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Politik

Belarus: Briefe aus der Beugehaft

Bogdana Alexandrowskaja
14. Januar 2021

Maria Kolesnikowa, eine der Ikonen der belarussischen Protestbewegung, ist seit September 2020 in Haft. Ihre Angehörigen erzählen der DW, was sie von ihr aus dem Gefängnis erfahren.

Maria Kolesnikowa bei einem Massenprotest vor dem Präsidentenpalast am 30. August 2020
Kolesnikowa bei einem Massenprotest vor dem Präsidentenpalast am 30. August 2020Bild: Marina Serebryakova/Anadolu Agency/Getty Images

Alexander Kolesnikow hat seine Tochter Maria seit vier Monaten nicht mehr gesehen, denn sie sitzt in Untersuchungshaft. "Ich lebe auf jeden Brief hin und kann Nachrichten von Maria kaum erwarten. Ihre Briefe trage ich immer bei mir", sagt er. Die Behörden erlauben ihm aber nicht, seine Tochter zu besuchen.

Die belarussische Oppositionelle Maria Kolesnikowa hatte die Massenproteste der Demokratiebewegung gegen Machthaber Alexander Lukaschenko unterstützt und wurde am 8. September 2020 in Minsk festgenommen. Die Behörden versuchten, sie mit Gewalt des Landes zu verweisen. Doch an der Grenze zur Ukraine weigerte sie sich auszureisen und zerriss ihren Pass. Später wurde Maria Kolesnikowa der versuchten Machtergreifung in Belarus beschuldigt. Zudem läuft gegen sie als Mitglied des Koordinierungsrates der belarussischen Opposition ein Strafverfahren wegen "Schaffung einer extremistischen Gruppierung". Anfang Januar wurde die Untersuchungshaft von Kolesnikowa um weitere zwei Monate verlängert.

"Maria ist ein Mensch mit Überzeugungen"

Maria Kolesnikowa hat den größten Teil ihres Lebens mit Musik und Kultur verbracht. Die Flötistin lebte lange in Deutschland. Bei den letzten Präsidentschaftswahlen im August 2020 leitete sie zunächst das Team um den Kandidaten und Ex-Bankier Viktor Babariko. Nach dessen Verhaftung schloss sie sich Swetlana Tichanowskaja und Veronika Zepkalo an. Die Kundgebungen des "Frauen-Triumvirats" fanden stets großen Zulauf.

Das oppositionelle "Frauen-Triumvirat" im Sommer 2020: Veronika Zepkalo (links), Swetlana Tichanowskaja und Maria Kolesnikowa (rechts)Bild: picture-alliance/dpa/Tass/N. Fedosenko

Während sich Präsidentschaftskandidatin Tichanowskaja wohl aus Sicherheitsgründen nach der Wahl nach Litauen absetzte und seither von dort aus für einen Machtübergang kämpft, wurde Kolesnikowa Mitglied des Präsidiums des Koordinierungsrates der Opposition. Gegen dessen Mitglieder, die Lukaschenko Wahlbetrug vorwerfen und Neuwahlen fordern, leiteten die belarussischen Behörden sofort ein Strafverfahren wegen Machtergreifung ein. Fast alle wurden entweder verhaftet oder gewaltsam des Land verwiesen.

Kolesnikowas Angehörigen war natürlich klar, dass eine Teilnahme am Präsidentschaftswahlkampf und an den Protesten in Belarus gefährlich sein könnte. Doch niemand versuchte, sie davon abzubringen. "Wenn Maria sich zu etwas entschieden hat, dann lässt sie sich nicht mehr umstimmen. Heute weiß ich, wie wichtig ihr diese Entscheidung war, erzählt Tatjana Chomitsch, Kolesnikowas Schwester, die selbst im Wahlkampfteam von Viktor Babariko tätig war.

Kolesnikowas Verwandte beschreiben sie als willensstark und zuversichtlichBild: Getty Images/AFP/S. Gapon

Alexander Kolesnikow ist sehr besorgt über das plötzliche Verschwinden und die anschließende Inhaftierung seiner Tochter, obwohl er sich innerlich längst auf eine solche Entwicklung eingestellt hatte. "Wenn das eigene Kind in eine solche Lage gerät, wenn man nicht weiß, was passiert, wer dahintersteckt und welche Maßnahmen folgen, dann ist das natürlich sehr schwierig. Zuallererst habe ich gehofft, dass sie überlebt, denn ich weiß, dass bei uns in den 1990er Jahren Politiker verschwunden sind", so Kolesnikowas Vater.

Er ist sich sicher, dass Maria mit dem Zerreißen ihres Passes als Ausdruck des Protests gegen Gesetzlosigkeit die Belarussen beeindruckt hat: "Maria ist ein Mensch mit Überzeugungen. Sie hat oft beklagt, dass bei uns die grundlegenden Menschenrechte verletzt werden. Deshalb hat mich ihr Vorgehen nicht überrascht. Erstaunt hat mich jedoch die Art und Weise ihres Protests, denn so etwas braucht Mut."

Briefe sind voller Optimismus

Kolesnikowas Angehörige halten Kontakt zu ihr mit Briefen, aber auch über Anwälte, von denen sie von ihrem Zustand erfahren. "Ich habe regelmäßig Besuche beantragt, aber vergeblich", sagt Alexander Kolesnikow. Ihm zufolge gebe es auch Probleme beim Briefwechsel. Danach seien mehrere ihrer Briefe nicht bei ihm angekommen. 

Alexander Kolesnikow: Marias Briefe sind immer bei mirBild: privat

In den Briefen, die sie erhalten hätten, sei Kolesnikowa sehr positiv gestimmt, sagt Tatjana Chomitsch und zitiert: "Die Möglichkeit, die Geschehnisse von innen zu beobachten und am eigenen Leib zu spüren, ist eine wichtige Erfahrung. Da viele Menschen eine Untersuchungshaft durchgemacht und Gefängnisse erlebt haben, bin ich mir sicher, dass dies in Zukunft das ganze System des Strafvollzugs verändern wird. Ich habe keinen Zweifel daran, dass viele Insassen Initiativen ergreifen und sich für humanere und bessere Haftbedingungen einsetzen werden."

Unterstützung seitens europäischer Politiker

Seit der Verhaftung ihrer Schwester kämpft Tatjana Chomitsch tagtäglich für deren Freilassung. Unterstützung bekommt sie dabei aus ganz Europa. Marias Angehörige bemühen sich, jeder Beschwerde und jedem Ersuchen Briefe europäischer Politiker beizulegen, damit die belarussischen Behörden sehen, dass die ganze Welt über die Situation der 38-Jährigen Bescheid weiß. "Ich bin dankbar für die Unterstützung vieler Botschaften von EU-Ländern und auch der amerikanischen Botschaft. Es ist sehr wichtig zu wissen, dass man in dieser Not nicht allein ist", betont Alexander Kolesnikow.

Maria Kolesnikowa bei einer Kundgebung in Minsk am 17. August 2020Bild: Getty Images/AFP/S. Gapon

Tatjana Chomitsch meint, die Verlängerung der Haft für ihre Schwester um weitere zwei Monate zeige, dass die Behörden vor Maria Angst hätten. "Die Behörden versuchen, sie möglichst lange in Isolation zu halten. Sie trauen sich nicht, den Hausarrest zu lockern oder sie gegen Kaution auf freien Fuß zu setzen, weil sie sie für eine große Gefahr halten", sagt sie.

Trotzdem lassen die Verwandten nicht nach, Beschwerden einzureichen in der Hoffnung, dass Kolesnikowa freikommt. Ihr Vater sagt, dass sie eine standhafte und mutige Person sei und all das Unheil mit Würde ertragen werde. "Ich bin sehr stolz. In kurzer Zeit ist Maria vielleicht keine Politikerin geworden, aber sie bringt die Ideen und Wünsche vieler Belarussen zum Ausdruck."

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

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