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Belarus: Protest starker Frauen

8. August 2021

Seit einem Jahr trotzen Menschen dem brutalen Regime von Lukaschenko. Auch die Frauen, einst loyale Unterstützerinnen, wehren sich nun gegen den Diktator.

Frauen protestieren in Belarus
Die Proteste auf der Straße sind weniger geworden: Gewalt, Einschüchterung und Drohungen seitens der Regierung hat viele Protestbewegungen in die virtuellen Welt verlagert.Bild: picture-alliance/AP

Belarus ein Jahr nach der Wahl

02:54

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Ein Jahr ist es nun her. Am 9. August 2020 erklärte sich Alexander Lukaschenko zum Sieger der Präsidentschaftswahlen. Es folgten landesweite Massenproteste mit weiß-rot-weißen Flaggen, dann Festnahmen, Folter und Einschüchterungen, die kein Ende nehmen wollen: "Ich hatte das Gefühl, dass sie bald auch für mich kommen werden", sagt Anna Koval, die gemeinsam mit anderen Menschen Essen, Hygieneartikel und Kleidung für die Menschen in U-Haft sammelte. "Wir scherzen immer untereinander, dass wir Busphobie haben, eine speziell belarussische Angststörung. Wir meinen damit die kleinen Busse mit unbekannten Menschen, die dich jeder Zeit auf der Straße anhalten und in den Bus packen können. Sie sagen nicht, wer sie sind, wieso sie dich abgeschleppt haben. Auch Menschen, die politisch gar nicht aktiv sind, kann sowas passieren", sagt Anna Koval, die vor vier Monaten keinen anderen Weg sah, als ihr Heimatland zu verlassen.

Ihre persönliche Geschichte  und die vieler anderer Frauen in Belarus erzählt die Autorin Alice Bota in ihrem neuen Buch: "Die Frauen von Belarus", das gerade im Berlin Verlag erschienen ist: "Es hat etwas Erhabenes, wenn Menschen ihre Angst überwinden und sich einem ungleichen Kampf stellen, obwohl sie so unendlich viel zu verlieren haben. Wenn sie friedlich bleiben, obwohl sie so viel Gewalt erfahren", schreibt die Journalistin Alice Bota. Es sind genau jene Frauen, die ihre Stärke erkannt haben - und Lukaschenko herausforderten. Sie sind der entscheidende Faktor im Widerstand gegen ein Regime, das für die Frauen keinen Platz in der Politik vorsieht.

"Die Frauen von Belarus: Von Revolution, Mut und dem Drang nach Freiheit" von Alice Bota

Der Gesinnungswandel der Frauen

Jahrzehntelang verkörperte Lukaschenko die Vaterfigur, den Beschützer der Nation - vor allem Frauen unterstützten ihn und stimmten bei den Präsidentschaftswahlen für ihn. "Frauen waren soziale Garantien wichtig - und das Regime sorgte dafür, dass die sozialen Garantien fortbestehen. Frauen waren in besonderer Weise verwundbar und darauf angewiesen, dass ihnen der Staat hilft, wenn der Mann fehlt, dass es Elterngeld gibt, Mutterschutz, Kitaplätze", erklärt Alice Bota im DW-Interview.

Doch das Blatt habe sich abrupt gewendet. Das Entsetzen darüber, dass die eigenen Kinder auf der Straße misshandelt werden, sei groß, das habe die Mütter nicht kalt gelassen, sie konnten es Lukaschenko nicht verzeihen. "Zwar herrschte in den Familien sozialistischer Länder ein Matriarchat, die Frau hat die Familie zusammen gehalten, gearbeitet, sich um die Kinder gekümmert, vielleicht noch die Großeltern gepflegt, das System war und ist jedoch von Männern dominiert. Den Frauen wird eine besondere Rolle zugeschrieben, sie wird verehrt, aber zugleich auch auf ihren Platz verwiesen. Aber jetzt haben sich die Frauen überwunden, sie sind sichtbar - und selbst über ihre eigene Kraft überrascht", sagt Alice Bota. Und mit so einem Widerstand aus den Reihen der Frauen hat Lukaschenko nicht gerechnet. Maria Kolesnikowa, Swetlana Tichanowskaja und Veronika Zepkalo bilden zu dritt das weibliche Aushängeschild der Revolution.

Das Trio gegen Lukaschenko

Arm in Arm tourten die drei Frauen durchs Land, sprachen vor Journalisten, zeigten sich mit ihren Worten und Gesten stark und entschlossen vor der Menschenmenge. Veronika Zepkalos Symbol war das Siegeszeichen, Swetlana Tichanowskaja die Faust, Maria Kolesnikowa das Herz. Anfangs nahm Lukaschenko die Frauen nicht ernst: Er nannte sie abfällig "Mädchen, die Frikadellen machen können", aber nicht über Politik reden. Diese herablassende Haltung gegenüber Frauen und die erniedrigenden Worte in der Öffentlichkeit entpuppten sich als sein größter Fehler: Vom Beschützer entwickelte er sich zum verhassten Gegner der Nation.

Eigentlich wollten sich die drei Frauen nicht politisch engagieren. Doch die Politik hat sie gewissermaßen dazu gezwungen. Als die Männer der drei Frauen daran gehindert wurden, sich zur Wahl zu stellen, beschlossen, ihre Frauen dies zu vollenden. Swetlana Tichanowskaja, Hausfrau und Mutter, Veronika Zepkalo, IT-Managerin und ebenfalls zweifache Mutter, Maria Kolesnikova, Musikerin, Kulturmanagerin und Feministin. Sie haben es geschafft, Lukaschenko Angst einzujagen - umso härter fiel seine Reaktion aus. Während Tichanowskaja und Zepkalo ins Ausland flüchteten, sitzt Maria Kolesnikowa in Untersuchungshaft und wartet auf ihr Urteil: Ihr drohen bis zu zwölf Jahre Freiheitsentzug.

Zivilgesellschaft im  Aufbruch

Seit 1994 ist Alexander Lukaschenko an der Macht. Zwei Jahre später ließ er in einem Referendum die Verfassung ändern und weitete so seine Kompetenzen ins Grenzenlose aus. Er führte Staatssymbole ein, die stark an die Sowjetzeit erinnern. Belarussische Traditionen und auch die Sprache Belarussisch sind verpönt. "Selbst für die allerbesten Belarus-Kenner waren die Proteste eine Überraschung. Warum es nicht früher passiert ist?", diese Frage stellt sich auch die Autorin Alice Bota: "Der Zynismus des Staates in der Corona-Situation, die Äußerungen von Lukaschenko und die Verhöhnung der Toten, das habe dazu beigetragen, dass die Gesellschaft sich selbst neu entdeckte. So entstand eine neue Zivilgesellschaft. Viele hatten das Ausmaß der Unzufriedenheit unterschätzt. Die drei Frauen wurden zum Katalysator, vielleicht hätte es die Proteste auch so gegeben, aber sie brachten so einen starken Kontrast zu der verachtungsvollen Sprache des Regimes, sie sprachen über Liebe und Respekt", sagt Alice Bota im DW-Interview.

Ein Jahr nach den Protesten sind weiterhin Einschüchterungen und Folter an der Tagesordnung. Der Kampf der Straße und die Revolution der Frauen gehen trotzdem weiter.

"Derzeit findet eine radikale Säuberung von Dissidenten statt", sagt Marina Vorobei, Journalistin aus Belarus und Gründerin von freeunion.online, einer Online-Plattform für die Selbstorganisation von Menschen in öffentlichen Gewerkschaften. "Verfolgt werden nicht nur diejenigen, die an den Protesten teilgenommen haben, sondern einfach jeder, der als Mitglied der Zivilgesellschaft angesehen werden kann, wie NGOs. Seit Anfang Juli wurden mehr als fünfzig NGOs in Belarus durchsucht. Allein am Mittwoch, dem 14. Juli, der inzwischen als "schwarzer Mittwoch" für belarussische NGOs bezeichnet wird, wurden Durchsuchungen bei mindestens 18 öffentlichen Organisationen durchgeführt. Eine solche Massenverhaftung, Durchsuchungen und Beschlagnahmungen hat der belarussische NGO-Sektor zuvor noch nie erlebt. Deshalb, so scheint es, verlagert sich der Protest nun von der Straße in die Online-Sphäre, wo die Aktivisten und Aktivistinnen mehr Schutzräume haben. Doch ans Aufgeben denkt keine von ihnen. Darüber sind sich Anna Koval und Marina Vorobei einig.

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