlassen: Die Währung hat 90 Prozent ihres Werts verloren und die Preise sind explodiert - in einem Land, das fast alles importieren muss.

Viele Geschäfte auf der Hamra Straße haben schließen müssenBild: Diana Hodali/DW

Hamra war immer eine Art Seismograph Beiruts. Hier verdichten sich die Brüche und Widersprüche des Landes: politische Blockaden, die sich in leerstehenden Geschäften widerspiegeln, und eine Wirtschaftskrise, die selbst Traditionscafés in den Ruin treibt. Und wie der ganze Libanon lebt auch Hamra vom Durchhaltewillen seiner Bewohner. Gesellschaftliche Initiativen halten den Geist der Stadt am Leben - so wie das Kino. So wie damals nach der verheerenden Explosion im Hafen im August 2020, als der Staat abwesend war und die Menschen selbst die Stadt aufräumten, Mahlzeiten verteilten, Nachbarn unterstützten.

Und selbst während die Krise andauert, schreibt Hamra eine weitere Geschichte: Im Sommer 2024, während das Le Colisée renoviert wurde, schliefen zwischen den Sitzreihen Binnenvertriebene aus dem Süden - Familien, die vor israelischen Bombardierungen in der kriegerischen Auseinandersetzung mit der Hisbollah geflohen waren. Das Kino wurde vorübergehend zum Schutzraum. Ein Ort, der gleichzeitig Geschichte atmet und aktuelle Not lindert.

Regisseur und Schauspieler Qassem Istanbouli sieht darin den Kern seiner Arbeit: "Wir wollen die imaginären Grenzen zwischen den Regionen des Libanon überwinden und die Menschen durch gemeinsame kulturelle Räume verbinden." Er erklärt, dass es darum geht, das kulturelle Leben zu dezentralisieren, sodass Zuschauer und Künstler zwischen Nord und Süd, zwischen Tyros, Tripoli und Beirut reisen können. Kultur müsse Identität und Erinnerung bewahren.

Politisch instabile Zeiten im Libanon

Doch die Eröffnung fällt in eine politisch angespannte Zeit. In Beirut hat die neue Regierung beschlossen, die militant-islamistische Hisbollahzu entwaffnen. Das libanesische Kabinett hat einem US-Plan zugestimmt, dass bis zum Ende des Jahres alle Waffen unter staatlicher Kontrolle sein sollen, denn die USA und unter anderem auch Deutschland stufen die Hisbollah als Terrororganisation ein. Im Gegenzug soll Israel,trotz eigentlich existierender Waffenruhe, seine andauernden Angriffe auf den Libanon einstellen und seine Truppen aus dem Süden abziehen. Doch es gibt keine Details, wie die Entwaffnung erfolgen soll. Und der neue Generalsekretär der Hisbollah, Naim Kassem, sagte: "Solange die Aggressionen weitergehen und solange es Besatzung gibt, werden wir unsere Waffen nicht niederlegen." Notfalls werde man einen Kampf gegen "das israelisch-amerikanische Projekt" führen, sagte er. Sollte es zu innenpolitischen Auseinandersetzungen kommen, so Kassem, trage die neue Regierung dafür die alleinige Verantwortung.

Das libanesische Kabinett hat die Entwaffnung der militant-islamistischen Hisbollah beschlossen (links: Ministerpräsident Nawaf Salam)Bild: Lebanese Presidency Press Office/Anadolu/IMAGO

Doch das Kino Le Colisée und seine Mitarbeiter lassen sich von der angespannten Lage nicht beirren. Sie halten daran fest, das Kino, das 1945 gegründet wurde, zu einem Ort für Workshops, Theater, Festivals und einem Archiv für Film und Kunst umzubauen. Es soll ein Treffpunkt werden, der nicht nur an Hamras goldene Jahre erinnert, sondern auch zeigt, dass sich das Viertel trotz aller Rückschläge immer wieder neu erfindet.

Vielleicht wird das Publikum kleiner oder anders als einst. Vielleicht wird es draußen im Land noch immer Spannungen geben. Aber wenn drinnen im September das Licht ausgeht und der Vorhang sich hebt, wird für einen Moment das alte Hamra zurückkehren - das Hamra, das sich gegen Spaltung wehrte und das, wie der ganze Libanon, nicht aufhört, an seine eigene Zukunft zu glauben.