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Politik

Berlin empfängt Montenegros Langzeit-Autokraten

7. Oktober 2020

Montenegros Staatspräsident besucht die deutsche Hauptstadt. Dort wird er unter anderem von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfangen. Der Moment könnte nicht unpassender sein, meinen Kritiker.

Montenegro Cetinje | Präsident Milo Djukanovic
Montenegros langjähriger Premierminister und derzeitiger Präsident Milo DjukanovićBild: Getty Images/AFP/S. Prelevic

Der montenegrinische Langzeitherrscher Milo Djukanović, aktuell Staatspräsident seines Landes, ist seit einem Vierteljahrhundert ein Liebling des Westens. Der einstige jugoslawische Jungkommunist ahnte früh, dass die Politik des serbischen Autokraten Slobodan Milošević in einem höllischen Fiasko enden würde.

Djukanović lavierte sich geschickt und bei Bedarf skrupellos durch die Jugoslawien-Kriege. Zugleich diente er sich dem Westen an. Der sah nach den Jugoslawien-Kriegen in ihm einen Garanten für Stabilität und ethnischen Frieden.

Über eines schauen Diplomaten in Washington, Brüssel und Berlin seither meistens hinweg: Djukanović war einer der Erfinder des modernen korrupt-autokratischen Staatsmodells mit formal-demokratischem Anstrich, lange vor Ungarns Viktor Orbán, Polens Jarosław Kaczyński, Bulgariens Bojko Borissow und Serbiens Aleksandar Vučić.

In dem EU-Kandidatenland, das seit 2012 Beitrittsverhandlungen führt, bereichern sich Djukanovićs Familie und eine Clique verbündeter Politiker und Geschäftsleute hemmungslos am gemeinschaftlichen Besitz. Illegale Parteienfinanzierung, Wahlbetrug und Amtsmissbrauch sind an der Tagesordnung, die kleineren und größeren Korruptions-, Schmuggel- und Geldwäscheaffären kaum noch zu zählen.

Wohlwollendes Darüber-Hinwegsehen

Als Ausdruck des wohlwollenden Darüber-Hinwegsehens kann man auch den Berlin-Besuch Djukanovićs an diesem Mittwoch (07.10.2020) interpretieren. Montenegros Präsident wird unter anderem mit Mitgliedern des Europaausschusses des Deutschen Bundestags sprechen. Vor allem aber: Er wird von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier offiziell zu einem Gespräch empfangen. Und das ausgerechnet, während Montenegro bei der Corona-Infektionsrate in Europa weit vorn liegt und viele Unterredungen und sogar manche EU-Gipfeltreffen per Videokonferenz stattfinden.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei den zentralen Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit am 3.10.2020Bild: Soeren Stache/AFP/Getty Images

Ist Djukanović also ein besonders herzlich willkommener Gast? Detaillierte Fragen der Deutschen Welle zu dem Besuch ließ das Bundespräsidialamt unbeantwortet. Eine Sprecherin sagte der DW lediglich, der Bundespräsident freue sich darauf, "sich mit seinem montenegrinischen Amtskollegen zu den aktuellen Entwicklungen in Montenegro, zur politischen Lage in der Region und zu den Beitrittsverhandlungen Montenegros mit der Europäischen Union auszutauschen".

Djukanovićs Wahlniederlage

So viel lässt sich sagen: Der Moment für einen Besuch Djukanovićs in Berlin und ein Treffen mit dem Bundespräsidenten könnte nicht unpassender sein. Vor kurzem erlebte Montenegro erstmals in seiner Geschichte die friedliche und demokratische Abwahl von Machthabern: In der Parlamentswahl vom 30. August erlitt Djukanovićs seit drei Jahrzehnten regierende Demokratische Partei der Sozialisten (DPS) eine Niederlage - trotz vieler Manipulationen und Unregelmäßigkeiten vor und während der Wahl.

In Podgorica, der Hauptstadt Montenegros, feiern Anhänger der Opposition am 31. August 2020 ihren Wahlsieg Bild: Reuters/G. Tomasevic

Nun wollen die Wahlgewinner, drei oppositionelle Bündnisse, eine Regierungskoalition bilden und den Übergang Montenegros zu Demokratie und Rechtsstaat einleiten. Die Bündnisse sind politisch sehr heterogen, die Bandbreite ihrer Politiker reicht von Marionetten des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić und Putin-Anhängern bis zu europäischen Öko-Liberalen. Doch ihre Führer, darunter der designierte Regierungschef Zdravko Krivokapić, haben sich glaubwürdig für eine weitere proeuropäische Orientierung Montenegros ausgesprochen.

Vor holprigen Reformen

Dass Montenegro sich Serbien und Russland zuwendet und die Anerkennung Kosovos widerruft, ist ebenso wenig zu erwarten wie ethnische Gewaltszenarien. Auch wenn es bereits jetzt Bruchlinien in der Koalition über einige Gesetzesvorhaben gibt und wohl eine recht holprige Reformperiode bevorsteht, gibt es doch keinen Zweifel daran, dass eine Mehrheit ihrer Mitglieder an einer echten Demokratisierung des EU-Kandidatenlandes interessiert ist. Mehrere Generationen montenegrinischer Bürger würden damit erstmals einen demokratischen Machtwechsel erleben - eine Erfahrung, die kaum zu überschätzen ist.

Staatspräsident Djukanović hingegen akzeptiert den Wählerwillen und den Machttransfer nur widerwillig. Immerhin drohen ihm und vielen anderen aus seinem Umfeld strafrechtliche Ermittlungen und womöglich Gefängnis. Bisher war es umgekehrt: Diejenigen zivilen Aktivisten und Journalisten, die Missstände, Affären und Gesetzesbrüche in Montenegro aufdeckten, wurden bedroht, krankenhausreif geprügelt, lebensgefährlich angeschossen - wie die Investigativreporterin Olivera Lakić. Oder sie wurden viele Monate lang zu Unrecht ins Gefängnis gesteckt - wie der Journalist Jovo Martinović, über dessen Prozessfarce an diesem Donnerstag der Oberste Gerichtshof in der Hauptstadt Podgorica in einem Revisionsverfahren entscheidet.

Zdravko Krivokapić, designierter Regierungschef Montenegros, nach dem Wahlsieg der OppositionBild: Filip Filipovic/Getty Images

Angesichts all dessen hält der designierte neue Regierungschef Zdravko Krivokapić den Berlin-Besuch Djukanovićs für unangebracht. "Die demokratisch legitimierten Sieger der Wahl in Montenegro begrüßen jeden Versuch, die Beziehungen zwischen Podgorica und Berlin zu stärken", sagt er der DW. "Eine Modernisierung und Europäisierung Montenegros kann jedoch in keiner wesentlichen Weise von Milo Djukanović erreicht werden, einem Mann, der das abgewählte korrupte und autokratische System symbolisiert."

"Teufelspakt" mit "Stabilokraten"

Einige Diplomaten und Politikberater, mit denen die Deutsche Welle unter der Bedingung der Anonymität sprach, äußerten sich entsetzt über den Empfang Djukanovićs durch den Bundespräsidenten.

Der Grünen-Politiker Manuel Sarrazin, Osteuropasprecher seiner Partei, sagte der DW, es sei wichtig, dass Steinmeier seinem Amtskollegen die Versäumnisse und Missstände in Montenegro vor allem in Sachen Rechtsstaatlichkeit und Korruption "deutlich ins Stammbuch schreibt".

Der Politologe und Südosteuropa-Historiker Florian Bieber, Autor eines aktuellen Buches über den Autoritarismus in der Westbalkan-Region, nennt den Besuch von Djukanović in Berlin ein Zeichen eines "Teufelspakts", den die EU in der Westbalkan-Region mit autoritären und korrupten "Stabilokraten" geschlossen habe. "Dadurch verliert die EU letztlich den Ruf in der Region, sich für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einzusetzen und verprellt die Opposition", so Bieber.

Dušan Reljić, Südosteuropa-Experte der Berliner Stiftung Wissenschaft und PolitikBild: CIFE

Ähnlich sieht es auch Dušan Reljić, Südosteuropa-Experte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik und einer der besten Kenner der Westbalkan-Region im deutschsprachigen Raum. "Unzählige Skandale begleiten Djukanović, seitdem er ununterbrochen an der Macht ist, manchmal als Nationalist und Kriegstreiber, dann als bester Freund etlicher russischer Oligarchen bis zur aktuellen Bemühung, als Demokrat und treuer Verbündeter des Westens zu erscheinen", sagt Reljić. "Für die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit im Westbalkan und Annäherung an EU-Werte insgesamt wäre es ein wichtiger Anschub, wenn Politiker von seinem Typus endlich von der Szene verschwinden würden."