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Techno-Club Berghain wird zum Museum

Anna Larkin so
8. September 2020

Das Berghain öffnet seine Tore für Kunstliebhaber: Die Zusammenarbeit zwischen Nachtclub und Kunstwelt gilt schon jetzt als wegweisend in der Corona-Krise.

Rirkrit Tiravanija hat ein Banner an der Berghain-Fassade angebracht. Darauf steht: MORGEN IST DIE FRAGE
Wie es mit dem Berghain weitergeht, ist ungewissBild: Rirkrit Tiravanija

Die Türsteher des Berghains sind gefürchtet. Längst lassen sie nicht jeden in die berühmten Techno-Hallen im Berliner Ortsteil Friedrichshain. Der 3500 Quadratmeter große Club residiert in einem ehemaligen Kraftwerk und gilt als einer der berühmtesten der Welt. Seit April sorgt auch hier das Coronavirus für gähnende Leere. Ein Banner des Aktions-Künstlers Rirkrit Tiravanija an der Fassade des riesigen Veranstaltungsortes mit der Aufschrift "MORGEN IST DIE FRAGE" bringt die Situation auf den Punkt. Vielleicht weist es auch auf eine bessere Zukunft hin: Ab Mittwoch, dem 9. September, können Kunstinteressierte online Karten buchen, um sich - unter den gebotenen Hygienevorschriften - Werke von 115 zeitgenössischen Künstlern anzusehen.

Kunst statt Techno

Gähnende Leere: Berghain ohne Partygäste vorm EinlassBild: DW/K.-A. Scholz

Nicht nur das Nachtleben auf der ganzen Welt kam aufgrund der Pandemie zum Erliegen. Auch der Kunstbetrieb ist nicht mehr derselbe. Zahlreiche Ausstellungen, Kunstmessen und Festivals mussten abgesagt werden. Die Zusammenarbeit zwischen der privaten Sammlung Boros und dem Berghain versucht in der Krise, einen neuen Weg einzuschlagen. Sie wollen die Türen des legendären Techno-Clubs wieder öffnen und den in Berlin  lebenden Künstlern eine Plattform bieten, ihre Werke auszustellen. Die Gruppenausstellung "Studio Berlin" soll keine einmalige Aktion sein, sondern über einen längeren Zeitraum fortgesetzt werden. Zu sehen sind Fotografien, Skulpturen, Gemälde, Zeichnungen, Video-, Ton-, Performance- und Installationsarbeiten - die meisten ihrer Arbeiten sind während des Lockdowns entstanden.

Boros zeigt Kunst im Weltkriegsbunker

Karen und Christian Boros (re.) und Juliet Kothe (li.), Direktorin der Boros Foundation Bild: Max von Gumppenberg

Die Kunstwerke des "Studio Berlin" wurden vom Sammlerehepaar Christian und Karen Boros ausgewählt. Ihre Sammlung zeitgenössischer Kunst ist seit 2008 in einem gigantischen Betonbunker aus dem Zweiten Weltkrieg untergebracht. Vor dem Umbau diente auch er als Techno- und Nachtclub. Dort veranstalteten die Gründer des Berghains in den 1990er-Jahren ihre ersten Clubnächte.

Die Idee sei aus Gesprächen mit den Berghain-Betreibern entstanden, erzählen Karen Boros und Juliet Kothe, Direktorin der Sammlung Boros, die auch Führungen durch die neue  Ausstellung "Studio Berlin" veranstaltet. "Wir haben eine enge Verbindungen zu Künstlern, die in Berlin leben. Als wir ihnen von unseren Plänen erzählten, machten sie uns weitere Vorschläge, welche Kolleginnen und Kollegen wir noch in das Projekt einbeziehen sollten. Sie stellten uns noch weniger bekannte, vielversprechende Kunstschaffende vor."

Internationale Kunststars neben aufstrebenden Namen

Die Ausstellung verteilt sich über die Tanzfläche und die zwei Bars in der riesigen Halle des Berghains, sogar in den Toiletten soll Kunst zu sehen sein. Christian Boros spricht von einem "Fest des Ateliers Berlin" und bezieht sich dabei auf die extrem hohe Künstlerdichte in der Hauptstadt. Unter den Werken gibt es einige, die explizit auf die Corona-Zeit Bezug nehmen.

Klangkunst im Berliner Technoclub Berghain

04:41

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Tacita Dean hat eine Postkarte in Erinnerung an das Jahr 2020 entworfen. Abgebildet sind vom Himmel herabregnende Exkremente. Ketuta Alexi-Meskhishvilis stellt Polaroids von Schnittblumen aus. Es handelt sich um das einzige Werk, das die Künstlerin neben der Kinderbetreuung im Lockdown produzieren konnte. Einige der beteiligten Künstler thematisieren auch ihre persönliche Verbindung zum Veranstaltungsort: Petrit Halilaj und Álvaro Urbano trafen sich zum ersten Mal im Berghain. In Erinnerung hängt eine überdimensionale rosa Papierlilie über genau der Stelle ihres Kennenlernens; He Xiangyu ist auch ein Berghain-Gänger. In einer Ecke seiner Lieblingsbar hat er eine Gipsskulptur von sich als kleinem Jungen aufgestellt, der gerade dabei ist, seine erste Getränkedose zu öffnen.

Die Wände des Berghains dienen der Künstlerin Cyprien Gaillard als Leinwand: Sie hat den Schriftzug "Land of Cockaign" direkt in die Metallwand einer Toilettenkabine eingraviert. Emeka Ogbohs Klanginstallation mit Straßenaufnahmen aus Lagos ertönt über das Soundsystem des Clubs.

Plattform für jüngere Künstler

Bereits international bekannte Stars wieKatharina Grosse oder Olafur Eliasson halten sich, was die Formate ihrer Exponate angeht, zurück: Grosse, bekannt für ausladende, farbige Wandmalereien, präsentiert ein kleines Gemälde auf Sperrholz. Auch Eliasson zeigt keine raumfüllende Installation, sondern beschränkt sich in seinem Beitrag auf drei gebogene Spiegel. "Damit beabsichtigt er, die Arbeit seiner Kollegen zu reflektieren", sagt Christian Boros.

Skulptur von Dirk Bell vor dem BerghainBild: Dirk Bell, Photo: Noshe

Raphaela Vogel, eine der Newcomerinnen in der Ausstellung, bespielt in einer unterirdischen Ebene des Berghains dafür eine großformatige Installation aus Video und Skulptur, in der Modelle des Arc de Triomphe, der Freiheitsstatue, der Tower Bridge und der Berliner Siegessäule zu sehen sind.

Die Luft ist raus

Viele Teilnehmende wie die gebürtige Iranerin Shirin Sabahi hatten bereits mit der Arbeit an den gezeigten Projekten begonnen: In ihrem Video "Lung" (Lunge) beobachtet sie, wie einer Traglufthalle über einem Berliner Schwimmbad die Luft abgelassen wird. Sabahi sieht in "Studio Berlin" mehr als nur eine Entschädigung: "Ich hatte während des Lockdowns Projekte absagen müssen, die finanziell einen Verlust bedeuteten. Jetzt kann ich in Berlin ausstellen - und zwar in der bei weitem größten Ausstellung, an der ich hier je teilgenommen habe", sagt sie.

"Lunge" heißt das Werk von Shirin Sabahi - noch hat sie genug LuftBild: Courtesy the artist. Photo by: Paul Niedermayer

Das Fotografieren innerhalb der Ausstellung ist - wie auch zu Clubzeiten - strengstens verboten. Die Partygänger lassen sich beim Eintritt freiwillig Aufkleber über ihre Telefonkameras kleben, und die Betreiber treten öffentlich nicht in Erscheinung. Im Berghain wurde zwar bislang in diesem Umfang noch nicht Kunst ausgestellt, doch 2016 hat der Club juristisch durchgesetzt, sich selbst als Kunst-Institution bezeichnen zu dürfen, wenn auch aus steuerlichen Gründen. Ein Norbert-Bisky-Gemälde hängt über der Eingangshalle, und im Juli dieses Jahres war dort eine Klanginstallation des Künstlerduos Tam Tam zu hören.

Berghain erhält Einnahmen der Ausstellung

Die Erlöse aus den Eintrittskarten der Ausstellung "Studio Berlin" fließen in die Kasse des Berghains. Auch wenn sie nicht mit den normalen Geschäftseinnahmen zu vergleichen sind, so könnte die Ausstellung wenigsten finanzielle Engpässe überbrücken.

Ein Zusammenschluss von Experten aus den Bereichen Nachtleben und Stadtplanung versucht derzeit mit Unterstützung etwa des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) und der Alexander-von-Humboldt-Stiftung einen "Global Nighttime Recovery Plan" zu erarbeiten. Im ersten Bericht daraus geht es um die Zukunft von Clubs, die durch die Corona-Pandemie in die Krise geraten sind. Darin heiß es: "Diversifizierung der Aktivitäten kann der Schlüssel sein." Inzwischen flirtet nicht nur das Berghain mit der Kunst, um das Publikum wieder auf die Tanzflächen zu bringen: Der legendäre Berliner Schwulenclub SchwuZ eröffnet am 9. September ebenfalls eine Kunstausstellung, eine Einzelpräsentation mit Bildern des deutschen Künstlers Fausto.

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