In Burhan Qurbanis Neuverfilmung von Alfred Döblins Roman ist ein Flüchtling der Protagonist. Der Film sorgte bereits bei der Berlinale für Aufsehen.
Anzeige
"Berlin Alexanderplatz": Ein Stück deutsche Kulturgeschichte
Eine opulent angelegte Neuverfilmung des legendären Romans von Alfred Döblin startet jetzt in den deutschen Kinos.
Bild: Imago Images/Prod.DB
Im neuen Jahrtausend angekommen: "Berlin Alexanderplatz"
Bei der Berlinale im Februar feierte "Berlin Alexanderplatz" von Burhan Qurbani Weltpremiere. Anschließend sollte die Neuverfilmung des Döblin-Romans in die Kinos kommen. Die Corona-Pandemie verhinderte dies. Nun kommt der Film mit Verspätung in die Lichtspielhäuser. Qurbani hat den Stoff in die Gegenwart transferiert und nimmt sich der Flüchtlingsthematik an. Hauptdarsteller ist Welket Bungué.
Bild: Imago Images/Prod.DB
Verbrechen und Leidenschaft im Berlin des Jahres 2020
Burhan Qurbani, als Kind afghanischer Eltern in Deutschland geboren, ist eine eindrucksvolle Literaturverfilmung gelungen. Aus der "Geschichte vom Franz Biberkopf", so Döblins Roman-Untertitel, ist die Geschichte von Francis (Welket Bungué r.) aus Guinea-Bissau geworden, den es nach Berlin verschlägt. Er gerät an den Kriminellen Reinhold (Albrecht Schuch l.) und zeitweise auf die schiefe Bahn.
Bild: Imago Images/Prod.DB
Legendärer Autor: Alfred Döblin
Bei Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz" handelt es sich ohne Zweifel um einen Jahrhundertroman. Sowohl thematisch als auch formal beschritt der 1878 in Stettin geborene Autor damals neue literarische Wege. Das Buch gilt als erster moderner deutscher Großstadtroman, warf ein Schlaglicht auf die Weimarer Republik und forderte die Leserschaft durch Aufbau und Stilistik heraus.
Bild: picture alliance/akg-images
Vielfach übersetzt und erfolgreich: "Berlin Alexanderplatz"
Trotz der Herausforderung für die Leserschaft wurde Döblins Roman ein Erfolg. Er verkaufte sich beim Publikum, wurde in viele Weltsprachen übersetzt und später auch verfilmt, auf die Bühne gebracht und zu Hörspielen umgearbeitet. Döblin, der Jude war, flüchtete 1933 vor den Nazis. Seine Bücher durften in Deutschland lange nicht erscheinen. 1936 nahm er die französische Staatsbürgerschaft an.
Erstmals im Kino: "Berlin Alexanderplatz" von Phil Jutzi
Schon zwei Jahre nach Erscheinen des Romans in Deutschland kam die erste Verfilmung des Stoffes auf die Leinwand. Regisseur Phil Jutzi schuf einen grandiosen Schauspielerfilm, Heinrich George glänzte in der Rolle des Franz Biberkopf. Doch fehlte es der Kinoumsetzung nach Meinung so mancher Kritiker an gesellschaftskritischer Schärfe und politischer Relevanz.
Bild: picture-alliance/akg-images
Rainer Werner Fassbinders filmische Visionen des Döblin-Stoffes
Ein halbes Jahrhundert später, der "Neue Deutsche Film" befand sich auf seinem Höhepunkt und wurde weltweit geschätzt, nahm sich Rainer Werner Fassbinder des Stoffes an. Gemeinsam mit seinen Hauptdarstellern Günter Lamprecht und Hanna Schygulla (Foto) machte er aus Döblins Roman einen ausufernden, rund 15-stündigen Film, der in mehreren Teilen gezeigt wurde. Die Uraufführung fand in Venedig statt.
Bild: picture alliance/ KEYSTONE
Fassbinders Blick auf "Berlin Alexanderplatz"
Fassbinders Version des Romans war seinerzeit umstritten. Er lief nach seiner Premiere am Lido in verschiedenen Kinoaufführungen. Ein großes Publikum bekam ihn aber erst in der TV-Version zu sehen. Viele Zuschauer fühlten sich von der Ästhetik Fassbinders überfordert. Viele Jahre später wurde der Film restauriert, erschien auf DVD und als das anerkannt, was er war: ein filmisches Gesamtkunstwerk.
Bild: picture-alliance/KPA
Arbeiten am Mythos: der Alexanderplatz
Vor allem wegen des Romans von Döblin ist der Alexanderplatz zum kulturellen Mythos geworden - später auch durch die Verfilmungen. Und auch wenn der Name des Platzes nicht explizit in den jeweiligen Titeln auftaucht, so ist er doch auch Schauplatz in vielen anderen Filmen. Zuletzt sah man ihn zum Beispiel in der erfolgreichen Serie "Babylon Berlin" - hier eine Drehszene.
Bild: picture-alliance/dpa/T. Rückeis
Berlinale-Premiere im Februar 2020
Die Spannung war also groß, als bei der Berlinale 2020 die Neuverfilmung des Stoffes von Regisseur Burhan Qurbani lief. Hier zeigen sich die Darsteller Welket Bungué, der Regisseur, Jella Haase und Albrecht Schuch (v.l.n.r.) kurz vor der Premiere in Berlin. Die Festival-Vorstellungen wurden ein Erfolg. Die Kritik reagierte überwiegend positiv, und auch das Berlinale-Publikum zeigte sich angetan.
Bild: Imago Images/snapshot/F. Boillot
Verspäteter Kinostart für "Berlin Alexanderplatz"
Nur ein paar Tage nach dem Ende der Filmfestspiele in Berlin wurde Corona auch in Deutschland zum großen Thema. Wie so viele andere Kultursparten litt auch das Kino. Der Spielplan kam ins Stocken, die Filmtheater mussten schließen. Auch für Qurbanis Film kam das vorläufige Aus. Doch nun startet die Neuverfilmung von "Berlin Alexanderplatz" mit Previews und dem offiziellen Kinostart am 16. Juli.
Bild: Imago Images/Prod.DB
10 Bilder1 | 10
Franz Biberkopf kam aus dem Gefängnis. Francis überlebte den Untergang eines Flüchtlingsbootes im Mittelmeer nur knapp. Beide wollen in der deutschen Hauptstadt Berlin ein neues Leben anfangen. Beide sehnen sich nach Arbeit, Normalität, Liebe. Franz Biberkopf ist der literarische Held in Alfred Döblins berühmten Roman aus dem Jahre 1929, Francis Hauptfigur in der aktuellen Verfilmung von Regisseur Burhan Qurbani.
Den Sprung aus der Literatur ins Kino haben schon viele literarische Figuren geschafft. Auch, dass ein rund 90 Jahre alter Roman noch einmal verfilmt wird, ist so ungewöhnlich nicht. Verblüffend hingegen ist, wie Qurbani und sein Filmteam es geschafft haben, dem Roman aus den letzten Jahren der Weimarer Republik einen zeitgemäßen Auftritt zu verschaffen.
Neuverfilmung macht Flüchtling zum Protagonisten
Der Film, der bei der Berlinale Premiere feierte und jetzt Corona-bedingt verspätet in die Kinos kommt, nähert sich mit drei Stunden Spieldauer und der Unterteilung in verschiedene Kapitel auch in der Struktur dem mehrere hundert Seiten starken, neunteiligen Roman Döblins an. Eine erste Verfilmung im Jahre 1931 musste sich mit knapp 90 Minuten Spieldauer auf das Wesentliche beschränken. Rainer Werner Fassbinders mehrteilige Fernsehfassung von 1980 entsprach dann schon eher der literarischen Vorlage mit all ihren Motiven, Themen und Handlungssträngen - blickte aber ebenfalls zurück in die Zeit der Weimarer Republik.
Entscheidend dafür, dass die Filmversion von Burhan Qurbani nun auf großes Interesse stoßen dürfte, ist vor allem der zeitliche Transfer ins Hier und Jetzt. "Berlin Alexanderplatz" ist (auch) zu einer Flüchtlingsgeschichte geworden - und greift damit eines der schwelenden Probleme der globalisierten Welt im neuen Jahrtausend auf. Hauptprotagonist Francis flüchtet aus Westafrika nach Europa, landet dann nach Berlin.
Alfred Döblins Dreiecksgeschichte neu interpretiert
Hier versucht er sich zunächst ohne Anerkennung auf Asyl, aber mit legaler Arbeit durchzuschlagen, was auf Dauer misslingt. Durch den Kontakt mit dem Kriminellen Reinhold kommt er auf die schiefe Bahn. Später lernt er die Prostituierte Mieze kennen, in die er sich verliebt und mit der er eine Beziehung beginnt. In diesem Grundgerüst folgt Qurbanis Film dem Roman Alfred Döblins. Was sich unterscheidet, sind Zeit, Milieu und Charaktere.
Im Zentrum, so Regisseur Qurbani in einem Interview mit der Deutschen Presseagentur, stehe aber auch bei ihm der Blick auf das Individuum: "Ich finde, dass das Buch uns etwas über den Menschen erzählen will. Das Buch interessiert sich für den Menschen und wie er sich in diesem Moloch Großstadt bewegt." Das bleib aktuell: "Unser Film beschränkt sich vor allem auf den eigentlichen Plot: die Dreiecksgeschichte, diese Ménage-à-trois zwischen Franz, Mieze und Reinhold. Wie sie sich begegnen, aneinander zerren. Und wie Franz Biberkopf zu sich selbst finden muss."
Burhan Qurbani: "Berlin war für mich eine gefährliche Stadt"
Der Schauplatz der Handlung habe sich, so der Regisseur, im Übrigen nicht wesentlich verändert: "Berlin hat nichts von der Qualität, die es in den 1920er- oder 1930er-Jahren hatte, verloren. Das haben wir versucht, so stark wie möglich in unseren Film zu übersetzen."
Wenn man das Buch aufmerksam gelesen habe, dann werde man in seiner Filmversion viel wiedererkennen, sagt Qurbani. Auch Ästhetik und Form seien durchaus Vorbilder gewesen, urteilt der Regisseur: "Was mich total fasziniert hat, ist die Form des Romans. Die Montagetechnik, diese wilde Sprache, die Döblin hat, die religiösen und moralischen Bilder, die er aufbaut."
Burhan Qurbani wurde in Westdeutschland geboren, in Erkelenz in Nordrhein-Westfalen. Als Teenager kam er nach Berlin. Seine Eltern waren Ende der 1970er-Jahre aus Afghanistan emigriert. Auch wenn der Lebensweg Qurbanis nicht mit dem seiner Hauptfigur Francis zu vergleichen ist, sind eigene Erfahrungen in Drehbuch und Film eingeflossen: "Das Berlin, in das ich gekommen bin, war eine unglaublich gefährliche Stadt, weil es so viele Möglichkeiten gibt, sich abzulenken und sich zu verlieren und sich zu unterhalten", erzählt der Regisseur im Interview.
"Berlin Alexanderplatz" überzeugt auch ästhetisch
Mit einer völlig anderen Welt wird auch Francis konfrontiert. Neben all der Entbehrung, mit der Flüchtlinge konfrontiert werden, ist auch der Kultur-Sprung eine Herausforderung. Es ist das Verdienst des Regisseurs Burhan Qurbani, dass er einen der berühmtesten Romane der deutschen Literaturgeschichte nicht "nur" zu einem ergreifenden Flüchtlingsschicksal umgearbeitet hat. "Berlin Alexanderplatz" ist auch die visuell überzeugende Version eines Grundkonflikts unserer globalisierten Zeit: des Aufeinanderprallens verschiedener Kulturen.
Im Berliner Kino "International" werden Premiere und die folgenden Vorstellungen von einer Foto-Ausstellung des Regisseurs begleitet.