Wie sicher ist das Atomkraftwerk Tihange wirklich? Nachdem der Reaktor Tihange-2 als Sicherheitsrisiko eingeschätzt wird, deutet ein Bericht darauf hin, dass auch Reaktor 1 wesentlich gefährlicher ist als angenommen.
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Im belgischen Atomkraftwerk Tihange nahe der deutschen Grenze hätten sich bei dem Reaktor Tihange-1 zwischen 2013 und 2015 potenziell bedrohliche Zwischenfälle gehäuft. Das geht aus einem Bericht des Westdeutschen Rundfunks und dem ARD-Magazin "Monitor" unter Berufung auf ein Schreiben der belgischen Atomaufsicht (FANC) hervor.
Zwischen 2013 und 2015 habe es acht sogenannte Precursor-Fälle in Tihange-1 gegeben. Das sind damit mehr als die Hälfte aller derartigen Vorfälle in ganz Belgien, hieß es in dem Bericht. Bei einem "Precursor" (deutsch: Vorbote) handelt es sich um einen Zwischenfall in einem Atomkraftwerk, der unter bestimmten Voraussetzungen zu schweren Schäden am Reaktorkern bis hin zur Kernschmelze führen kann. Das belgische AKW liegt rund 70 Kilometer von Aachen entfernt. Käme es zu einem atomaren Unfall wären Millionen Menschen in den Niederlanden, Belgien und Westdeutschland betroffen.
Ministerium: Vorfälle seien bekannt
Das deutsche Umweltministerium erklärte auf Nachfrage, es sei über die Anzahl der Vorfälle informiert, wie es in dem Bericht weiter hieß. Allerdings lägen nur der belgischen Atomaufsicht alle notwendigen Unterlagen vor, um die Sicherheit eines AKW bewerten zu können. Der ehemalige Chef der deutschen Atomaufsicht im Bundesumweltministerium, Dieter Majer, sagte dem WDR, bei den Betreibern in Belgien und dem Bundesumweltministerium müssten eigentlich "die Alarmglocken angehen".
Wegen Tausender Haarrisse in den Reaktordruckbehältern waren der Betrieb der Reaktoren Tihange-2 und Doel-3 vermehrt in die Kritik geraten. Rebecca Harms, atompolitische Sprecherin der Grünen im Europaparlament, sagte, schon lange stehe auch der Altreaktor Tihange-1 in der Kritik. "Die belgischen Behörden dürfen sich nicht weiter blind stellen", so Harms weiter. Aber auch die Bundesregierung müsse dem eine größere Dringlichkeit geben. "Es ist offenkundig, dass die bisherigen Regelungen den großen Risiken für die Menschen im Grenzgebiet nicht gerecht werden", kritisierte Harms in Brüssel. Sowohl die Bundesregierung als auch die NRW-Landesregierung haben wiederholt die Stilllegung dieser Reaktoren gefordert.
gr/sam/myk (AFP, dpa)
Fukushima: Atomkraft ade?
Die Atomkatastrophe von Fukushima vor sechs Jahren hatte desaströse Folgen für viele Menschen, für Japan und für die Atomindustrie. Hat diese Risikotechnologie noch Zukunft oder ist sie überholt?
Bild: UN Photo/IAEA/Greg Webb
Viel mehr Radioaktivität als bei Atombomben
März 2011: Nach Erdbeben und Tsunami kommt es in drei Atomkraftwerken zur Kernschmelze und in vier zu Explosionen mit Wasserstoff. Ein solcher Super-GAU in Japan war für viele unvorstellbar. Beim Unfall wurde 500 Mal mehr radioaktives Cäsium-137 freigesetzt als durch die Atombombe von Hiroshima.
Bild: picture alliance/dpa/Abc Tv
Riesige Kosten und Verstrahlung
Die Folgen dieser Katastrophe sind immens. Nach Angaben der japanischen Regierung liegen die Kosten des Unglücks in Japan bei 21,5 Billionen Yen (etwa 177 Milliarden Euro). Hinzu kommen menschliches Leid und die Schäden durch Radioaktivität in anderen Ländern.
Bild: picture-alliance/dpa
Der Pazifik wird weiter verseucht
Jetzt gibt es neue Schutzhüllen um die Reaktoren und eine Eiswand im Untergrund. Eine Bergung der zerstörten Reaktoren und geschmolzenen Brennelemente ist aber nicht möglich und nicht in Sicht. Vor allem wird das Grundwasser radioaktiv verseucht. Ein Teil wird abgepumpt und in Tanks gelagert, ein anderer Teil fließt in den Pazifik.
Bild: Getty Images/C. Furlong
20 Mal häufiger Schilddrüsenkrebs
Japan hatte noch etwas Glück im Unglück. Der Wind wehte die Radioaktivität Richtung Meer. 50 Millionen Menschen im Großraum Tokio blieben so weitgehend verschont. Die Region Fukushima wurde jedoch stark verseucht. 200.000 Menschen verloren ihre Heimat. Bei Kindern fanden die Ärzte 20 Mal häufiger Schilddrüsenkrebs.
Bild: Reuters
Mehrheit gegen Atomkraft
Der Anteil von Atomkraft im japanischen Strommix lag vor der Katastrophe bei 30 Prozent, heute bei nur einem Prozent. Von ehemals 54 Reaktoren sind derzeit zwei am Netz. Die Regierung hält an der Atomkraft fest und möchte einige Reaktoren wieder hochfahren. Doch die betroffenen Regionen wehren sich bisher erfolgreich.
Bild: REUTERS
Atomindustrie in tiefer Krise
Sechs Jahre nach Fukushima stecken Atomkonzerne in einer tiefen Krise. In Japan, USA und Frankreich machen sie nur noch Verluste, neue Atomkraftwerke werden nicht mehr verkauft und Bauvorhaben aufgeschoben.
Bild: Reuters
Desaster statt Exportschlager
Große Hoffnungen setzte Frankreich in den Reaktor der neusten Generation, den europäischen Druckwasserreaktor (EPR). Er sollte sicher sein, ein Exportschlager und hier in Flamanville seit 2012 Strom produzieren. Doch jetzt geht er frühestens 2018 ans Netz und kostet über 10 Milliarden Euro - dreimal mehr als geplant.
Bild: Getty Images/AFP/C. Triballeau
Baut Großbritannien ein Atomkraftwerk?
Seit Jahren plant Großbritannien den Bau von zwei EPR-Reaktoren in Hinkley Point. Die Kosten werden auf 33 Milliarden Euro geschätzt, der Baustart soll 2019 sein. Die Zweifel mehren sich: Der Strom wäre viel teurer als aus Sonne und Wind und wäre ohne massive Subventionen nicht mehr konkurrenzfähig.
Bild: Getty Images/J. Tallis
Alte Atomkraftwerke zu verschenken
Atomkraftwerke waren mal lukrativ. Doch inzwischen sind viele Anlagen alt, anfällig, müssen repariert werden und machen Verluste. Der Schweizer Energiekonzerns Alpig wollte deshalb seine zwei Atomkraftwerke (33 und 38 Jahre alt) an den französischen Energieriesen Edf verschenken. Doch dieser lehnte ab.
Bild: picture-alliance/dpa/P. Seeger
Deutscher Atomausstieg kommt voran
Nach der Katastrophe von Fukushima beschloss Deutschland den Atomausstieg. Neun Reaktoren gingen bisher vom Netz, die letzten acht folgen bis 2022. Um die Kosten für Atommüll zu finanzieren, zahlen die Konzerne 23 Milliarden Euro in einen staatlichen Fonds. Beim ebenfalls teuren Rückbau der Kraftwerke hilft der Staat allerdings nicht.
Bild: picture-alliance/dpa/D. Ebener
Angst vor Atomunfall wächst
In der EU und der Schweiz sind noch 132 Reaktoren am Netz. Ausgelegt wurden die Kraftwerke für eine Betriebsdauer von 30 bis 35 Jahren. Im Durchschnitt sind sie jetzt 32 Jahre alt. Zunehmend werden Pannen und Sicherheitsmängel bekannt, den weiteren Betrieb halten viele für "Russisch-Roulette" und fordern die Abschaltung.
Bild: DW/G. Rueter
China treibt Atomkraft weiter voran
Während in der EU, Japan und Russland nach 2011 kein Spatenstich für ein neues Atomkraftwerk mehr erfolgte, sieht dies in China ganz anders aus. Wie kein anderes Land hält es an der Atomkraft fest und will Kohlestrom ersetzen. Doch noch sehr viel stärker als in Kernkraft investiert auch China in Wind- und Solarenergie.