Am Beispiel der berühmten Benin-Bronzen zeigt sich, wie wichtig es ist, die Herkunft von Objekten zu kennen. An vielen Stücken klebt nachweislich Blut.
Diese Benin-Bronze wurde 2021 vom Jesus College in Cambridge an Nigeria zurückgegebenBild: Joe Giddens/PA Wire/picture alliance
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Wer in Deutschland Provenienzforscher werden möchte, dem stehen mittlerweile mehrere spezialisierte Studiengänge offen. Das ist nicht überall so: In Frankreich und der Schweiz etwa gibt es jeweils genau einen. Und das es überhaupt Angebote gibt, ist auch noch nicht lange so. Denn die Provenienzforschung wurde über Jahrzehnte hinweg nicht als eigener Fachbereich gehandhabt.
"Die Provenienzforschung war immer Teil anderer Bereiche, wie zum Beispiel der Kunsthistorik oder der Archäologie", erklärt Felicity Bodenstein, Dozentin an der Pariser Universität Sorbonne. "Wir Forscher haben immer schon auch die Herkunft von Objekten untersucht. Dass Stellen - wenn auch wenige - in diesem Bereich geschaffen wurden, ist eine Entwicklung der letzten fünf bis sechs Jahre."
Der "Fall Gurlitt"
Gurlitts Kunstsammlung im Museum
2014 starb der Kunsthändler Cornelius Gurlitt. Viele der Bilder in seinem Besitz standen unter dem Verdacht Nazi-Raubkunst zu sein. Eine Reise durch die Provenienzen.
Bild: Bundeskunsthalle / Foto: David Ertl
Max Beckmann, Zandvoort Strandcafé, 1934
Das Aquarell des jüdischen Malers Max Beckmann kann erst 1945 bei Gurlitt nachgewiesen werden. Von 1945-1950 war es in den Händen der Alliierten, am Central Collecting Point in Wiesbaden. 1950 bekam Hildebrand Gurlitt es zurück. Gurlitt hatte moderne Kunst gesammelt und ausgestellt, bevor er für das NS-Regime arbeitete. Er kuratierte 1936 die letzte Ausstellung Max Beckmanns vor dessen Flucht.
Bild: Bundeskunsthalle / Foto: David Ertl
Otto Griebel, Die Verschleierte, 1926
Das Werk befand sich im Besitz des Rechtsanwalts und Sammlers Fritz Salo Glaser. Bei ihm verkehrten in den 1920ern Künstler der Dresdner Avantgarde - auch der junge Hildebrand Gurlitt. Wie das Bild in seinen Besitz kam, ist unklar. 1945 wurde es bei ihm beschlagnahmt, später aber wieder frei gegeben. Glaser war jüdischer Herkunft und entkam 1945 nur knapp der Deportation nach Theresienstadt.
Bild: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH / Foto: David Ertl
Claude Monet, Waterloo Bridge, 1903
Das Gemälde des berühmten Impressionisten steht nicht unter Raubkunstverdacht. Es wurde 1907 vom Künstler an die Galerie Durand Ruel verkauft. Der jüdische Kunsthändler und Verleger Paul Cassirer soll es Marie Gurlitt geschenkt haben, die es wiederum 1923 ihrem Sohn Hildebrand Gurlitt vererbte.
Bild: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH / Foto: David Ertl
Thomas Couture, Porträt einer sitzenden jungen Frau, 1850
Das Gemälde des französischen Malers wurde als Raubkunst identifiziert. Eine kleine handschriftliche Notiz brachte die Provenienzforscher auf die Spur. Das Bild stammt mit hoher Wahrscheinlichkeit aus der Sammlung des jüdischen Politikers Georges Mandel, dessen Familie Anspruch auf das Werk erhoben hat. Wie genau es in Gurlitts Hände kam, ist aber unklar.
Bild: picture alliance/dpa/Kunst- und Ausstellungshalle GmbH/M. Vincenz
Auguste Rodin, Kauernde, ca. 1882
Die Skulptur des französischen Bildhauers muss zwischen 1940 und 1945 von Hildebrand Gurlitt erworben worden sein. Zuvor befand sie sich im Besitz des Franzosen Eugène Rudier. In Umlauf gebracht wurde sie 1919 bei einer Auktion von Octave Henri Marie Mirbeau, der sie vom Künstler geschenkt bekommen hatte.
Bild: Bundeskunsthalle / Foto: David Ertl
In Gurlitts Wohnung
Cornelius Gurlitt hortete die Skulptur - zusammen mit vielen anderen Kunstwerken - über Jahrzehnte in seiner Wohnung in München. Noch vor seinem Tod 2014 hatte er seine Einwilligung gegeben, dass seine Bestände erforscht werden und sie, falls sie Raubkunst seien, gemäß der Washingtoner Prinzipien zu restituieren.
Bild: privat/Nachlass Cornelius Gurlitt
Albrecht Dürer: Ritter, Tod und Teufel, 1513
Der Kupferstich von Albrecht Dürer gehörte einst der Galerie Falkeisen-Huber in Basel. Wie er dahin kam und wie lange er dort war, ist nicht bekannt. 2012 tauchte der Stich bei Cornelius Gurlitt auf. "Alte Meister" wie Dürer hatten im nationalsozialistischen Kunstbild eine große Bedeutung, sie wurden oft auch propagandistisch vereinnahmt.
Bild: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH / Foto: David Ertl
Albrecht Dürer, Ritter, Tod und Teufel, 1513
Der Kupferstich von Albrecht Dürer gehörte einst der Galerie Falkeisen-Huber in Basel. Wie er dahin kam und wie lange er dort war, ist nicht bekannt. 2012 tauchte der Stich bei Cornelius Gurlitt auf. "Alte Meister" wie Dürer hatten im nationalsozialistischen Kunstbild eine große Bedeutung, sie wurden oft auch propagandistisch vereinnahmt.
Bild: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH / Foto: David Ertl
Edvard Munch, Asche II, 1899
Bei dieser Zeichnung ist die Provenienz gänzlich unklar. Sicher ist jedoch, dass der norwegische Künstler Edvard Munch von Hitler zur so genannten "entarten Kunst" gezählt wurde. 82 Munch-Werke wurden 1937 in deutschen Museen beschlagnahmt.
Bild: Bundeskunsthalle/Foto: Mick Vincenz
François Boucher, Männlicher Akt, undatiert
Hitler verehrte die französische Malerei des 18. Jahrhunderts. Herausragende Gemälde für seine Sammlung sicherte er, indem er nach der Annexion Österreichs gezielt auf die Sammlung der Rothschild-Familie zugriff. Ergänzend versorgte Hildebrand Gurlitt ihn mit Zeichnungen renommierter französischer Künstler. Diesen Boucher hatte Gurlitt 1942 bei einem Paris Kunsthändler erworben.
Bild: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH / Foto: David Ertl
Carl Spitzweg: Alpental mit Sennerin, 1871
Dieses Gemälde war seit 1934 wahrscheinlich im Privatbesitz Hitlers. Es stammt nicht aus der Sammlung Gurlitts, sondern ist seit 1973 eine Leihgabe der Bundesrepublik Deutschland, die sonst im Museum Kunstpalast in Düsseldorf ausgestellt wird. Das Bild spiegelt den Kunstgeschmack Hitlers wider. Solche Werke wollte er im "Führermusem" sehen.
Bild: DW/J. Hitz
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Dass dieser Forschungsbereich vor allem in Deutschland ausgebaut wurde, dazu hat unter anderem der "Fall Gurlitt" beigetragen: Hildebrand Gurlitt war im Zweiten Weltkrieg Adolf Hitlers Hauptkunsteinkäufer. 2013 entdeckte die Polizei in der Münchner Wohnung seines Sohnes und Erben - und später auch in einem Haus in Salzburg - rund 1500 Werke, bei denen es sich zum Teil, aber nachweislich um NS-Raubkunst handelte. Um den Fall aufzuklären, gründete man damals eine Task-Force und schaltete die Online-Datenbank "Lost Art" frei, über die jeder weltweit nach verschollenen Kunstwerken suchen kann.
Die Suche nach enteigneter und "verfolgungsbedingt entzogener" Kunst während des Dritten Reichs ist seit Jahrzehnten ein wichtiges Anliegen nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen Ländern Europas und in den USA: 1998 unterzeichneten 45 Staaten die "Washingtoner Prinzipien", die festlegen, wie mit Nazi-Raubkunst verfahren werden sollte.
Laut eines Sprechers von Kulturstaatsministerin Claudia Roth sind im Haushalt der deutschen Bundesregierung in diesem Jahr mehr als 13 Millionen Euro für die Provenienzforschung vorgesehen. Der Schwerpunkt des Engagement liege weiterhin im Bereich der Aufarbeitung des NS-Kulturgutraubes.
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Der "Wendepunkt" hin zu Kolonialer Raubkunst
Mittlerweile konzentriere man sich nicht mehr nur auf einen vornehmlich europäischen Kontext, so Felicitiy Bodenstein, sondern auch auf "Objekte, die als ethnographisch oder außereuropäisch bezeichnet werden." Das prominenteste Beispiel in diesem Zusammenhang sind die Benin-Bronzen aus dem heutigen Nigeria. Die deutsche Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat die zweitgrößte Sammlung dieser unbezahlbaren Kultgegenstände, die im Jahre 1897 von britischen Soldaten aus dem Königspalast in Benin City geraubt und anschließend auf dem europäischen Kunstmarkt verkauft wurden.
1897 brandschatzten und plünderten britische Truppen den Königspalast in Benin City. Hier posieren einige von ihnen mit ihrer BeuteBild: CPA Media Co. Ltd/picture alliance
Felicity Bodenstein ist Teil der Arbeitsgruppe "Digital Benin", die die Herkunft der Bronzen erforscht und herausfinden will, wer die rechtmäßigen Eigentümer sind: "Es geht darum, die Daten aller 1897 in Benin City erbeuteten Objekte an einem einzigen digitalen Ort zu sammeln", so die Forscherin im Interview mit der DW. "Bei der Zusammenarbeit mit unseren nigerianischen Partnern wurde deutlich, dass es Bedarf gab, einen einfacheren Zugang zu Informationen im Zusammenhang mit diesen Objekten zu schaffen."
Die gestohlene Seele - Raubkunst aus Afrika
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Gerade im Hinblick auf Kulturgegenstände aus kolonialem Kontext existieren oftmals wenig oder keine Archivnotizen. "Die britischen Truppen haben natürlich keine Listen darüber geführt, was sie mitgenommen haben. Viele Gegenstände wurden auch als persönliche Kriegsbeute von einzelnen Militärangehörigen mitgenommen." Und die hätten noch weniger Buch darüber geführt, denn ihre unrechtes Handeln sei ihnen durchaus bewusst gewesen, so Bodenstein weiter. Die Zusammenarbeit mit Partnern aus den jeweiligen Ländern sei daher unabdingbar, um die Werke überhaupt erst einmal zu identifizieren. Und das funktioniert in der Datenbank zum Teil mit Hilfe von Fotos.
Die Frage der Restitution ist dann wieder ein ganz andere Frage. Zwar ist Deutschland mittlerweile willens, die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte voranzutreiben und kolonial belastetes Sammlungsgut möglichst zurückzugeben. Ein verpflichtendes Restitutionsgesetz gibt es in Deutschland, anders als in Österreich, aber bislang nicht.
Der Tag der Provenienzforschung wird seit 2019 jährlich begangen. In diesem Jahr nehmen mehr als 95 Kultureinrichtungen in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Österreich, der Schweiz und den USA teil. Es ist der Versuch, mehr Aufmerksamkeit auf die Herkunft von Objekten zu lenken und bei der Öffentlichkeit ein Bewusstsein dafür zu schaffen, auf welchen Wegen die Werke in die Museen gelangten.