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Politik

Belarus treibt Studierende ins Exil

Elena Danilovich
24. März 2021

In Belarus mussten hunderte Studierende für ihre Regimekritik einen hohen Preis bezahlen: Sie wurden der Uni verwiesen, inhaftiert oder ins Exil gezwungen. Die DW sprach mit einem Paar, das in die Ukraine geflohen ist.

Weißrussland Anastasia Petrowitsch und Maxim Zafranskiy Studenten aus Belarus
Anastasia Petrowitsch und Maksim Zafranski auf dem Unabhängigkeitsplatz in KiewBild: Privat

"Unser erster Gedanke war: Wir müssen uns irgendwie retten! Aber wir wussten nicht wohin und auch nicht, an wen wir uns wenden könnten", sagt Anastasia Petrowitsch. In nur 20 Minuten packten sie und ihr Freund Maksim Zafranski ihre notwendigsten Habseligkeiten zusammen und stiegen in einen Bus von Minsk nach Kiew. An der Grenze zur Ukraine verbrachten sie rund fünf Stunden, da die belarussischen Beamten verschärfte Kontrollen durchführten. In Maksims Tasche fanden sie Flugblätter, die wegen "Extremismusverdachts" von den zuständigen Stellen erst noch geprüft wurden. Schließlich aber konnten die jungen Leute Belarus ungehindert verlassen.

Bis dahin hatten Anastasia und Maksim an der Staatlichen Wirtschaftsuniversität in Minsk studiert. Beide hatten zu den Organisatoren des Streikkomitees an ihrer Hochschule gehört. Die Proteste richteten sich gegen die mutmaßlich gefälschte Präsidentenwahl vom August 2020. Aus Angst vor einer Inhaftierung entschieden sie sich, in die benachbarte Ukraine zu fliehen. Nach ihrer Ankunft in Kiew schrieben sie von einem Schnellrestaurant mit Internetzugang aus an Freunde in der Ukraine. "Anfangs half uns ein Bekannter, und dann ermöglichte uns der Besitzer eines Hotels in Kiew, einen Monat lang kostenlos bei ihm unterzukommen", so Anastasia.

Uni-Rauswurf und KGB-Verhöre

Am Tag seiner Abreise war Maksim trotz guter Noten von seinem Studium ausgeschlossen worden. Formeller Grund waren zwei Verurteilungen: Zum einen, weil er an einem Sitzstreik auf einer Treppe der Universität teilgenommen hatte, um sich so mit einem Protest von Rentnern gegen Lukaschenko zu solidarisieren; zum anderen, weil er zwei Wochen lang keine Uni-Veranstaltungen besucht hatte. Maksim hatte Ende Oktober gerade aufgrund jener Protestaktion 15 Tage im Gefängnis gesessen.

Studentenproteste in Minsk im Oktober 2020Bild: Stringer/AFP/Getty Images

Im Herbst wurden Maksim und Anastasia zudem als Zeugen der Unruhen in Minsk von der Polizei und dem KGB verhört. Warum der Geheimdienst dies tat, ist den beiden nicht ganz klar. Denn ihrer Meinung nach habe der KGB zu diesem Zeitpunkt längst über alle Namen und alle nötigen Informationen verfügt. Anastasia vermutet, die Verhöre seien ein Loyalitätstest gewesen. Außerdem habe der Geheimdienst versucht, sie dazu zu bewegen, vor Gericht gegen andere Studierende auszusagen. Maksim glaubt eher daran, dass die Demonstranten insgesamt eingeschüchtert werden sollten.

Unterstützung aus dem Ausland

Er und seine Freundin sind nicht die einzigen jungen Belarussen, die ihr Land unter dem Druck des KGB verlassen mussten. Fast das ganze Streikkomitee ihrer Uni, aber auch viele Studierende anderer Hochschulen befinden sich inzwischen im Ausland. Sie alle fürchteten um ihre Freiheit. Jetzt betreiben sie gemeinsam einen Kanal beim Messengerdienst Telegram und unterstützen so diejenigen, die in Minsk geblieben sind.

Laut der "Studentischen Initiativgruppe", einer Vereinigung von Studierenden von 15 belarussischen Universitäten, wurden seit September 2020 insgesamt 415 Studierende bei Protesten in Belarus festgenommen, 135 der Uni verwiesen und gegen 27 Strafverfahren eingeleitet. Die Situation habe sich zugespitzt, nachdem Alexander Lukaschenko Ende Oktober angekündigt hatte, dass denjenigen, die landesweite Streiks unterstützten, die umgehende Exmatrikulation drohe. "Schickt sie in die Armee oder werft sie auf die Straße. Sie müssen von der Universität ausgeschlossen werden", hatte Lukaschenko verlangt.

Verhaftungen und Repressionen

Der 12. November 2020 war ein schwarzer Tag für eine ganze Reihe von Studierenden in Belarus. Mitarbeiter des KGB durchsuchten die Wohnungen von neun Studierenden und einem Dozenten von insgesamt fünf verschiedenen Minsker Universitäten. Ihnen wurde vorgeworfen, bei Protestaktionen die öffentliche Ordnung grob verletzt zu haben. Darauf stehen in Belarus bis zu drei Jahre Gefängnis. Seit vier Monaten sind die jungen Leute in Haft.

Insgesamt sind zwölf Personen in diesem Fall angeklagt. Sechs von ihnen sind Aktivisten der Vereinigung belarussischer Studenten. Die belarussischen Ermittler behaupten, die Uni-Proteste seien mit der ehemaligen Präsidentschaftskandidatin und Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja abgesprochen gewesen, die sich mittlerweile ebenfalls im Exil befindet. Sie hätten den Unterricht gestört, da Studierende Flure blockiert, Parolen gerufen, gepfiffen und gesungen hätten.

Der Student Artem Winokurow wurde in diesem Zusammenhang bereits zu drei Jahren Haft verurteilt. Nach Angaben des Innenministeriums hatte er zusammen mit Kommilitonen einen Hörsaal betreten und zum Streik aufgerufen, was auf Video festgehalten sei. 

Die demonstrativen Verhaftungen und Gerichtsverfahren zeigten Wirkung: Heute sagt kaum noch ein Studierender in Belarus offen seine Meinung. Die Aktivsten gehen nur noch kurz auf die Straße und verteilen Aufkleber und Flugblätter an ihren Unis. Und die Mahnwachen für politische Gefangene gibt es mittlerweile nur noch als Bildergalerien im Internet. Dabei halten Studierende Plakate hoch, mit denen sie ihre Gesichter verdecken. Diejenigen, die von der Uni geflogen sind, aber Belarus nicht verlassen haben, kämpfen derweil weiter für ihr Recht, das Studium wieder aufzunehmen.

Anastasia Petrowitsch und Maksim Zafranski hoffen auf ein freies BelarusBild: Privat

"Zuhören statt demütigen"

Anastasia und Maksim leben nun in Kiew und wollen dort ihr Studium fortsetzen. Doch zunächst suchen sie einen Teilzeitjob. Ein Anwalt berät sie, wie man am besten eine ukrainische Aufenthaltserlaubnis beantragt. Einige Stiftungen haben sich bereiterklärt, die beiden finanziell zu unterstützen. Das junge Paar ist überzeugt davon, dass sich die Zivilgesellschaft in ihrer Heimat weiterentwickeln muss. Sie hoffen, dass Studierende in Belarus bald wieder demonstrieren können.

"Ich möchte ein Land, das das eigene Volk nicht demütigt oder schlägt, sondern ihm zuhört und dessen Initiativen nicht erstickt", sagt Maksim. Und Anastasia fügt hinzu: "Ich würde mir wünschen, dass man wegkommt vom Gedanken, immer Russland um Geld zu bitten. Wir sollten uns selbst um unsere Wirtschaft kümmern, ohne auf die Hilfe des 'großen Bruders' zu hoffen."

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

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