1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Belarus: Die wirtschaftliche Seite der Krise

Andreas Rostek-Buetti mit Archiv
11. August 2020

Der Wahlausgang in Belarus, die Proteste in vielen Städten, die Enttäuschung im Land haben auch wirtschaftliche Gründe. Die Mittel des Regimes, eine gewisse Stabilität zu garantieren, werden weniger.

Orsha Flachs Fabrik in Belarus
Leinenfabrik in der Region Vitebsk, Belarus Bild: picture alliance/dpa/V.Drachev

Das Land, das vielfach und vielleicht vorschnell als letzte Diktatur in Europa belächelt wird, ließe sich vielleicht treffender als das letzte sowjetische Wirtschaftssystem ohne Sowjets beschreiben. Das hat die Macht Lukaschenkos bisher gesichert - und das gefährdet nun seine Macht. "It's the economy, stupid", so mag sich der alternde Machthaber manchmal den Satz aus den Zeiten von Bill Clinton in Erinnerung rufen.

Und die "economy" von Belarus ist von Russland in einer Weise abhängig, dass es verwundert, wie es das Land geschafft hat, eine wenn auch begrenzte Unabhängigkeit vom übermächtigen Nachbarn zu bewahren. Belarus mit seinen nicht einmal zehn Millionen Einwohnern grenzt zwar an die EU-Länder Polen, Litauen und Lettland, es grenzt an die Ukraine, aber es hat eben auch Russland als direkten Nachbarn - und Russland hat 144 Millionen Einwohner und ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) von fast 1.660 Milliarden Dollar (im Jahr 2018).

Wichtige Grenze - LKW-Fahrer zwischen Russland und Belarus Bild: DW/A. Burakow

Die Wirtschaftsleistung von Belarus lag im Jahr 2018 bei knapp 60 Milliarden Dollar, genaue Zahlen jüngeren Datums liegen nicht vor. Russland ist dabei, wen wundert es, der weitaus größte Handelspartner: Fast 40 Prozent seiner Waren exportiert Belarus ins Nachbarland. Nicht weniger gewichtig: Russland ist auch der größte Gläubiger und hält fast 38 Prozent der Staatsschulden von Belarus.

Subvention aus Moskau

Das alles ist aber womöglich weniger entscheidend als eine jahrelang gepflegte Form der Subvention des Regimes von Lukaschenko durch den Kreml. Russland lieferte große Mengen von Rohöl unter Weltmarktpreisen, das Öl wurde in belarussischen Raffinerien veredelt - das Ergebnis verkaufte Belarus zu Weltmarktpreisen. Die deutsche Zeitschrift Das Parlament schrieb unlängst, insgesamt summierten sich direkte und indirekte Subventionen durch Moskau nach vorsichtigen Schätzungen der Opposition "bis 2017 auf fast 90 Milliarden Euro".

Mit diesen Mitteln in der Hinterhand und einem für ehemalige GUS-Staaten überaus vorsichtigen Umgang mit Staatsunternehmen ist es dem Regime lange gelungen, für wirtschaftliche Stabilität zu sorgen. Die Weltbank beschreibt das in ihrem Länderbericht zu Belarus so: "... ein schrittweiser Transformationsprozess, der durch begrenzte Strukturreformen und eine bescheidene Ausweitung des Privatsektors gekennzeichnet ist".

Erdöl-Raffinerie in Mozyr, BelarusBild: bymedia

In der Folge gibt es in Belarus kaum Oligarchen, die durch die Zerschlagung und Privatisierung von Staatsunternehmen reich geworden wären - und der Staatssektor steht noch für fast die Hälfte des BIP. Die gehätschelten Staatsunternehmen garantieren Beschäftigung und eine gewisse Lohnsicherheit für die Bevölkerung, nur 6 Prozent leben unterhalb der Armutsgrenze (im reicheren Polen, daran erinnerte Le Monde diplomatique, sind es 14,8 Prozent). Aber die Staatsfirmen helfen nicht eben bei der Modernisierung der Wirtschaft.

Dynamischer IT-Sektor

Dafür sorgt - zumindest in der Zwei-Millionen-Stadt Minsk - ein lebendiger IT-Sektor. Die Weltbank vermerkt, dass die Informations- und Technologie-Industrie des Landes bis jüngst ebenso viel zum jährlichen Wachstum des BIP beitrug wie Agrarsektor, Industrie und Bau zusammen. Nicht zuletzt durch diesen IT-Sektor wächst zumindest in der Hauptstadt ein besser bezahlter Mittelstand. Das Einkommen außerhalb von Minsk liegt dagegen im Durchschnitt bei rund 200 Euro.   

Diese relative Stabilität des belarussischen Wirtschaftssystems wird allerdings inzwischen durch zwei einschneidende Probleme in Frage gestellt: die Corona-Krise und das absehbare Ende der Rohöl-Wohltaten Russlands.

Schon 1999 hatten Minsk und Moskau einen sogenannten Staatenbundvertrag abgeschlossen, der irgendwann einmal auf eine weitgehende Union beider Länder hinauslaufen sollte. Daraus wurde bislang nichts; der belarussische Machthaber Lukaschenko verstand es immer wieder, dem Drängen des Kremls mit Hinhaltetaktiken zu begegnen.

Das hatte allerdings Folgen. Zu Beginn dieses Jahres verfügte Moskau einen zeitweiligen Stopp der Rohöl-Lieferungen an den westlichen Nachbarn. Das führte unmittelbar zu einem Minus von 16 Prozent bei den belarussischen Exportzahlen im 1. Quartal. Seit Jahresbeginn verlor die belarussische Landeswährung innerhalb von sechs Monaten zudem fast 19 Prozent an Wert.

Corona und andere Krisen

Moskau will die Sonderbehandlung von Belarus nun bis 2025 zurückfahren, und Beobachter rechnen damit, dass Minsk dadurch bis 2024 knapp elf Milliarden Dollar verlieren könnte. Geld, das fehlen wird, um den sozialen Frieden im Land zu finanzieren.   

Einsatzpolizei in Minsk nach den Präsidentschaftswahlen Bild: picture-alliance/NurPhoto/C. Arce

Schon für das Jahr 2020 rechnet die Weltbank für Belarus mit einem Rückgang der Wirtschaft um mindestens zwei Prozent (andere Schätzungen der Bank sprechen sogar von einem Minus von vier Prozent).  Dabei spielen die Corona-Folgen in Russland, dem wichtigsten Handelspartner, eine große Rolle. Hinzu kommen die Pandemie-bedingten wirtschaftlichen Probleme auch in der EU, dem zweitwichtigsten Handelspartner.

Nicht zuletzt aber hat Machthaber Lukaschenko durch das lange Leugnen der Corona-Krise und das entsprechend schlechte Krisenmanagement viel Vertrauen in seiner Anhängerschaft verloren. "Ohne die Corona-Episode", so notierte schon Ende Juli das deutsche Magazin Cicero, sei "nicht zu erklären", warum die Opposition im Wahlkampf derart massiven Zulauf verzeichnete. Die Mittel, seine Anhänger mit materiellen Angeboten dennoch wie bisher bei Laune zu halten, dürften Lukaschenko dank der Krise fehlen. Auch das mag die anschwellende Repression nach den Wahlen erklären.

 

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen