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Berlin: Änderung eines rassistischen Straßennamens gestoppt

Silke Wünsch | Stuart Braun
22. August 2025

Die Umbenennung eines Boulevards in Anton-Wilhelm-Amo-Straße nach Deutschlands erstem in Afrika geborenen Gelehrten ist vorerst blockiert. Der Streit um die Beseitigung eines Symbols der Kolonialzeit geht weiter.

Eine Frau hält lächelnd das Schild Anton-W-Amo-Straße hoch, hinter ihr steht ein Straßenschild mit dem durchgestrichenen Namen "Mohrenstraße"
Decolonize Berlin: Das umstrittene Straßenschild "Mohrenstraße" sollte ab dem 23. August der Vergangenheit angehören - doch jetzt bleibt der alte Name Bild: Initiative Schwarze Menschen in Deutschland

"Dekolonisierung lässt sich nicht einfach durch die Umbenennung einiger Straßen erreichen", sagte der Politikwissenschaftler und Menschenrechtsaktivist Joshua Kwesi Aikins gegenüber der DW, nachdem bekannt wurde, dass eine zentrale Berliner Straße, deren Name von vielen als rassistisch empfunden wird, umbenannt werden sollte. Das war im Jahr 2020. Damals hatte der Bezirksrat von Berlin-Mitte beschlossen, die "Mohrenstraße" - ein Name, den viele als rassistisch empfanden - " umzubenennen. Einen neuen Namen gab es auch schon: Sie sollte nach Anton Wilhelm Amo benannt werden, einem schwarzen Philosoph der Aufklärung, der in Deutschland tätig war.

Klagen der Anwohner 

Das war im Jahr 2020. Doch noch bevor die neuen Schilder angebracht werden konnten, klagten Anwohner gegen die Entscheidung. Sie befürchteten unter anderem höhere Kosten für Adressänderungen, neue Personaldokumente und Firmenschilder. Andere argumentierten, der Name "Mohrenstraße" sei Teil der Stadtgeschichte und dürfe nicht geändert werden. Sie zogen bis vor das Oberverwaltungsgericht - ohne Erfolg: Die Richter urteilten, dass es keine rechtliche Grundlage für die Klage gäbe.

Fünf Jahre später, im Juli dieses Jahres, bestätigte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin, wonach die Anwohner keine Grundlage für eine Klage gegen die Namensänderung haben. Am Samstag, dem 23. August, dem Internationalen Tag zur Erinnerung an den Sklavenhandel und seine Abschaffung, sollte der neue Name endlich feierlich enthüllt werden - die Schilder waren bereits angebracht. 

Doch jetzt hat das Verwaltungsgericht Berlin in einer unerwarteten Wendung einem Eilantrag gegen die geplante Umbenennung stattgegeben. Es verwies auf die Klage der Bürgerinitiative "Pro Mohrenstraße", über die noch nicht entschieden wurde. Das Gericht erklärte, dass die Straße bis zum Abschluss des Verfahrens nicht in Anton-Wilhelm-Amo-Straße umbenannt werden darf. 

Warum "M*-Straße" so umstritten ist

Mehrere zivilgesellschaftlicher Gruppen  fordern schon seit Jahrzehnten , den Namen der Straße (respektvoll als M-Straße bezeichnet) und der gleichnamigen U-Bahn-Station zu ändern. Der Begriff "Mohr" geht auf das altgriechische Wort "mauros" zurück, was "dunkel" oder "schwarz" bedeutet - im Lauf der Jahrhunderte aber auch abwertende Konnotationen wie "dumm" oder "primitiv" bekam, erklärte der Politikwissenschaftler und Menschenrechtsaktivist Joshua Kwesi Aikins der DW.

Die Straße verläuft durch das historische Zentrum des früheren Preußens - nur wenige Schritte vom rekonstruierten Berliner Schloss entfernt: Von dort aus wurden einst die Kolonialexpeditionen nach Afrika koordiniert. Auch der Ort, wo vom 15. November 1884 bis zum 26. Februar 1885 die Berliner Afrika-Konferenz, auch "Kongo-Konferenz" genannt, stattfand, liegt in der Nähe. Dieses Treffen auf Einladung des deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck zwischen europäischen Staaten und Vertretern der USA war ein zentraler Moment der imperialen Machtausdehnung Europas und markiert den offiziellen Beginn der systematischen Ausbeutung Afrikas durch den Westen.

Wie der britisch-ugandische Autor Musa Okwonga es formulierte: In Berlin wurde damals diskutiert, "wie man Afrika unter sich aufteilen könnte". Diese Konferenz markierte den Beginn der kolonialen Gewaltherrschaft Deutschlands in Namibia - inklusive des Völkermords an den Herero und Nama.

Zeitungsillustration: In der sogenannten "Kongo-Konferenz" teilten die Westmächte Afrika unter sich aufBild: akg-images/picture-alliance

Die Straße in Berlin trägt ihren Namen seit Anfang des 18. Jahrhunderts - einer Zeit, in der es gängige Praxis war, versklavte Afrikaner als sogenannte "Hofmohren" zu halten. Sie dienten als Diener oder Musiker an Fürstenhöfen, oft zur exotischen Belustigung ihrer Besitzer. 


"Der Straßenname... transportiert diese rassistische Gewalterfahrung bis in die Gegenwart", schrieb der Historiker Christian Kopp von der Initiative Decolonize Berlin-Mitte auf dem Bildungsportal "Lernen aus der Geschichte".

Seit Jahren haben Menschen gegen den Straßennamen protestiert, hier 2016Bild: Stefan Boness/IPON/picture alliance

Die Sklaven wurden größtenteils aus der brandenburgisch-preußischen Kolonie im heutigen Ghana (damals bekannt als Brandenburger Goldküste) gebracht, die von 1682 bis 1721 existierte.

Wer war Anton Wilhelm Amo?

Auch Anton Wilhelm Amo, geboren um 1700, wurde in seiner Kindheit aus dem heutigen Ghana verschleppt und gelangte  als "Geschenk" an den Hof des Herzogs von Braunschweig nach Wolfenbüttel nach Deutschland. Und dort hatte er offenbar Glück: Seine intellektuellen Fähigkeiten weckten das Interesse des Fürsten, der sich als aufgeklärt verstand und in ihm wohl eine Art "Versuchsobjekt" sah.

Der Junge erhielt eine exzellente Ausbildung, beherrschte mehrere Sprachen und promovierte in Philosophie. 1734 schrieb er dann in Halle Universitätsgeschichte: Als erster Mensch afrikanischer Herkunft in Europa erhielt er einen Doktortitel. 

Seine Disputation über die "Rechtsstellung der Schwarzen in Europa" legte er 1729 vor. Sie ist zwar verschollen, zeigt aber, dass Fragen über Menschenrechte und Gleichstellung für Amo bereits im frühen 18. Jahrhundert relevant waren - es war ein früher Vorstoß gegen Rassismus und koloniale Diskriminierung.

Schwarze Menschen dienten den Weißen - hier im Tierpark Hagenbeck in Hamburg - als exotisches UnterhaltungsprogrammBild: Scherl/SZ Photo/picture alliance

Später schrieb er eine bedeutende Arbeit zur Philosophie René Descartes', in der er das Verhältnis von Geist und Körper kritisch hinterfragte. Trotz seiner akademischen Erfolge blieb Amo ein Außenseiter in der europäischen Aufklärung. 1747 kehrte er nach Afrika zurück - er soll dort als Eremit gelebt haben. Über seinen Tod ist nichts bekannt. Dass eine Berliner Straße jetzt seinen Namen tragen sollte, sollte nicht nur ihn als wichtigen schwarzen Denker des 18. Jahrhunderts ehren, sondern auch sichtbar machen, dass schwarze Geschichte in Deutschland eine lange Tradition hat. 

Der lange Weg zur Anton-Wilhelm-Amo-Straße 

In derDDR trug die Straße den Namen des ersten DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl. Nach der Wiedervereinigung entschied man sich wieder für den alten Namen Mohrenstraße.

Schon in den 1980er-Jahren machte die afrodeutsche Aktivistin May Ayim auf den diskriminierenden Straßennamen aufmerksam. Für sie stand er sinnbildlich dafür, dass die schwarze Community nach der deutschen Wiedervereinigung unsichtbar blieb. 2010, vier Jahre nachdem Ayim gestorben war, wurde eine Uferpromenade in Kreuzberg nach ihr benannt - vorher trug sie den Namen von Otto Friedrich von der Groeben, der einst die Brandenburger Kolonie in Ghana mitbegründete. Die Umbenennung galt als ein erster konkreter Schritt der Dekolonisierung im Stadtbild. Die Umbenennung der M-Straße soll sich nun in eine wachsende Bewegung einreihen, die Straßennamen und Denkmäler kritisch hinterfragt. Dass ausgerechnet Anton Wilhelm Amo dafür ausgewählt wurde, ist doppelt bedeutsam: Er steht für eine verdrängte schwarze Gelehrten-Tradition - und für die Idee, dass Aufklärung und Menschenrechte nicht exklusiv "westlich" gedacht werden dürfen.

Am 23. August 2025 sollten das neue Straßenschild mit seinem Namen feierlich eingeweiht werden. Doch nach dem neuesten Gerichtsentscheid muss die Feier erst mal verschoben werden.

Dieser Artikel beruht auf einem früheren Beitrag zum gleichen Thema.

Silke Wünsch Redakteurin, Autorin und Reporterin bei Culture Online
Stuart Braun Australischer DW-Journalist und Buchautor.
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