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Politik

Polnische Heimatarmee mit Nazis gleichgesetzt

Tatyana Nevedomskaya
2. Juni 2021

Belarussische Behörden bezeichnen die Mitglieder der historischen polnischen Heimatarmee als "faschistische Verbrecher" und leiten ein Strafverfahren ein. Warschau ist empört.

Alexander Lukaschenko
In der Kritik: Belarus' Machthaber Alexander LukaschenkoBild: BelTA/dpa/picture-alliance

Erst Anfang des Jahres wurden in Belarus Angehörige der polnischen Minderheit unter Druck gesetzt und führende Repräsentanten inhaftiert. Jetzt hat die belarussische Generalstaatsanwaltschaft zudem die Widerstandskämpfer der polnischen Heimatarmee (AK) ins Visier genommen, die im Zweiten Weltkrieg im Untergrund gegen die deutsche Besatzungsmacht kämpften. Generalstaatsanwalt Andrej Schwed hatte die Widerstandskämpfer der AK, als "faschistische Verbrecher" bezeichnet.

Es gibt nicht mehr viele ehemalige Mitglieder der polnischen Heimatarmee, die die Anschuldigungen der belarussischen Behörden mitbekommen haben dürften. Eine von ihnen ist die 90-jährige Weronika Sebastianowicz vom "Verein der Soldaten der Heimatarmee in Belarus". Sie war erst 13, als sie der AK beitrat. Sechs Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde sie festgenommen, gefoltert und überlebte den Gulag. Zu den Vorwürfen Stellung nehmen wolle sie lieber nicht, sagte sie der Zeitung "Rzeczpospolita". Angst habe sie aber auch nicht.

Am 9. April haben die Behörden in Belarus ein Strafverfahren "wegen Völkermords am belarussischen Volk" gegen ehemalige Mitglieder der AK während des Zweiten Weltkriegs eingeleitet. Mitte Mai sprach Generalstaatsanwalt Andrej Schwed in einer Sendung des staatlichen Fernsehsenders "Belarus 1" über die ersten Ergebnisse. Ihm zufolge liegen Informationen über noch lebende "Nazi-Verbrecher" vor, "in erster Linie aus litauischen SS-Bataillonen und der polnischen Heimatarmee". Schwed kündigte an, entsprechende Rechtshilfeersuchen auch an Polen zu richten.

Die AK war eine 1942 aus Widerstandszellen hervorgegangene Freiwilligen-Armee im von Deutschland seit 1939 besetzten Polen, der sich Hunderttausende anschlossen. Seit der Wende wird die Heimatarmee in Polen auch offiziell verehrt. Die Nazi-Vergleiche aus Belarus sorgten entsprechend für Empörung. Man habe von Minsk eine Erklärung verlangt, ob die Worte des Generalstaatsanwalts "publizistischen Charakter" trügen oder den "offiziellen Standpunkt" der belarussischen Führung darstellten, so das polnische Außenministerium. Polen sehe eine klare Zuspitzung im bilateralen Verhältnis.

Kritisiert das Vorgehen Lukaschenkos: Michal Dworczyk, Kanzleichef des polnischen PremierministersBild: picture-alliance/PAP/D. Delmanowicz

Im Desinformationskrieg?

Der Kanzleichef des polnischen Premierministers, Michał Dworczyk, sprach von einer weiteren Etappe eines "Desinformationskrieges" Lukaschenkos. Den freilich sieht auch Generalstaatsanwalt Schwed, aber mit umgekehrten Vorzeichen: Staaten, "die an der Massenvernichtung von Belarussen und anderer während des Großen Vaterländischen Krieges und in der Nachkriegszeit beteiligt waren", hätten einen Informationskrieg entfesselt, "um historische Ereignisse zu verzerren". Zudem hätten diese Länder versucht, die belarussische Rechtsordnung zu destabilisieren, und sich dabei "Methoden des Radikalismus und verschiedener Formen des Extremismus" bedient.

Historiker beiderseits der Grenze halten eine Vorstellung von der AK, bei dem die polnische Untergrundarmee gleichsam zu einem Helfershelfer Adolf Hitlers wird, für völlig abwegig. Die Heimatarmee sei der polnischen Exilregierung in London unterstellt und Teil der Anti-Hitler-Koalition gewesen, erinnerte etwa der belarussische Historiker Ihar Melnikau gegenüber der "Rzeczpospolita". "Man kann ihr Nationalismus vorwerfen und den Einsatz für ein Polen in den Grenzen von 1939, aber eine faschistische Formation war sie in keiner Weise."

"Schlicht absurd" nennt sein polnischer Kollege Janusz Marszalec die Nazi-Vergleiche aus Minsk. "Ich denke, niemand auf der Welt wird daran glauben, die polnische Heimatarmee habe Hand in Hand mit den Deutschen Terror übers Land gebracht und irgendwelche 'Befriedungen' durchgeführt."

Polnische Heimatarmee in Belarus umstritten

Dabei sind einzelne Fälle von Verbrechen aus den Reihen der AK durchaus dokumentiert. Historiker würden sie ohne jede Scheu bearbeiten, unterstreicht Marszalec. Morde an Juden gehörten ebenso dazu wie die "Vergeltungsaktion" einer "Wilnaer Brigade" der AK in Litauen, der litauische Zivilisten zum Opfer fielen. Dabei habe es sich aber um Randerscheinungen gehandelt, die einen Schatten auf die AK würfen. Mit Bezug auf Belarus seien ihm keine solchen Übergriffe bekannt, so Marszalec. Insgesamt gebe es einen weitgehenden Historiker-Konsens, der auf eine unterm Strich positive Beurteilung der AK hinauslaufe.

Historiker Janusz Marszalec hält Nazi-Vergleiche für absurdBild: Grzegorz Mehring

"Die Heimatarmee war keine Heilige und ihre Soldaten haben natürlich während des Zweiten Weltkriegs Taten begangen, die als Kriegsverbrechen bezeichnet werden können", urteilt der belarussische Historiker Alexander Paschkewitsch. "Wenn man will, kann man viele Beweise dafür finden, dass unschuldige Menschen durch sie starben, und dass Menschen überhaupt mit Waffen allerlei Unwesen getrieben haben. Aber wir wissen, wie grausam dieser Krieg auf unserem Territorium war, und man kann mit Sicherheit sagen, dass jede Seite sich solche Dinge hat zu Schulden kommen lassen. Doch zu sagen, dass die Heimatarmee programmatisch und zielgerichtet einen Genozid an den Belarussen verübt hat, ist eine große Übertreibung", sagt er.

In Belarus ist die Sicht auf die Heimatarmee durchwachsen. Die vom Sowjetsystem geprägte Erinnerungspolitik sei darauf aus gewesen, ein negatives Image der AK aufzubauen, weil sie als ideologischer Feind gesehen wurden, erinnert Paschkewitsch. Im unabhängigen Belarus habe sich daran nicht allzu viel verändert.

Diskreditierung des Feindes

Die derzeitige Aufmerksamkeit der Minsker Staatsmacht für die Geschichte ist Paschkewitsch zufolge auf die aktuelle politische Situation zurückzuführen. Für die belarussische Gesellschaft selbst sei es momentan kein Thema. Einige staatliche Medien zeigen gleichwohl Interesse. Zum Beispiel hat die Zeitung "Grodnenskaja Prawda" eine Reihe von Beiträgen zu den "wahren Motiven der polnischen Heimatarmee" veröffentlicht. Es gibt auch Berichte und Sendungen im staatlichen Fernsehen.

Der belarussische Politologe Walerij Karbalewitsch findet es ebenfalls "offensichtlich, dass diese ganze Kampagne über den Kampf gegen den Nationalsozialismus politisch motiviert ist und dass Geschichte hier nur als Instrument genutzt wird, um politische Ziele zu erreichen". Den Minsker Machthabern ginge es darum, mit Hilfe der Ereignisse von vor 80 Jahren die Gegner von heute als "Neonazis" zu diskreditieren.

Dass nun aber ernsthaft Täter aus den Reihen der AK identifiziert und angeklagt würden, sei per se unwahrscheinlich, meint Alexander Paschkewitsch. "Von denjenigen, die direkt während des Krieges gekämpft haben, lebt wohl niemand mehr, und diejenigen, die noch leben, waren am polnischen Widerstand der Nachkriegszeit beteiligt, als die Heimatarmee formell nicht mehr existierte", so der Historiker.

Hier freilich spielt Lukaschenkos Propaganda in die Hände, dass unter der PiS-Partei in Polen ein Kult um den antikommunistischen Untergrund der Nachkriegszeit entstand. Dafür steht etwa Romuald Rajs, Kampfname "Bury". Der umstrittene Widerstandskämpfer und Mitglied der AK sowie Anführer einer paramilitärischen Einheit soll den Mord an Dutzenden Menschen der orthodox-belarussischen Minderheit verantwortet haben. Seit dem Machtantritt der PiS-Partei wird der umstrittene Partisan geehrt; das staatliche Geschichts-Institut IPN meldet Zweifel an den Vorwürfen gegen ihn an. Nationalistische Gruppen ziehen regelmäßig durch jene Dörfer im polnischen Osten, wo sich die Menschen noch an die Gräueltaten erinnern, um "Bury" zu ehren. Allerdings fallen die dem früheren AK-Mitkämpfer zur Last gelegten Verbrechen auf das Jahr 1946. Damals hatte sich die AK bereits aufgelöst, und einige ihrer Veteranen, wie "Bury", hatten sich angesichts der nun kommunistischen Zwangsherrschaft im Land radikalisiert.

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