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Belarus nimmt die Kulturschaffenden ins Visier

3. Mai 2021

Der Protest ist stiller geworden, doch der Widerstand gegen den Staat ist ungebrochen. Stimmen belarussischer Kulturschaffender zum Tag der Pressefreiheit.

Weißrussland | Nachbarschaftsproteste in Minsk
Seit August 2020 reißen die Proteste gegen Machthaber Lukaschenko in Belarus nicht abBild: DW

Anfang August 2020 ließ sich Alexander Lukaschenko nach der umstrittenen Präsidentenwahl zum Sieger erklären - und verlor damit mehrheitlich das Vertrauen der Bevölkerung in Belarus. Es folgten landesweite Massenproteste mit weiß-rot-weißen Flaggen, dann Festnahmen, Folter und Einschüchterungen. Ein halbes Jahr später sind die Proteste stiller geworden, die Straßen leerer, doch der Widerstand - vor allem in der Kulturszene - ist ungebrochen. Und neue Proteste bahnen sich an.

Belarus: Mit aller Härte

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Die Kultur unter Beschuss

"Die Proteste werden derzeit nicht so offensichtlich an der Oberfläche ausgetragen, jeder hat verstanden, dass es gefährlich ist, öffentlich zu protestieren. Aber wenn Regime-Mitglieder denken, dass die Menschen vergessen haben, was passiert ist, dann täuschen sie sich gewaltig", sagt die belarussische Schriftstellerin Volha Hapeyeva, zurzeit "Writers in Exile"-Stipendiatin des deutschen PEN-Zentrums, gegenüber der DW. "Du kannst derzeit festgenommen werden, allein wenn Du rot-weiße Socken trägst."

Weiß-Rot-Weiß - die Farben der Opposition. Bei den Massenprotesten im vergangenen Jahr waren überall weiß-rot-weiße Symbole zu sehen, die Farben der Nationalflagge des ersten unabhängigen belarussischen Staates, der am 25. März 1918 ausgerufen wurde. Lukaschenko hatte sie in seiner Amtszeit 1995 abgeschafft. Als Alternative führte er Staatssymbole ein, die stark an die Sowjetzeit erinnern. An eine Zeit, in der belarussische Traditionen und auch die Sprache Belarussisch verpönt waren. 

Volha Hapeyeva erzählt in ihrer Biografie "Camel Travel" vom Aufwachsen in den politisch unruhigen 1990-er JahrenBild: Helmut Lunghammer

Die Kulturszene als Bedrohung, so sehen es die Regierenden: "Das Umfeld, in dem wir arbeiten, ist kein leichtes", sagt auch Tatsiana Hatsura-Yavorskaya. Sie ist Leiterin des Watch Docs Festival in Minsk und Mitorganisatorin der Ausstellung "Die Maschine atmet, und ich nicht", die dem medizinischen Personal im Kampf gegen Covid gewidmet wurde. Die Corona-Pandemie wird von der Regierung Lukaschenkos immer noch klein geredet, verlässliche Statistiken über Infizierte oder gar Tote werden nicht veröffentlicht. Für die Regierenden war die Ausstellung ein Affront, und so wurde sie wenige Tage nach Eröffnung durch die Behörden geschlossen.

Tatsiana Hatsura-Yavorskaya wurde Anfang April festgenommenBild: Watch Docs, Belarus

Wohnung, Computer und Handy von Tatsiana Hatsura-Yavorskaya wurden beschlagnahmt - und sie selbst festgenommen. "Ich habe zehn Tage in Haft verbracht, am Ende wurde ich freigelassen, weil ich ein Kind habe. Meine Kollegen ohne Kinder sind noch im Haft. Aber ich rechne täglich mit einer neuen Festnahme", sagt Hatsura-Yavorskaya im DW-Gespräch. Sie sei pessimistisch, was die nahe Zukunft des Landes angehe - die schwierige Lage werde sie alle noch eine Weile begleiten. Raus aus Belarus, das darf sie im Moment nicht. "Ich musste eine Nichtausreise-Verpflichtung unterschrieben. Hätte ich diese Verpflichtung nicht unterschrieben, hätte ich wohl eine Wahl gehabt. Nun habe ich aber keine Wahl. Es sei denn, ich will in einem Kofferraum oder so ausreisen. Aber das will ich nicht."

Der Druck wächst

Auch die unabhängige Literaturszene spürt den Druck der Regierung. Verleger wie Hienadź Viniarski und Andrej Januschkewitsch wurden verhaftet, ihre Konten wurden gesperrt. Die Lage ist angespannt. Es vergeht kaum ein Tag ohne Repressionen und Festnahmen.

Hunderte Journalisten wurden festgenommen, auch Reporterin Katsiaryna Barysevich Bild: Sergei Sheleg/AP Photo/picture alliance

Viele tauchen ab - in die Anonymität: "Für uns Kulturschaffende wie auch für alle anderen, die in der Opposition sind, wird die Lage von Tag zu Tag schwieriger", sagt eine Künstlerin aus Minsk, die anonym bleiben möchte. "Ich überlege, ob ich meine Bilder, die ich anlässlich der Ereignisse im August vergangenen Jahres gemalt habe, veröffentlichen soll. Ehrlich gesagt habe ich Angst vor diesem Schritt. Hier in unserem Viertel patrouillieren jeden Tag Polizisten. Ich war gestern auf dem Weg zur Arbeit und hatte einen roten Mantel an. Wenn ich irgendwo weiß getragen hätte, hätten sie mich sicherlich angehalten. Sie misstrauen jedem", sagt die Künstlerin.

Der Staat gegen das eigene Volk

Die Schriftstellerin Julia Cimafiejeva ist - wie viele andere - ins Exil geflüchtet. Doch die Heimat lässt sie nicht los, sie schreibt sie weiterhin über die Ereignisse in Belarus: "Wir alle dachten, du seist eine Frau, (Anm.d.R.: Auf Belarussisch ist der Name des Landes weiblich) / blauäugig, weizenhaarig, / lebensspendend, (…) doch wir bemerkten nicht, (…) / wie du die Zähne fletschtest, / wie du khakifarbene Hosen anzogst, / wie du auf deinen kahlrasierten Schädel einen Spezialhelm setztest und dir einen Bart anmaltest. / Wie du den Schlagstock nahmst (…)"

Vor allem Frauen stehen im Widerstand gegen Lukaschenko an vorderster FrontBild: Verlag edition.fotoTAPETA, 2020

Das Gedicht "Meine Heimat" der Schriftstellerin Julia Cimafiejeva ist in dem Sammelband "Belarus - das weibliche Gesicht der Revolution" in einem Berliner Verlag erschienen - zusammen mit vielen anderen literarischen Werken von Kulturschaffenden aus Belarus. Cimafiejeva hat aktiv an den Protesten in der Heimat teilgenommen: "Ich hatte Glück, nicht festgenommen zu werden. Aber ich möchte nicht in einem repressiven Polizeistaat leben. Deswegen haben ich mich entschieden zu fliehen." Seit Ende vergangenen Jahres lebt Julia Cimafiejeva im Ausland.

"So gut wie nach jeder Wiederwahl Lukaschenkos gab es Repressionen", erzählt sie im DW-Gespräch. "Der Staat hat die unabhängige Kultur nie wirklich akzeptiert, und dennoch haben sie uns gelassen, sie haben sich nicht so eingemischt, wie das jetzt der Fall ist. Bis 2019 gab es mehr oder weniger ein normales Kulturleben in Belarus. (...) Aber heute, so scheint es mir, ist das öffentliche Kulturleben fast paralysiert." In ihrem Gedicht, das sie auf Englisch geschrieben hat, appelliert Cimafiejeva an die internationalen Organisationen:

This poem should be written in English.

This poem should be written in German.

This poem should be written in French, (...)

No Belarusian version for the poem,

No Russian version for the poem,

No Ukrainian version for the poem. (...)

This poem should be written in the languages

Of human rights organizations (...)

Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben das Wahlergebnis nicht erkannt, in vielen europäischen Städten finden regelmäßig Solidaritätsdemonstrationen statt. Auch andere internationale Organisationen äußerten sich beunruhigt über die Situation im Land. Doch mehr als Appelle gab es bisher nicht. "Vergangenes Jahr hatten wir schöne, bunte Bilder mit Frauen, die Blumen halten, mit weiß-rot-weißen Flaggen, die Welt hat sich für uns interessiert. Was jetzt vor sich geht, ist nicht so fotogen, es ist unmöglich, Bilder in Gefängniszellen zu machen, in denen jeden Tag Menschen gefoltert werden", sagt Julia Cimafiejeva. Die Situation in Belarus habe sich verschlechtert, mehr Aufmerksamkeit und mehr Aktionen seien notwendig, um die Situation zu ändern. Eine schnelle Wende in Belarus, auf die so viele gehofft hatten, ist nicht in Sicht - doch der Widerstand geht weiter.

 

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