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Der Weg zur Merkel-Nachfolge scheint weit

27. September 2021

Am Tag nach der Bundestagswahl sortiert sich das politische Berlin allmählich neu. Das kann dauern. Die CDU will beim Wundenlecken noch nicht auf sehr grundsätzliche Zweifel schauen. Noch kämpft Armin Laschet.

Bundestagswahl 2021 | Olaf Scholz (L) und Armin Laschet (R) am Wahlabend
Olaf Scholz (li.) ist mit seiner SPD stärkste Kraft, Laschets CDU liegt auf dem zweiten PlatzBild: Wolfgang Rattay/Reuters & Martin Meissner/AP/picture alliance

Manchmal ist die Zukunft einige Stunden später schon vergangen. Noch am Sonntagabend, am Wahlabend, rief CDU-Chef Armin Laschet die Union zum Aufbau einer "Zukunftskoalition" mit FDP und Grünen. Deutschland brauche einen Bundeskanzler, dem es gelinge, Gegensätze zu verbinden. "Zu dieser Aufgabe bin ich bereit." Und das obwohl die Union nur zweitstärkste Kraft hinter den Sozialdemokraten (SPD) geworden ist. Beide, CDU/CSU und SPD, könnten rechnerisch mit den kleineren Parteien Grüne und FDP koalieren und die nächste Bundesregierung bilden.

Manchmal muss man auf der großen politischen Bühne nur abwarten, bis der politische Gegner einen Fehler macht. Laschets Gegenspieler im Ringen um die künftige Nachfolge von Bundeskanzlerin Angela Merkel, SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz, äußerte sich am Sonntagabend gelassener als Laschet, so scholzig, dass es bei aller Freude der jubelnden Parteibasis fast noch nach "abwarten" klang. 

Und manchmal ist man am Morgen danach einfach klüger. Nicht einmal einen Tag nach der Wahl wird jedenfalls deutlich, dass in der Union Krisenstimmung herrscht und Laschet mit seinem Regierungsanspruch zu vorschnell war. Die SPD setzt auf baldige Gespräche. Und die großen Kleinen, FDP und Grüne, reden distanziert-freundlich übereinander. Vielleicht macht die Form der Kommunikation an diesem Montag schon den Unterschied aus. 

Die "Katastrophe" aus Sicht der CDU

Am Morgen äußern sich CDU-Politikerinnen und Politiker bestürzt über den Wahlausgang, nennen ihn eine "Katastrophe" (Wirtschaftsminister Peter Altmaier) oder fordern Konsequenzen für die Ausrichtung der Partei. "Wir brauchen wieder eine viel stärkere Verankerung in allen Teilen der Gesellschaft", sagt der Außenpolitiker Norbert Röttgen, einer der ganz wenigen CDU'ler mit einem beeindruckenden Wahlergebnis, im ZDF-Frühstücksfernsehen. Und Michael Kretschmer, der sächsische Ministerpräsident, spricht im öffentlichen-rechtlichen TV-Sender MDR von einem "Erdbeben" - und unter Verweis auf Fehler in der Bundespolitik von einer "ganz klaren Wechselstimmung gegen die CDU". Die Union hat mit 24,1 Prozent das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren.

Als dann die Spitzengremien der CDU ihre Beratungen beginnen, Präsidium und Bundesvorstand, kommen wie in Jetzt-Zeit von einzelnen Journalisten Nachrichten oder mutmaßliche Zitate, die sie wohl direkt aus den laufenden Sitzungen erhalten. Über Streit und Empörung und Postenpoker.

Das ist ungewöhnlich. Und eigentlich doch nicht so ganz ungewöhnlich. Denn über Jahre, seit den letzten Regierungsjahren von Bundeskanzler Gerhard Schröder, war es geradezu ein SPD-Sport, Interna nicht intern zu halten. Das hat sich jetzt gedreht.

Scholz sagt "Freunde"

Denn als die SPD-Spitze an diesem "Morgen danach" vor die Journalistinnen und Journalisten tritt, dauert es nicht lange, bis Olaf Scholz sich genau darüber lustig macht und auch irritiert zeigt. Da wird er gefragt nach einer Einschätzung der laufenden CDU-Bundesvorstandssitzung. Er sagt den Medienleuten, dazu könne er nichts sagen, "einige von ihnen sind ja embedded, wenn ich die Tickermeldungen so verfolge". Scholz dagegen gibt sich - wie meist - gelassen, betont, er wolle "Koalitionsverhandlungen nicht in der Öffentlichkeit führen" und "vertrauensvoll zu Kooperationen kommen". Ja, ganz nebenbei spricht er gar mal von "Freunden", als er Liberale und Grüne meint. 

Scholz erwähnt den "sehr eindeutigen Wählerwillen" und kündigt an, die Regierungsbildung möglichst bis Weihnachten abschließen zu wollen. Das ist ihm wichtig. Denn im Jahr 2022 hat Deutschland die G7-Präsidentschaft inne. 

Auf Wiedersehen, Frau Merkel!

12:29

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Scholz außenpolitisch gefragt

Bemerkenswert an der Scholz-Pressekonferenz ist, wie viele Fragen an den möglichen künftigen Bundeskanzler von internationalen Medienvertretern kommen, aus Finnland und Russland, aus Estland, Großbritannien, den USA. Scholz antwortet mehrmals auf Englisch. Und zeigt sich betont als Europäer. "Es geht um ein stärkeres souveränes Europa in einer Welt, die nicht einfacher wird." Und "für die Außenpolitik Deutschlands gilt auf alle Fälle, dass ein gemeinsames Handeln der Europäischen Union die Grundlage ist für alles, was wir in den nächsten Jahren tun müssen."

Stunden später tritt, dreieinhalb Kilometer weiter und doch wie in einer anderen Welt, nach einer langen Gremiensitzung der CDU der Konkurrent vor die Medienvertreter, Armin Laschet. Er gibt seine Erzählung, seine Sicht der Wahl, seine Sicht des Kommenden. Es geht nicht um Europa und Internationales. Vorstand und Präsidium der CDU seien sich einig, dass wir "zu Gesprächen für eine sogenannte Jamaika-Koalition bereit stehen", sagt er. Aus dem Bundestagswahl-Ergebnis könne keine Partei für sich einen Auftrag zur Regierungsbildung ableiten. Kanzler werde, wer eine Mehrheit der Abgeordneten im Bundestag hinter sich vereine. 

Laschet spricht von Demut. Und dass eine künftige Regierung Gegensätze miteinander verbinden müsse. Es ist – man spürt es selbst bei den Journalistinnen und Journalisten beim Zuhören – eine souverän eigene Lesart des Wahlergebnisses. Kaum etwas zu den internen Konflikten. Nichts zu Signalen aus der CSU, die den gemeinsamen Kandidaten der Union im Nachhinein wieder kritisierten.

Grüne und FDP äußern sich auch

Ein wenig im Schatten der Großen äußern sich im Laufe des Tages die beiden kleineren Parteien, die doch groß rauskommen könnten. Grüne und FDP. Tendenziell ruhiger Ton. Und es wird deutlich, dass es noch am späten Abend wohl einzelne Gespräche gab, auch mit Scholz, auch mit Laschet.

Sie entscheiden wie's weiter geht: Annalena Baerbock und Christian Lindner

FDP-Chef Christian Lindner kündigt an, dass Liberale und Grüne in kleinem Kreis "vorsondieren" wollten. Zwischen beiden gebe es die größten inhaltlichen Unterschiede aller Parteien des Zentrums", die jetzt die Regierung bilden könnten. Aber sie hätten sich auch am entschiedensten gegen den "Status Quo der großen Koalition" gewandt, der kritisch gewesen sei. 

Und auch Annalena Baerbock, die vom Wahlergebnis ziemlich gestutzte grüne Spitzenfrau, erwähnt diese Vor-Gespräche. Dabei gehe es nicht nur um mögliche Gemeinsamkeiten. Vor allem komme es darauf an, vertrauensvoll miteinander reden zu können. "Sonst ist es schon von Anfang an zum Scheitern verurteilt." Sachlichkeit hier, Sachlichkeit da. 

Tag eins nach der Bundestagswahl. Eine rasche Perspektive zeigt sich nicht. Politik ist auch ein Nervenspiel. Die SPD schöpft erkennbar aus der Ruhe des Stimmenzuwachses im Bund und der Siege in zwei Bundesländern Kraft. Die CDU, strauchelnd, gibt sich kämpferisch. 

Die Wahlen sind entschieden. Die Konsequenzen - bis hin zur offenen Führungskrise der CDU - stehen im Raum. Manchmal braucht es, bis aus dem Machtspiel wieder Politik wird. 

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