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PolitikAfrika

Belgien gibt Lumumbas Zahn zurück

Priyanka Shankar
19. Juni 2022

Vor mehr als 60 Jahren wurde Patrice Lumumba mithilfe Belgiens und der CIA ermordet und sein Leichnam in Säure aufgelöst. Was blieb, war ein Zahn - den rückt Brüssel jetzt endlich raus.

Patrice Lumumba | Kongo (historische Aufnahmen)
Patrice Lumumba 1960 in New YorkBild: Everett Collection/picture alliance

"Mehr als 60 Jahre Schmerz" - so beschreibt Juliana Lumumba die Gefühle ihrer Familie. Die 67-jährige Politikerin hat einen prominenten Vater: Patrice Lumumba, einst Premierminister des unabhängigen Kongo (heute DR Kongo), ermordet 1961 von seinen politischen Feinden, die dabei von Belgien und den USA unterstützt wurden. Anschließend wurde sein Leichnam in Batteriesäure aufgelöst - geblieben sind nur Fingerknochen und ein Zahn.

"Für uns als Familie muss es ja irgendwie weitergehen, aber dazu müssen wir die Überreste unseres Vaters beerdigen", so Juliana Lumumba in einem Interview, dass die DW mit ihr telefonisch aus dem Kongo geführt hat. "Bislang hat der Übergabe viel Bürokratie im Weg gestanden - und Corona. Wir warten noch immer auf den Zahn. Hoffentlich übergibt uns Belgien das, was uns gehört."

Lumumba: Symbol für ganz Afrika

Jetzt soll es so weit sein: Am 20. Juni wird Belgien den Zahn offiziell an die Familie von Patrice Lumumba übergeben - bei einer Zeremonie in Brüssel. Der Zahn ist ein Symbol: für die dunkle Geschichte Belgiens im Kongo. Eine Zeit, mit deren Verarbeitung sich Belgien noch immer schwertut, wie Juliana Lumumba glaubt.

Statue von Lumumba in Kinshasa. In der DR Kongo gilt er als NationalheldBild: Arsene Mpiana/AFP/Getty Images

Patrice Lumumba wurde 1960 der erste demokratisch gewählte Premierminister im unabhängigen Kongo, heute DR Kongo. "Ich erinnere mich daran, wie ich als Fünfjährige mit ihm in sein Büro ging", so seine Tochter. Schon während des Kolonialismus habe ihr Vater die Demokratie personifiziert. Und doch war er nicht mal ein Jahr im Amt. Staatspräsident Joseph Kasavubu verbündete sich mit Oberst Joseph Mobutu zu einem Putsch, an dessen Ende Lumumba im September 1960 aus dem Amt getrieben wurde.

Zahn kam als "Jagdtrophäe" nach Belgien

Unter Mobutu kam Lumumba zunächst ins Gefängnis, aber auch dort vertrat er weiter demokratische und auch kommunistische Werte. Dies machte ihn allerdings zu einer Gefahr in den Augen der USA und Belgiens. Der belgische Autor Ludo de Witte, Verfasser des Buchs "Die Ermordung von Lumumba" sagt im DW-Interview: "Sie hatten Angst, er könne Unterstützung aus der Sowjetunion erhalten. Wir waren ja auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs". Belgien habe die von Lumumba vertretenen Werte als ihren Interessen im Kongo entgegenstehend gewertet.

Diese Furcht führte im Januar 1961 zur Ermordung von Lumumba. Soldaten des damals vom Kongo abtrünnigen Staat Katanga erschossen ihn unter belgischem Kommando. "Nach der Erschießung kümmerte sich ein belgischer Polizist namens Gérard Soete gemeinsam mit seinem Bruder um die Entsorgung der Leiche, um so alle Nachweise zu vertuschen. Sie zerteilten den Körper und lösten ihn in Säure auf", so de Witte. "Doch einige Körperteile nahm Soete sozusagen als 'Jagdtrophäe' mit nach Belgien. Das kann mit dir passieren, wenn einige Eliten dich für eine Bedrohung halten", erklärt de Witte.    

1961 wurde Lumumba zum ersten Premierminister des unabhängigen KongoBild: Everett Collection/picture alliance

Belgien moralisch mitverantwortlich

Nach der Veröffentlichung von de Wittes Buch 1999 bestätigte Soete seine Rolle bei der Ermordung. 2001 eröffnete das belgische Parlament eine Untersuchung und kam zu dem Schluss,dass  Belgien moralisch verantwortlich sei für Lumumbas Tod. "Bei der Exekution waren Minister aus Katanga dabei, sie wurde ausgeführt von Gendarmen aus Katanga, aber auch ein belgischer Polizist und drei belgische Offiziere waren anwesend, und sie standen unter Aufsicht der katangischen Behörden", so der Untersuchungsbericht. Die belgische Regierung, so der Bericht, habe die Exekution außerdem weder missbilligt, noch Bedauern geäußert. Der belgische Außenminister zum Untersuchungszeitraum, Louis Michel äußerte daraufhin sein "ernsthaftes Bedauern" über die Rolle Belgiens. Der Zahn Lumumbas blieb aber weiter in Belgien, zuletzt in der Staatsanwaltschaft Brüssel. Erst 2020, auf dem Höhepunkt der Black Lives Matter-Bewegung, antwortete Belgiens König auf einen Brief von Juliana Lumumba und sagte zu, den Zahn zurückzugeben. "Das ist für uns als Familie wichtig - noch wichtiger aber ist es für die Menschen in der Demokratischen Republik Kongo, denn seine Erschießung war gleichbedeutend mit dem Tod der Demokratie im Kongo."

Gedenken in Brüssel für Lumumba am 60. Jahrestag der Ermordung (Januar 2021)Bild: Nicolas Maeterlinck/BELGA/dpa/picture alliance

2018 war beschlossen worden, dass ein Platz in Brüssel nach Patrice Lumumba benannt werden soll. Die kongolesische und andere afrikanische Communities in Belgien hatten sich das gewünscht. Der Platz liegt mitten in einem quirligen Einkaufsviertel in Brüssel, oft treffen sich hier Menschen um gegen Rassismus zu protestieren, berichtet Aliou Balde, ein Aktivist aus Guinea. "Für viele Afrikaner ist Patrice Lumumba ein Motor, um gegen Rassismus zu kämpfen, gegen Polizeigewalt, um die Dekolonialisierung voranzutreiben. So wie ein Auto Benzin braucht um zu fahren, so ist Patrice Lumumba unsere Energiequelle um für unsere Rechte zu kämpfen", so Balde im DW-Interview.

Folgen für den Kongo - bis heute

De Witte sagt, für ihn hätten die Umbenennung von Plätzen und die Rückgabe des Zahns keine Bedeutung. Das größere Problem sei, dass sich die belgische Regierung noch immer nicht klar mit der dunklen Vergangenheit des Landes auseinandersetzt.

"Das Land hat noch immer keine komplette Verantwortung für die Exekution übernommen. Ja, es gab Entschuldigungen, Worte des Bedauerns. Aber das war alles passiv. Viel wichtiger: Der Tod Lumumbas führte zu Jahrzehnten der Diktatur und ziviler Unruhen, und diese sind klar verantwortlich für den Zustand, in dem sich das Land bis heute befindet.", so de Witte. "Wir brauchen Entschuldigungen, wir brauchen aber auch politische, finanzielle und symbolische Unterstützung um diese dunkle Periode effektiv aufzuarbeiten".

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