Belarus: Lukaschenko zieht Wahltermin auf Januar vor
3. November 2024Die nächsten Präsidentschaftswahlen in Belarus finden am 26. Januar 2025 statt, so ein Beschluss des Parlaments. Damit verkürzt sich die jetzige Amtszeit von Alexander Lukaschenko um mehr als sechs Monate. Regulär hätten die Wahlen spätestens im Juli 2025 stattfinden sollen. Wobei von freien und fairen Wahlen im seit 30 Jahren von Lukaschenko autoritär regierten Belarus keine Rede sein kann. Die Opposition im Land ist zerschlagen, ihre führenden Kräfte befinden sich entweder im Gefängnis oder im Exil. Und so veröffentlichten die belarussischen demokratischen Kräfte im Ausland eine gemeinsame Erklärung, in der sie die Belarussen auffordern, für keinen der Kandidaten zu stimmen, die bei diesen Wahlen antreten, da diese allesamt auf der Parteilinie Lukaschenkos stünden.
Ein geopolitisches Kalkül?
"Das Lukaschenko-Regime fürchtet sich vor echten Wahlen, vor jeglicher politischer Alternative, es fürchtet sich vor der Meinungsäußerung der Belarussen und vor Protesten - es fürchtet sich einfach vor allem", sagt der belarussische Politologe Wadim Moschejko. Angesichts dieser Ängste beeile es sich, diese Abstimmung möglichst schnell hinter sich zu bringen.
Gleichzeitig hält Moschejko es für möglich, dass die belarussische Führung den Wahltermin aus geopolitischem Kalkül vorgezogen hat. Denn die Wahlen sollen unmittelbar nach der Amtseinführung des Präsidenten der USA stattfinden, die für den 20. Januar geplant ist. Das neue amerikanische Staatsoberhaupt werde zwar schon im Amt sein, aber noch keine Zeit haben, sich tiefergehend mit der Osteuropapolitik zu befassen, so die Überlegung.
Ferner, so der Politologe, hoffe Lukaschenko, an möglichen Verhandlungen zur Beendigung von Russlands Krieg gegen die Ukraine beteiligt zu werden. "Lukaschenko möchte dies aus einer erneuerten Position heraus angehen", erläutert Moschejko. Er bezweifelt aber, dass es Lukaschenko gelingen wird, Teil solcher Gespräche zu werden.
Sucht Lukaschenko Anerkennung?
Der belarussische Politologe Walerij Karbalewitsch meint, Lukaschenko sei vielmehr bestrebt, endlich als "legitimer Anführer" von Belarus international anerkannt zu werden. Er wolle mit den Wahlen erreichen, dass der Westen die Realitäten in Belarus akzeptiert. Lukaschenko wolle so auch der aus dem litauischen Exil heraus arbeitenden Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja und ihrem Team, die sich als Sieger der Wahl im Jahr 2020 betrachten, jegliche Legitimation entziehen.
Weitere Gründe, warum es Lukaschenko mit den Wahlen so eilig hat, könnten dem Experten zufolge mögliche Gesundheitsprobleme des Machthabers sein.
Auch Politologe Artjom Schraibman hält das "Trauma von 2020" für den Hauptgrund für den vorgezogenen Wahltermin. Damals war es wegen Wahlbetrugs zu monatelangen Massenprotesten gekommen, die von den Behörden brutal niedergeschlagen wurden.
Lukaschenko wolle, so Schraibman, den Wahlkampf im Winter buchstäblich "maximal abkühlen". Er ist sich sicher, "dass derzeit keine Proteste drohen, aber man will wohl auf Nummer sicher gehen, nachdem man sich mit dem Wahlkampf im Sommer 2020 schon einmal die Finger verbrannt hat", so der Experte.
Interne Legitimierung nötig?
Alesia Rudnik vom belarussischen Exil-Think-Tank "Zentrum für neue Ideen" vermutet, dass das Regime in Belarus die vorgezogenen Wahlen vor allem zu einem "Verfahren zur internen Legitimierung Lukaschenkos" machen will. Denn nicht jeder im System sei davon überzeugt, dass Lukaschenko noch dieselbe Machtposition wie früher innehat.
Gleichzeitig ist Rudnik nicht sicher, ob Lukaschenko bei den Wahlen auch tatsächlich antreten wird. "Er hat bereits von seiner Teilnahme gesprochen und dies dann wieder dementiert", sagt sie und fügt hinzu, dass Lukaschenko noch erklären könnte, er habe es sich anders überlegt. Dabei könnte er eine Wahlempfehlung für einen Nachfolger abgeben. "Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass er dazu bereit ist, aber wir vernehmen solche Signale seit längerem und sehen auch, wie er hadert", so Rudnik.
Liberalisierung in Belarus?
Schraibman hat Zweifel. Er weist darauf hin, dass Lukaschenko schon öfter angedeutet habe, abtreten zu wollen. "Eine freiwillige Machtübergabe durch noch relativ gesunde Autokraten ist aber weltweit bislang nur äußerst selten vorgekommen", sagt der Experte. Für ihn wäre es "eine große Überraschung", wenn Lukaschenko bei diesen Wahlen nicht mehr antreten würde.
Alle Experten, mit denen die DW gesprochen hat, rechnen damit, dass das Regime versuchen wird, jeden offenen Wahlkampf zu unterdrücken. Dazu gehört auch, dass nur andere Kandidaten zur Wahl zugelassen werden, um Lukaschenko zu einem pseudolegitimierten Sieg zu verhelfen. Karbalewitsch rechnet damit, dass einige von ihnen im Wahlkampf sogar ganz offen nicht für sich selbst, sondern für Lukaschenko Stimmung machen könnten.
Die Experten betonen, es sei naiv zu glauben, in Belarus könnte es zu einer Liberalisierung kommen. Auch wenn Lukaschenko - wie bereits geschehen - erneut politische Gefangene begnadigen sollte, würde sich dadurch das politische Klima nicht ändern. Die Repressionen würden weitergehen.
Was den Aufruf der Opposition an die Bevölkerung angeht, für keinen Kandidaten zu stimmen, glauben weder Schraibman noch Karbalewitsch, dass dies eine größere politische Wirkung erzielen wird. Es sei lediglich die einzige sichere Möglichkeit für die Menschen in Belarus, ein Zeichen gegen das Regime zu setzen.
Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk