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Rohstoffe aus der Tiefsee: Chance oder Umwelt-Gefahr?

Tim Schauenberg
10. Januar 2024

Vor allem die Energiewende treibt die Nachfrage nach Seltenen Erden und Metallen. Trotz Umweltrisiken und Bedenken will Norwegen nun als erstes Land Tiefseebergbau erlauben.

Screenshot DW Video, das seltene Erden im Wasser zeigt
Die Tiefsee wird als Abbaugebiet entdeckt Bild: Kristina Becker/DW

Ob Kupfer oder Nickel für Batterien, Kobalt für Elektro-Autos oder Mangan für die Stahlproduktion: immer mehr seltene Erden und Metalle werden weltweit gebraucht, vor allem für die Energiewende. Die Nachfrage steigt, doch gleichzeitig werden die Ressourcen weltweit knapper.  

Schon in drei Jahren wird weltweit doppelt so viel Lithium und 70 Prozent mehr Kobalt benötigt als heute, das schätzen Experten. Um diese Lücke zu schließen, wollen einige Länder und Unternehmen jetzt die Ressourcen in der Tiefsee abbauen.

Derzeit gibt es aber noch keinen international vereinbarten Kodex für den Abbau von Seltenen Erden unter dem Meer. Und wegen der massiven Umweltauswirkungen gibt es dagegen großen Widerstand von Aktivisten und auch von einigen großen Unternehmen.

Trotzdem hat Norwegen diese Woche beschlossen, 280.000 Quadratkilometer seiner nationalen Gewässer - ein Gebiet größer als das Großbritannien - für Firmen zu öffnen, die die wertvollen Ressourcen auf dem Meeresboden abbauen wollen. Damit macht das Land den ersten Schritt in Richtung des kommerziellen Tiefseebergbaus.

Im November vergangenen Jahres riefen in einem Brief mehr als 100 EU-Abgeordnete das norwegische Parlament auf, den Vorschlag abzulehnen. Sie fürchten Umweltrisiken, die der Tiefseebergbau unter anderem für die biologische Vielfalt der Meere darstellt

"Die Tiefsee ist ein Schatz an Biodiversität, reich an lebendigen Ressourcen, die wir in der Medizin benutzen und die wichtig sind, um das Klima zu regulieren und als Fischbrutstätten und Futterstellen dienen," sagt die karibische Meeresbiologin Diva Amon. Ohne die Tiefsee "wird unser Planet nicht mehr derselbe sein."

   

Manganknollen vom Meeresboden enthalten viele Metalle, ihre Förderung wird dennoch kritisch gesehenBild: Ingo Wagner/dpa/picture alliance

Können Mangan-Knollen die Energiewende ankurbeln?

Unternehmen sind besonders interessiert an sogenannten polymetallischen Knollen, auch Manganknollen genannt. Die Klumpen aus einem Gemisch verschiedener Metalle sind etwa so groß wie eine Kartoffel und enthalten hohe Anteile an Nickel, Kupfer, Mangan, seltene Erden und andere wertvolle Metalle.  

Am besten erforscht ist derzeit der Meeresboden in 3500 und 5500 Metern in der Clarion-Clipperton-Zone im östlichen Pazifik nahe Hawaii. Dieses tausende Kilometer lange Gebiet enthält mehr Nickel, Mangan und Kobalt als sämtliche bekannten Gebiete an Land. Auch das Becken im zentralen Indischen Ozean und der Meeresboden vor den Cookinseln, den Atollen von Kiribati und Französisch-Polynesien im Südpazifik sind für die potentielle Förderung von Interesse.

"Zufällig entspricht die Zusammensetzung dieser Knollen ziemlich genau dem, was die Hersteller von Elektrofahrzeugen brauchen", sagt Gerard Barron, Vorstandschef von The Metals Company aus dem kanadischen Vancouver im DW Interview. Das Unternehmen ist spezialisiert auf die mittel- und langfristige Ausbeutung der Bodenschätze in der Clarion-Clipperton-Zone. Noch werden zwar nirgendwo auf der Welt Manganknollen abgebaut, das könnte sich aber bald ändern.

In tausenden Metern Tiefe und bei entsprechend hohem Druck ist vor allem der einfache Zugang zu den Rohstoffen entscheidend. Mangan-Knollen sind für den Abbau besonders attraktiv, weil sie praktisch direkt auf dem Meeresboden liegen. Sie könnten relativ einfach gewonnen werden, ohne Gesteinsschichten aufzubrechen oder den Meeresboden abzutragen.

Organismen in verschiedenen Wasserschichten und auf dem Meeresboden könnten dauerhaft geschädigt werden Bild: Addictive Stock/Shotshop/IMAGO

Automatisierter Tiefsee-Abbau: Gefahr für Meereslebewesen 

Stattdessen soll eine Art riesiger Staubsauger über den Meeresboden rollen, um die Knollen abzusaugen, per Schlauch werden sie an die Oberfläche gebracht.

Doch zusammen mit den Knollen wird dabei auch der belebte Teil des Meeresbodens zerstört, sagt Matthias Haeckel, Wissenschaftler am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. "Das heißt: alle Organismen ebenso wie Bakterien, die in und auf dem Sediment und auf den Knollen leben, werden komplett eingesaugt."

Einmal zerstört kommen sie "für Millionen Jahre nicht mehr zurück, weil sie die Manganknolle brauchen", so Sabine Gollner, Leitende Wissenschaftlerin am Royal Netherlands Institute for Sea Research. Eine schnelle Regeneration ist unmöglich, denn es kann bis zu eine Million Jahre dauern, bis eine Knolle ein paar Millimeter nachwächst.

Neben Lärm und Lichtverschmutzung unter Wasser befürchten Wissenschaftler und Gegner des Tiefsee-Bergbaus, dass durch die Sedimentwolken beim Absaugen zusätzlich enormer Schaden für Ökosysteme in einem Radius von hunderten Kilometern Entfernung entstehen könnten. Das betrifft verschiedene Pflanzenarten, ebenso wie Lebewesen in mittleren Wasserschichten, und bei Kleinstorganismen könnten die Sedimente die Atemwege verstopfen.

Tiefseebergbau: Besser für die Umwelt und die Menschen?

The Metal Company will künftig die Knollen in der Clarion-Clipperton-Zone abbauen und macht keinen Hehl um möglichen Schaden für die Artenvielfalt im Meer. Das Unternehmen argumentiert jedoch, das die Umweltbilanz von Tiefseeabbau deutlich besser sein könnte als die Ausbeutung an Land.

Im Kongo werden Metalle häufig unter menschenrechtswidrigen Bedingungen gefördertBild: Federico Scoppa/AFP/Getty Images

Laut Studien des Unternehmens würde Tiefseebergbau 80 Prozent weniger Treibhausgasemissionen verursachen als Bergbau an Land. Er würde kaum wichtige Kohlenstoffspeicher – z.B. Wälder und Böden - zerstören, keine Menschen vertreiben, weniger Frischwasser verbrauchen und weniger Giftstoffe freisetzen.

Auch schlechte Arbeitsbedingungen seien kein Problem, anders als etwa in der Demokratischen Republik Kongo, wo heute weltweit das meiste Kobalt abgebaut wird, unter oft  menschenrechtswidrigen Arbeitsbedingungen mit tödlichen Arbeitsunfällen und Kinderarbeit. Der Abbau der Knollen unter Wasser könnte weitgehend automatisiert erfolgen. Damit sehen Befürworter des Tiefseebergbaus die Chance, die negativen Folgen für Menschen zu minimieren.

Förderung von Manganknollen unter Wasser könnte bald starten

Reguliert wird die Forschung, Erkundung und mögliche Ausbeutung der Tiefseevorkommen von der Internationale Meeresbodenbehörde (International Seabed Authority, ISA). Sie wurde im Rahmen des UN-Seerechtsübereinkommens eingerichtet und hat bisher weltweit 31 Explorationsverträge vergeben. Diese Genehmigungen erlauben Unternehmen, die Ressourcen und das Potenzial künftiger Förderung zu erkunden, verpflichten sie aber auch dazu, Daten für Umweltanalysen zu erheben. Bislang hat die ISA weltweit jedoch noch keine Erlaubnis für kommerzielle Bergbauaktivitäten in der Tiefsee erteilt.

 

Dieses Bohrschiff von The Metals Company wird in Rotterdam umgebaut und als erstes Schiff für den Tiefseebergbau ausgerüstet werden.Bild: Jochen Tack/picture alliance

Bislang hat die ISA weltweit jedoch noch keine Erlaubnis für kommerzielle Bergbauaktivitäten in der Tiefsee erteilt - obwohl sie im vergangenen Jahr beschlossen hatte, dass Unternehmen Genehmigungen zum Abbau auf dem Meeresboden grundsätzlich beantragen können. Vor allem der Inselstaat Nauru drängt auf den Tiefseebau. Er tritt als Sponsor eines Tochterunternehmens von The Metal Company auf, das für den Abbau in der Clipper-Zone bereits in den Startlöchern steht.

Mehrere Länder, darunter Deutschland, fordern dagegen, solange keinen Tiefseebergbau zuzulassen, bis die Folgen besser erforscht sind.

Die in Jamaika ansässige ISA arbeitet derzeit an Vorschriften darüber, ob, wie und wo Tiefseebergbau möglich sein könnte. Sie hofft, im Laufe dieses Jahres einen Kodex fertigstellen zu können, um Anträge auf Tiefseebergbau auf der Grundlage solider Regeln zum Schutz der Umwelt entscheiden zu können.

Meeresbiologin: Tiefseebergbau kann nicht umweltfreundlich gemanagt werden

Vor einigen Monaten hatten sich die Länder der Vereinten Nationen in zwei historischen Abkommen darauf geeinigt, die Ökosysteme der Meeres in Zukunft deutlich besser zu schützen.

Eine Studie der Umweltorganisationen Greenpeace und WWF kam außerdem zum Ergebnis, dass für die Energie- und Verkehrswende gar keine Rohstoffe aus Manganknollen gebraucht würden. Weil insgesamt noch zu wenig über Folgen für die Umwelt bekannt ist, plädieren mehrere Länder, darunter einige Inselstaaten, für ein Moratorium beim Tiefseebergbau. 

Für die Meeresbiologin Gollner fehlen bisher noch ausreichende Daten für umweltfreundlichen Abbau unter Wasser: "Aufgrund der derzeitigen Datenlage kann man Tiefseebergbau nicht in einer Weise managen, die nicht schädlich wäre für die Umwelt. Die Entscheidung Moratorium ja oder nein liegt bei den Ländern, nicht bei den Wissenschaftlern. Wir liefern die Daten und die Daten zeigen: Jetzt wäre es zu früh."

Einige Konzerne wie BMW, Volkswagen, Google, Philips und Samsung SDI haben sich einem WWF-Aufruf für ein Moratorium angeschlossen und sich verpflichtet, vorerst keine Rohstoffe vom der Tiefseeboden zu verwenden und Tiefseebergbau auch nicht zu finanzieren.

Mitarbeit: Stuart Braun

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