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Politik

Wo die Justiz (weiß-)rot sieht

Ales Petrowitsch
11. April 2021

Weiß und rot sind die Farben der Protestbewegung in Belarus. Doch die wird mit allen Mitteln unterdrückt. Auch mit teils absurden Gerichtsprozessen: Selbst für einen weiß-roten Regenschirm kann man schon belangt werden.

Belarus Protest l Demonstration mit weiß-roten Regenschirmen in Minsk
Begehen diese Belarussinnen in Minsk gerade eine Straftat?Bild: AFP/Getty Images

Offene Demonstrationen gegen das Regime von Machthaber Alexander Lukaschenko sind selten geworden. In den vergangenen Monaten haben die belarussischen Sicherheitsbehörden mit aller Macht versucht, sämtliche Proteste im Keim zu ersticken. Auch mithilfe der Justiz. Gerichtsprozesse, die im Zusammenhang mit den Protesten nach den Präsidentschaftswahlen im August 2020 stehen, gibt es wie am Fließband - selbst in kleinen Provinzstädten, in denen gar keine Massendemonstrationen stattgefunden hatten.

Strafe für Schild am Haus

In Iwanowo in der Region Brest etwa stand in dieser Woche Andrej Draschin vor Gericht. Am 26. März hatte er Besuch von vier Polizisten bekommen, die sich für ein weiß-rotes Schild an seinem Haus interessierten, das die Aufschrift "Komsomolskaja-Straße" trug. Dem Eigentümer des Hauses wurde vorgeworfen, "durch das Aufhängen des Schildes einen Protest durchgeführt" zu haben, worauf er für drei Tage in Untersuchungshaft kam. Andrej bekannte sich nicht schuldig. "Im Protokoll steht, ich hätte das Schild erst vor kurzem für die Öffentlichkeit sichtbar an meinem Haus angebracht," so Draschin, "aber es hing dort schon fünf Jahre, und das hat nie irgendjemanden gestört."

Das weiß-rot-weiße Straßenschild an der Hauswand von Andrej DraschinBild: Ales Petrowitsch/DW

Vor Gericht stellte sich heraus, dass das weiß-rote Schild mit dem Straßennamen einem vorbeifahrenden Verkehrspolizisten aufgefallen war. Den Richter interessierte vor allem, warum das Schild gerade diese Farben trug, die Symbol der Protestbewegung in Belarus sind. Andrej beteuerte, er habe keine politischen Ziele verfolgt. "Ich wusste nicht, dass das Schild solche Assoziationen wecken würde. Wenn man mir befohlen hätte, es zu entfernen, hätte ich das getan", so Andrej. Trotzdem wurde er wegen Verstoßes gegen das "Gesetz über Massenveranstaltungen" für schuldig befunden und mit einer Geldstrafe von 1160 belarussischen Rubel, umgerechnet 375 Euro, belegt.

Politische Lager unter verschiedenen Flaggen

Im Zuge der Proteste nach den Präsidentschaftswahlen 2020 wurde in Belarus die ehemalige weiß-rot-weiße Staatsflagge zum Symbol für die Opposition. Die weiß-rot-weiße Flagge war bereits im späten 19. Jahrhundert ein Symbol der belarussischen Nationalbewegung. Nach der Gründung der Belarussischen Volksrepublik im Jahr 1918 wurde sie zu ihrer Staatsflagge, und 1991 wurde sie zur Flagge der unabhängigen Republik Belarus. Doch nach Lukaschenkos Machtübernahme im Jahr 1994 wurden wieder Staatssymbole eingeführt, die an die Sowjetzeit erinnern. Die jetzige rot-grüne Flagge folgt dem Aussehen der Flagge der vormaligen Belarussischen Sowjetrepublik. Lediglich auf die Darstellung von Hammer und Sichel wurde verzichtet. Die belarussischen Behörden bezeichnen die Verwendung der weiß-rot-weißen Fahne als extremistisch. Auf ihre Verwendung stehen Geld- und Haftstrafen.

Demonstranten in Minsk versuchen, beide Flaggen miteinander zu verbindenBild: Valery Sharifulin/TASS/dpa/picture-alliance

Spaziergang mit weiß-roten Regenschirmen

Auch die Lehrerin Jelena Puzykowitsch wurde verurteilt: Grund war ein Spaziergang der Lehrerin mit ihren Freundinnen durch die Straßen ihrer Heimatstadt Iwanowo - mit weiß-roten Regenschirmen.

Als die fünf Frauen am Polizeigebäude in Iwanowo vorbeikamen, seien rund 15 Polizisten herausgestürmt. Einer der Beamten sagte später als Zeuge vor Gericht, die Frauen seien "im Zusammenhang mit einer Straftat" gestoppt, aber nicht festgenommen worden, "um sie nicht körperlich zu verletzen". Jelena wurde vom Bezirksgericht in Iwanowo zu einer Geldstrafe von 1485 belarussischen Rubel (rund 480 Euro) verurteilt. Außerdem wurde ihr Auto bis zur Zahlung der Geldstrafe beschlagnahmt.

Nach dem Prozess hatte der örtliche Polizeichef Sergej Kotik die lokalen Behörden aufgefordert, "vorbeugende Maßnahmen gegen Jelena Puzykowitsch und andere Bürger zu ergreifen, die der Teilnahme an einer nicht genehmigten Kundgebung für schuldig befunden wurden". Worin diese Maßnahmen bestehen sollen, ist nicht bekannt. Jelena Puzykowitsch hat gegen das Urteil mittlerweile Berufung eingelegt.

Hausarrest für Beamtenbeleidigung

Im Bezirk Pruschany in der Region Brest musste sich Ljudmila Karasowskaja in einem Strafprozess wegen Beamtenbeleidigung verantworten. Laut Staatsanwaltschaft soll die Frau in einem Telegram-Chat unter das Foto eines Polizisten das Wort "Bulle" geschrieben haben. Das Gericht stellte fest, mit dem Wort werde eine "Person männliches Geschlechts negativ bewertet". Es sei unhöflich und beleidigend. Ljudmila gestand ihre Schuld teilweise ein. Sie habe emotional reagiert und den Polizisten nicht beleidigen wollen. Auch sei ihr nicht klar gewesen, dass dies strafrechtliche Folgen haben könnte.

Im Oktober 2020 waren in Minsk Zehntausende aus Protest gegen Machthaber Lukaschenko auf die Straße gegangenBild: Stringer/Reuters

Der betroffene Beamte gab vor Gericht an, er fühle sich in seiner Ehre und Würde verletzt, und forderte ein Schmerzensgeld. Ljudmilas Entschuldigung half ihr nicht. Sie wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, während der sie eine Reihe von Auflagen befolgen muss, So muss Ljudmila sich regelmäßig beim Gang zur Arbeit und nach dem Heimweg bei der Polizei melden. Dem Polizisten musste sie ein Schmerzensgeld von 300 Rubel (rund 100 Euro) zahlen.

Strafen für Baumschmuck

In Kobrin wurden mehrere Menschen festgenommen, weil sie im örtlichen Park Bäume mit weiß-rot-weißen Bändern dekoriert und Flugblätter verteilt hatten. Die Ärztin Julia Rafalowitsch bekam sieben Tage Haft, drei weitere Rentnerinnen Geldstrafen von jeweils 290 Rubel (rund 90 Euro). 

Während Julia Rafalowitsch in Einzelhaft sitzt, wurde bekannt, dass sie ihre Arbeitsstelle im örtlichen Krankenhaus verlieren könnte. In der Stadt werden jetzt Unterschriften gesammelt, um sie zu unterstützen. Die Initiatoren des Appells, der auch an die Leitung des städtischen Krankenhauses gerichtet ist, halten die Verurteilung der Ärztin für "empörend und inakzeptabel".

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

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