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PolitikAfrika

Benin liberalisiert Abtreibungsrecht

Katrin Gänsler
9. November 2021

Ein neues Gesetz spaltet Benin: Dort soll ein Schwangerschaftsabbruch auch möglich sein, wenn Frauen in einer psychischen oder wirtschaftlichen Notlage sind. NGOs feiern den Vorstoß, die katholische Kirche übt Kritik.

Beninerin Claudia (Name geändert) an einem Tisch in Cotonou, von hinten, erzählt von ihren Erfahrungen mit Sexualität
Claudia (Name geändert) hatte lange Angst, ungewollt schwanger zu werdenBild: Katrin Gänsler/DW

Claudia kann sich noch genau an die Worte ihrer Mutter erinnern. 16 Jahre alt war sie und besuchte in Benins Wirtschaftsmetropole Cotonou das Collège, die Mittelstufe: "Wirst Du schwanger, musst Du das Kind bekommen, sagte sie. Eine Abtreibung hätte sie nie zugelassen." Zwölf Jahre ist das mittlerweile her. Die Sorge, ungewollt schwanger zu werden, hat die heute 28-Jährige lange begleitet. Bis heute möchte sie nicht unter ihrem richtigen Namen darüber sprechen.

Abtreibungen sind in dem Land mit einer Bevölkerung von 13 Millionen Menschen bisher ein Tabu gewesen. Das bislang geltende Gesetz aus dem Jahr 2003 erlaubte sie nur, wenn das Leben von Mutter oder Kind in Gefahr war, nach Vergewaltigung oder Inzest.

Aktuell wird allerdings nichts so stark diskutiert wie Schwangerschaftsabbrüche. Grund ist eine Entscheidung des Parlaments. Beide dort vertretenen Parteien stehen der Regierung von Präsident Patrice Talon nahe. Sie haben entschieden, eine Abtreibung auch dann zu legalisieren, wenn eine Schwangerschaft die materielle oder psychische Situation der Frau verschlimmern oder eine Notlage verursachen könnte, die weder mit dem Wohl der Frau noch mit dem des ungeborenen Kindes vereinbar ist. Die noch ausstehende Ratifizierung des Verfassungsgerichts gilt als Formsache.

"Wir retten unsere Kinder"

Ein großer Befürworter dieser Neuerung ist Serge Kitihoun, Programmdirektor der Beninischen Gesellschaft zur Unterstützung der Familie (ABPF). Die nichtstaatliche Organisation berät seit Jahrzehnten in Sachen Familienplanung und hat landesweit Kliniken. Die geplante Änderung sei ein "Erfolg für das ganze beninische Volk", sagt Kitihoun. "Wir retten unsere Kinder. Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass jährlich 200 Frauen bei einer Risiko-Abtreibung sterben. Das hätte man vermeiden können", sagt er.

Serge Kitihoun sieht das neue Gesetz als Erfolg für das beninische VolkBild: Katrin Gänsler/DW

Dieses Thema beschäftigt auch den niedergelassenen Gynäkologen Pascal Dennis, der eine Praxis in Cotonou betreibt. Er hat immer wieder die Folgen der heimlichen Abtreibungen gesehen: "Der Schaden kann sehr groß sein." Einfache Infektionen könnten zwar mit Antibiotika behandelt werden. "Es können aber auch mehrere Organe geschädigt werden, sodass die Patientinnen sterben", so Dennis.

Denn Abtreibungen hat es trotz des offiziellen Verbots immer gegeben. "Es wird ständig abgetrieben. Aber die Heuchelei ist groß", sagt auch die 28-jährige Claudia im Gespräch mit der DW. Vor allem in Cotonou und Umgebung ließen sich Ärztinnen und Ärzte finden, die Abbrüche durchführten. Sie zögert einen Moment, bevor sie die Geschichte ihrer Cousine erzählt, die ungewollt schwanger wurde. "Wir waren sehr jung. Es kam überhaupt nicht in Frage, ein Kind zu bekommen. Das wäre wegen der Eltern und der finanziellen Situation nicht möglich gewesen."

Abbruch mit Angst

Die Cousine hatte die Adresse eines Krankenhauses aufgetan und den Tipp bekommen, sich so unauffällig wie möglich zu verhalten. Claudia begleitete sie dorthin. Dort konnten die jungen Frauen diskret nach einem Abbruch fragen. "Ich dachte mir, dass man viele Fragen stellt, dass es schwierig ist. Aber nein. Eine Frau hat meine Cousine nach nebenan geschickt. Sie hat eine Narkose bekommen. Ich habe draußen gewartet. Es war ganz schnell erledigt", erinnert sich Claudia. Die Angst sei groß gewesen. "Was hätten wir nur unseren Eltern gesagt, wenn es schief gegangen wäre?" Eine Nachversorgung gab es nicht, nur ein Antibiotikum für mögliche Komplikationen. Der Abbruch kostete umgerechnet etwa 60 Euro.

Anders sieht es in ländlichen Regionen aus, wo das Gesundheitssystem wenig ausgebaut ist. Dort werden Abbrüche mitunter durch die Einnahme von bestimmten Pflanzen durchgeführt, was zum Abgang des Fötus führt. Offen gesprochen wird darüber nicht.

"Eine Abtreibung ist keine Lösung"

Am neuen Gesetz hat in den vergangenen Wochen vor allem die katholische Kirche Kritik geübt. Die Bischofskonferenz von Benin - etwa 25 Prozent der Bevölkerung sind Katholiken - nennt es "unmenschlich".

Die Entscheidung sei eine große Enttäuschung. Für Ordensfrau Tiziana Borsani, die den Don-Bosco-Schwestern angehört, gibt es andere Wege. Mit der Maison du Soleil, dem Haus der Sonne, bietet die Organisation etwa minderjährigen Müttern eine Unterkunft auf Zeit an. Sie können ihr Baby behalten und gleichzeitig eine Ausbildung absolvieren. Auch werden sie psychologisch betreut, und es wird versucht, den Kontakt zwischen den Teenager-Müttern und ihren Familien wieder zu verbessern. "Eine Abtreibung löst nicht alle Probleme. Frauen werden weiterhin geschlechtsspezifische Gewalt erleben. Sie leben in Armut und sind wirtschaftlich abhängig", sagt Tiziana Borsani.

Eine Abtreibung verbessert die Situation einer Frau nicht, sagt Ordensschwester Tiziana BorsaniBild: Katrin Gänsler/DW

Häufig außer Acht gelassen, so sieht es Claudia, wird allerdings der eigentliche Grund für die zahlreichen Abtreibungen: Es mangelt schlicht an Aufklärung und Sexualkunde. Auch das sei ein Tabu. "Manche Eltern sind zwar offen. Andere sprechen aber gar nicht darüber", berichtet sie. Manchmal könne man mit älteren Geschwistern oder Freundinnen darüber sprechen. Unangenehm sei das Thema aber immer.

Ein Vorbild für die Nachbarländer

Wer sich frühzeitig in einem Gesundheitszentrum über Verhütung informiere, würde stigmatisiert und als Mädchen abgetan, das schnell mit Männern mitgeht, sagt Claudia. Heute geht sie offen mit Verhütung um. "Vor zehn Jahren hätte ich mich das nicht getraut", sagt sie. Dabei war sie auch damals schon volljährig. In Gesprächen mit ihren Freundinnen hat sie außerdem immer wieder mitbekommen, dass auch Männer Druck ausüben und sich weigern, Kondome zu benutzen. Frauen würden dem Geschlechtsakt letztendlich doch zustimmen. "Sie haben Angst, verlassen zu werden."

Wo künftig Abbrüche durchgeführt werden, ist noch unklar. Gynäkologe Pascal Dennis erlebt, dass es auch in der Ärzteschaft aus religiösen Gründen Vorbehalte gibt. ABPF-Programmleiter Serge Kitihoun geht davon aus, dass - wie schon bei dem Gesetz von 2003 - spezielle Kliniken eine Zulassung erhalten werden, nachdem sie von den Behörden geprüft worden sind.

Er hofft außerdem, dass das Gesetz zum Vorbild für die ganze Region wird. Denn in Nachbarländern wie Niger seien Schwangerschaftsabbrüche ein noch größeres Tabu. Eine Liberalisierung könnte das Leben vieler Frauen leichter machen, ist sich Kitihoun sicher.

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