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Politik

Berlin-Anschlag: Risse in der Sicherheitsarchitektur?

30. Dezember 2016

Täglich analysieren die Behörden im Terrorismus-Abwehrzentrum die Gefährdungslage. Trotzdem kam es zum Weihnachtsmarkt-Attentat in Berlin. Die Suche nach Fehlern und Verantwortlichen läuft auf Hochtouren.

Deutschland Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum Angela Merkel und Thomas de Maizière
Kanzlerin Merkel (3.v.l.) und Innenminister de Maizière (2.v.l.) bei einem Besuch des GTAZ im April 2016Bild: Reuters/M. Schreiber

Anis Amris war einer von 549, die im Jargon der Sicherheitsbehörden als "Gefährder" bezeichnet werden. Schon der Begriff lässt erahnen, wie schwer sich Polizei, Verfassungsschutz und andere staatliche Stellen mit diesem Typus potenzieller Terroristen tun. Denn ein Gefährder ist zum Zeitpunkt seiner Erfassung oder gar Überwachung noch kein Täter, meistens noch nicht einmal ein Tatverdächtiger. Voraussetzung dafür ist schließlich eine begangene Tat. Im Falle Amris hatten die Behörden immerhin schon lange vor dem Attentat auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz zahlreiche Hinweise auf seine Gewaltbereitschaft.

Hätte der Anschlag mit zwölf Toten und rund 50 Verletzen also verhindert werden können oder gar müssen? Eindeutig beantworten lässt sich die Frage zwar (noch) nicht, aber inzwischen bekannt gewordene Einzelheiten lassen das Agieren der Behörden in einem zunehmend schlechten Licht erscheinen. Medien-Berichten zufolge soll Amri im Internet nach Anleitungen zum Bombenbau und Waffenkauf gesucht haben. Es habe Hinweise auf seine Bereitschaft gegeben, einen Anschlag zu begehen. Auch von Kontakten zu Salafisten und dem Terrornetzwerk "Islamischer Staat" (IS) ist die Rede.

Viele Behörden, viele Informationen, viele Fehler? 

Offizielle Bestätigungen für die oft verblüffend detaillierten Schilderungen gibt es bislang keine, aber auch keine Dementis. Deshalb spricht einiges dafür, dass sie zutreffend sind. Die Tragik läge dann wohl darin, dass die im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin zusammenlaufenden Fäden am Ende falsch miteinander verknüpft wurden. In der 2004 gegründeten Schnittstelle arbeiten 40 Behörden des Bundes und der Länder zusammen. Deren Terrorexperten analysieren jeden Tag die Gefährdungslage. Auch der mutmaßliche Weihnachtsmarkt-Attentäter Amri soll immer wieder Gesprächsthema gewesen sein. Seine Gefährlichkeit wurde jedoch offenkundig unterschätzt.

Zusammensetzung des GTAZ

Ob diese Einschätzung fahrlässig war, wird möglicherweise in einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss erörtert werden. Politiker der Grünen und Linken spekulieren darüber schon offen. Allerdings sind es gerade diese beiden Parteien, die stets auf das Trennungsgebot zwischen Polizei und Verfassungsschutz pochen. Deren enge Verzahnung im GTAZ beurteilen die beiden Oppositionsparteien im Bundestag skeptisch bis ablehnend. Das gilt auch für die Videoüberwachung, die seit langem Teil der deutschen Sicherheitsarchitektur ist.

Dauerthema Videoüberwachung

Welchen Nutzen Beobachtungskameras im öffentlichen Raum haben, ist ebenfalls umstritten. Befürworter verweisen auf Fahndungserfolge, wie jüngst bei einem Mordversuch an einem Obdachlosen in Berlin. Die hatten jedoch nichts mit Terrorismus zu tun. Skeptiker befürchten, islamistische Attentäter könnten sich bewusst Anschlagsziele mit Videokameras aussuchen, um ihre Taten propagandistisch auszuschlachten. Ähnliche Überlegungen spielten bei Amri womöglich im Zusammenhang mit seinem im Rahmen der Spurensicherung gefundenen Mobiltelefon eine Rolle. Die Auswertung führte zur vorübergehenden Festnahme eines verdächtigen Landsmanns des Tunesiers. Es kann sich um eine absichtlich gelegte falsche Fährte handeln. Für einen Haftbefehl fanden die Ermittler jedenfalls zu wenig.

Breitscheidplatz in Berlin: ein Lastwagen als tödliche Waffe Bild: Reuters/F. Bensch

Nach allem, was bislang bekannt ist oder vermutet wird, hätte Amri wohl am ehesten wegen krimineller Handlungen oder im Zuge seiner geplanten Abschiebung länger inhaftiert werden können. Denn unter anderem dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) war anscheinend schon lange bekannt, dass der Tunesier mit verschiedenen Identitäten in Deutschland unterwegs war. Durch den Informationsaustausch im GTAZ hatten davon auch andere Behörden Kenntnis. Trotzdem unterschätzte man seine Gefährlichkeit. Weil andere Gefährder als noch gefährlicher eingestuft wurden?

Gefährdungslage bekannt 

Dass allein schon die personellen Ressourcen für die lückenlose Überwachung aller Gefährder fehlen, darauf weisen die Sicherheitsbehörden und verantwortliche Politiker wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière immer wieder hin. Seit Jahren haben sie von einer hohen Gefährdungslage in Deutschland gesprochen. Gerade auch dann, wenn in anderen europäischen Ländern - allen voran Frankreich - Attentate verübt wurden. Besonders hoch war die Nervosität nach der Anschlagserie in Paris, in deren Folge ein Fußball-Länderspiel zwischen Deutschland und den Niederlanden kurzfristig abgesagt wurde.

Auch diese Entscheidung basierte auf Erkenntnissen und Einschätzungen der Sicherheitsbehörden. Wobei es einen gravierenden Unterscheid gibt: Eine Sportveranstaltung abzusagen, ist vergleichsweise einfach. Einen Gefährder rechtlich einwandfrei aus dem Verkehr zu ziehen, ist weitaus schwieriger. Diese Schwachstelle innerhalb der komplexen Sicherheitsarchitektur zu schließen, hat in der schon längst tobenden politischen Auseinandersetzung höchste Priorität. Die einen fordern schärfere Gesetze, die anderen die Anwendung schon bestehender. Welche Konsequenzen auch immer gezogen werden - einen Anschlag wie den auf den Berliner Weihnachtsmarkt wird niemand garantiert ausschließen können.

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