Alleskönner Kokosnuss
29. März 2012Die amerikanische Getränkeindustrie besinnt sich seit einiger Zeit auf einen Charterfolg der frühen 1970er Jahre. Damals besang Harry Willson in Coconut die haarige Frucht als medizinisches Wundermittel: Nur ein bisschen Limettensaft in die Kokosnuss und schon fühle man sich besser. Als sogenannter "Wellness-Zusatz" bringt sie der Getränkeindustrie heute gesunde Umsätze. Eine der größten Firmen in dem Bereich ist Vita Coco. Das amerikanische Unternehmen konnte seine Verkäufe in den letzten Jahren mehr als verfünffachen. Mit dem Umsatz steigt die Erwartung an die Frucht. Ihre milchige Keimflüssigkeit soll beispielsweise den Blutdruck oder den Cholesterinspiegel senken.
Kokosöl im Kampf gegen Krebs
Den Hoffnungen sind, so scheint es, keine Grenzen gesetzt. Der Mediziner Bruce Fife, selbsternannter "Kokosnuss-Papst", behauptet sogar, mit der Wundernuss sei ihm ein entscheidender Fortschritt in der Krebsforschung gelungen. Mit seinem Coconut Research Center will Fife in mehreren Laborstudien an Tieren herausgefunden haben, dass Kokosnussöl vor Krebs schützen kann: "Das Futter der an Krebs erkrankten Tiere war exakt gleich – bis auf die beigefügten Öle. Wir verwendeten Olivenöl, Sonnenblumenöl, Rapsöl, Kokosöl und andere. Bei allen Tieren in dieser Studie breitete sich der Krebs im Körper aus – außer bei den Tieren auf Kokosnussdiät", sagt Fife.
Das American Institute for Cancer Research (AICR) warnt allerdings auf seiner Homepage vor zu viel Euphorie. Zwar mache der hohe Selenwert die Kokosnuss zu einer hoch-antioxidativen Frucht, das heißt, sie bremst den Alterungsprozess der Zellen. Über ihre Wirkung als Krebsmittel würde das aber noch kaum etwas aussagen. Sehr gesund sei sie aber, denn Kokosmilch enthalte große Mengen Kalium, Magnesium und Vitamin-C. Kein isotonisches Sportgetränk schneide da besser ab. Weil der ph-Wert von Kokosnusswasser dem des menschlichen Blutes und sein Salzgehalt dem der menschlichen Zellen sehr ähnlich ist, kann man es sogar in Notfällen als Infusionslösung verwenden.
Energieunabhängigkeit und Klimaschutz
Auf abgelegenen Inseln, ohne eigene Wasserquelle, decken die Menschen ihren Flüssigkeitsbedarf heute noch ausschließlich mit Kokoswasser – und das rund um den Globus. Die Kokospalme wächst auf dem gesamten Tropengürtel zwischen dem 26. Grad südlicher beziehungsweise nördlicher Breite. In rund 90 Ländern leben mehr als elf Millionen Bauern von der Wundernuss. Auf den Philippinen wird seit 2006 Kokosöl nicht mehr nur zum Braten und Backen verwendet. Hier stellt man jetzt auch im großen Stil Biodiesel her. Das spart enorm viel Geld, weiß der Direktor der Asian and Pacific Coconut Community, Romulo Arancon. Schließlich will man kein teures Erdöl mehr importieren. "Kokosnussöl als Dieselersatz wird diese Staaten unabhängiger machen. Jetzt gilt es, die Ernten zu erhöhen, ohne die Natur zu zerstören. Vor allem darf der Biodiesel nicht zur Konkurrenz für den Nahrungsmittelanbau werden", so Arancon. Der neue Treibstoff sei nicht nur billiger, er gebe auch nur das CO2 an die Atmosphäre ab, das die Palme vorher aufgenommen habe. Außerdem würde Kokosdiesel besser riechen.
Nichts bleibt übrig
Doch nicht nur die Nuss, nahezu jeder Teil der Kokospalme kann verwertet werden: Stämme und Blätter dienen als Baumaterial für Häuser, Schiffe und Möbel. Die harte Schale ist ein hochwertiger Brennstoff und die Fasern der Frucht stellen einen ausgezeichneten Dämmstoff im ökologischen Hausbau dar. Und sogar die Abfälle der Nussernte haben noch Potential. Die deutsche Firma "Coirproject" macht aus dem Abfall ein Substrat, auf dem Obst und Gemüse wachsen, ohne dass man dafür Erde braucht. Bislang dienten Stoffe wie Steinwolle oder Glasfasermatten als Grundlage der erdlosen Pflanzenzucht. Doch "zur Herstellung von Steinwolle sind große Energieressourcen notwendig", sagt Firmenchef Carsten Klinge. Außerdem sei das gebrauchte Substrat als Sondermüll einzustufen und müsse aufwendig entsorgt werden. Die faserige Fruchthülle, die bei der Kokosnussernte übrig bleibt, sei dagegen eine unbedenkliche grüne Alternative. "In Sri Lanka", erzählt Klinge, "wurden Kokospalmen bisher hauptsächlich zur Gewinnung von Kokosmilch und Kokosmark angebaut. Durch die Weiterverarbeitung von Frucht und Schale zu Substrat wird der Verwendungskreis der Palmenfrüchte komplett".
Die Kokosnusspalme begleitet den Menschen also nicht nur seit 3000 Jahren als Nahrungs- und Baumittel. Es scheint auch für die Zukunft immer neue Nutzungsmöglichkeiten für diese erstaunliche Pflanze zu geben. Nur ein Wermutstropfen trübt das Verhältnis zwischen Mensch und Palme: Laut einer Studie der University of Florida sterben jedes Jahr ungefähr 150 Menschen durch fallende Kokosnüsse - 15 mal so viel wie durch Haiangriffe.