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Politik

Netanjahus nächstes Gefecht

23. März 2021

Die vierte Wahl in zwei Jahren: Nach den drei letzten Anläufen hat es Benjamin Netanjahu immer knapp geschafft, eine Regierung zu bilden. Jetzt versucht er mit der Impfkampagne zu punkten. Von Tania Krämer, Jerusalem.

Israel | Parlamentswahlen | Wahlplakate Netanjahus Likud
Benjamin Netanjahu ist überall präsentBild: Tania Krämer/DW

Vor über zwei Wochen konnte Nuriel Zarifi erstmals wieder sein Café in West-Jerusalem richtig öffnen. Wegen der Pandemie war zuvor nur Außer-Haus-Verkauf möglich. Jetzt laden Stühle und Tische - drinnen wie draußen - wieder zu Kaffee und frischem Gebäck ein. Nach drei langen Lockdowns und nachdem schon fast die Hälfte der Israelis vollständig geimpft sind, hat Israel viele der Einschränkungen aufheben können - kurz vor der Parlamentswahl am Dienstag. "So einige Male habe ich gedacht, dieses Mal reicht es, ich gehe nicht wählen", sagt Zarifi, seit langem Anhänger der konservativen Likud Partei von Benjamin Netanjahu. "Aber dann sehe ich all diesen Hass gegen Netanjahu. Was immer er tut, es ist nicht gut, es wird kritisiert. Und das hat mich bewogen, wählen zu gehen: für ihn!"

Cafébesitzer Nuriel Zarifi hofft auf Netanjahu - und will ihn gegen Kritik verteidigen Bild: Tania Krämer/DW

An diesem Dienstag wählen die Israelis zum vierten Mal innerhalb von zwei Jahren. Die letzte Regierung, geführt von Benjamin Netanjahu (Likud) und Benny Gantz (Blau-Weiß), brach im Dezember auseinander. Blau-Weiß spielt diesmal keine Rolle. Die Wähler des Mitte-Links-Bündnisses haben es Gantz nicht verziehen, dass er sich auf eine Koalition mit Netanjahu einließ, den sie unbedingt aus dem Amt drängen wollten.

Auch wenn eigentlich Parteien gewählt werden, so geht es auch diesmal, so wie bei den letzten drei Wahlen, erneut um eine Abstimmung für oder gegen Netanjahu. Der langjährige Ministerpräsident ist seit zwölf Jahren im Amt, steht wegen mutmaßlicher Korruption vor Gericht und seine Person scheint die Gesellschaft seit Jahren immer weiter zu spalten.

Für Cafébesitzer Zarifi ist das nicht ausschlaggebend. "Leute sagen mir, warum stimmst Du nicht für eine Veränderung, für Jair Lapid oder Gidon Sa'ar," sagt Zarifi und meint dabei zwei der aktuellen Konkurrenten von Netanjahu. "Ich sage dann immer, schließ Deine Augen und stelle Dir vor, ob derjenige das Land führen kann. Wenn ich meine Augen schließe, sehe ich Netanjahu. Ich fühle mich damit wohl," macht Nuriel Zarifi deutlich. "So wie zu Beginn der Corona-Krise, da hatte ich das Gefühl, ich kann mich auf ihn verlassen. Er hat die Impfstoffe gekauft, er hat das Leben gewählt."

Neustart oder dasselbe noch mal

Doch das Handeln der Regierung - und von Ministerpräsident Netanjahu - in Sachen Corona wurde im vergangenen Jahr oft heftig kritisiert. Tausende Demonstranten gingen gegen die Regierungspolitik in der Coronavirus-Krise auf die Straße, viele forderten zugleich den Rücktritt von Netanjahu wegen seiner Korruptionsanklagen. Am Samstag fand wieder eine große Demo statt - für die Demonstranten geht es um mehr als das Impfen, für das viele Israelis dem Ministerpräsidenten und dem israelischen Gesundheitssystem Kredit geben.

Schon Routine: Protest gegen Netanjahu in Jerusalem Bild: Ammar Awad/REUTERS

Maya Rimer war im vergangenen Jahr häufig bei den Anti-Regierungsprotesten in Jerusalem dabei. "Ich würde gerne Politiker sehen, die für uns da sind und sich nicht nur um sich selbst kümmern", sagt die junge Israelin. Rimer hofft auf eine grundsätzliche Veränderung und macht sich Sorgen, das es vielleicht sogar eine fünfte Wahl geben könnte. "Das ist jetzt die vierte Wahl, und es sieht noch nicht einmal danach aus, dass das die letzte sein wird. Es scheint nicht, dass dies die Antwort auf all das hier ist."

Im März vor einem Jahr sowie im September und Dezember hatte die Regierung dreimal strikte Lockdowns verhängt. Ende des Jahres waren die Infektionszahlen nochmal gestiegen - gleichzeitig startete Benjamin Netanjahu seine Impfkampagne. Israel erhielt genügend BioNTech-Pfizer Impfstoff im Austausch gegen Gesundheitsdaten aus der Impfkampagne für das Pharmaunternehmen. Fast die Hälfte der Israelis sind seitdem voll geimpft, und wenige Wochen vor der Wahl konnten viele Beschränkungen aufgehoben werden.

Volle Plätze bei den Anti-Regierungsdemos in Jerusalem Bild: Ammar Awad/REUTERS

Die letzten Umfragen verschiedener israelischer Medien am Freitag vor der Wahl haben gezeigt, dass Netanjahus Likud Partei mit 29 bis 32 Sitzen die stärkste Kraft in der Knesset werden könnte, dem israelischen Parlament. Allerdings haben sich Wahlprognosen in Israel nicht immer als zuverlässig erwiesen. Sie geben aber eine Tendenz wieder. Zwei größere Parteienblöcke stehen sich gegenüber und wollen dabei die nächste Koalitionsregierung bilden - aber für keinen scheint es einen einfachen Weg zu geben, die dafür erforderliche Mehrheit von 61 von 120 Knesset-Sitzen zu erhalten. Und: Noch sind nicht alle Allianzen eindeutig geklärt.

Netanjahu zählt wie immer auf die ultra-orthodoxen Parteien und wird diesmal auch die Sitze einer kleinen extremistischen Parteienallianz (Religious Zionism) benötigen. Sein Block braucht aber auch, sollten sich die Umfragen bestätigen, die Hilfe von Naftali Bennetts national-religiöser Yamina-Partei ("Nach rechts"), um auf die nötigen Sitze zu kommen. Bennett hat es aber bislang offengelassen, mit wem er eine Koalition eingehen wird. Unklar ist, ob er die Unterstützung einer kleinen arabisch-israelischen Partei (Vereinigte Arabische Liste/Ra'am) bekommt, nachdem er erstmals arabischstämmige Wähler umworben hatte.

Ein möglicher Königsmacher: Naftali BennettBild: Tania Krämer/DW

Netanjahu setzte im Wahlkampf auf seine außenpolitischen Erfolge, wie die Friedensabkommen etwa mit den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Bahrain. Aber der zentrale Fokus lag auf der weltweit gelobten und schnellen Impfkampagne gegen das Coronavirus und der Öffnung des Landes. Die Erinnerung an die drei langen Lockdowns ist etwas in den Hintergrund gerückt. "180 Regierungschefs und Präsidenten haben bei Pfizer und Moderna angerufen. Sie haben nicht abgehoben. Aber meinen Anruf haben sie entgegengenommen", sagte Netanjahu vor Kurzem. "Und ich habe sie überzeugen können, dass Israel das Modell für eine erfolgreiche Impfkampagne werden kann. Genauso ist es gekommen. Aber wer wird das weiterführen? Weder Lapid, noch Bennett, noch Gidon. Sie können es nicht. Nur ich kann das!"

Der Anti-Netanjahu-Block

Seine Gegner versammeln sich rund um den Slogan "Alles - nur nicht Netanjahu". Einige dieser Parteien kommen diesmal aus dem Umfeld von Netanjahus eigenem rechtskonservativen Lager - oder waren frühere Koalitionspartner.

Einer der führenden Politiker ist Jair Lapid, Vorsitzender der zentristischen Partei "Es gibt eine Zukunft" (Yesh Atid). Lapid, früher Finanzminister unter Netanjahu, führte einen unaufgeregten Wahlkampf, in dem es unter anderen um Demokratiefragen, Wirtschaft und Kritik an der Regierungspolitik in der Pandemie ging. Die letzten Umfragen sagen Yesh Atid 18 bis 20 Sitze voraus und machen Lapids Partei zur zweitstärksten Kraft hinter dem Likud. "Es gibt immer noch eine beispiellose Anzahl von Menschen, die noch unentschlossen sind, das macht etwa 10 Sitze aus," appellierte Lapid an die Wähler. "Sie sollten wissen, wenn sie nicht für Yesh Atid stimmen, dann bekommen wir eine dunkle, rassistische, homophobe und erpresserische Regierung. Letztlich müssen wir eine starke Kraft werden, um Veränderungen herbeizuführen."

Jair Lapid macht einen "Alles nur nicht Netanjahu"-WahlkampfBild: Tania Krämer/DW

Im rechten Lager tritt der frühere Likud-Politiker Gidon Sa'ar mit seiner neuen Partei "Neue Hoffnung" gegen Netanjahu an. Naftali Bennett, Vorsitzender der national-religiösen Yamina Partei (Nach Rechts) und früherer Verteidigungsminister, hält sich dagegen alles offen: Er will einerseits Ministerpräsident werden, hat sich aber nicht klar geäußert, in welche Koalition er einsteigen würde. "Heute haben wir es mit drei oder vier führenden Politikern des Anti-Netanjahu-Blocks zu tun, die zwar gemeinsam gegen Netanjahu, aber politisch völlig getrennt voneinander sind", sagt Politikwissenschaftler Maoz Rosenthal vom Interdisziplinären Zentrum in Herzliya. Die Fähigkeit, unter diesen Umständen zusammenzuarbeiten und eine Koalition zu bilden, sei sehr begrenzt: "Das ist die Komplexität dieser Wahl."

Am Dienstagabend um 22:00 Ortszeit, nach dem Schließen der Wahllokale, bringen die Fernsehsender die ersten Prognosen. Aufgrund besonderer Pandemie-Maßnahmen und den zusätzlichen Wahlstationen für COVID-19 Patienten und Menschen in Quarantäne könnte die Auszählung der Stimmen sogar etwas längern dauern, so die israelische Wahlkommission. Die Aussicht auf wochenlange schwierige Koalitionsverhandlungen, eine erneute Pattsituation oder gar eine fünfte Wahl bereitet jetzt schon vielen israelischen Wählern Sorgen.

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