Berlin entwickelt sich zum Corona-Hotspot
17. Januar 2022Heiraten ist in Berlin derzeit kein Familienfest. Nur sieben Personen dürfen ins Standesamt, wenn ein Paar sich dort das Ja-Wort gibt. In den Restaurants herrschen bei steigenden Infektionszahlen strenge Zugangsbeschränkungen, und das Wetter ist auch schlecht.
Doch vier junge Menschen lassen sich in Berlin-Charlottenburg davon nicht die Laune verderben: Dicke Jacken, eine Flasche Champagner und eine kleine Hochzeitstorte - so haben sie sich auf einer Bank vor einem Berliner Standesamt eingerichtet. Lautes Gelächter schallt durch die Luft. Angela und Johannes haben gerade geheiratet - unter Corona-Bedingungen. "Die Anmeldung mussten wir schriftlich einreichen und für die Trauung mussten wir geimpft, genesen oder frisch getestet sein", erzählt die Braut von der Zeremonie, die "zehn bis 15 Minuten" gedauert habe.
"Zum Ja-Wort durften wir unsere Masken abnehmen und uns auch küssen", freut sie sich. Von den steil gestiegenen Infektionszahlen in Berlin will sie sich nicht die Laune verderben lassen."Mit so tollen Freunden und meinem tollen Mann" sei alles machbar. "Wir sind alle geimpft, halten uns an die Vorschriften und mehr kann man sowieso nicht tun."
Trübe Stimmung in den Szenevierteln
Gute Laune in Charlottenburg, schlechte Stimmung im beliebten Bergmannkiez in Kreuzberg. Hier ist es an diesem trüben Wochenende ungewöhnlich ruhig. An normalen Samstagen herrscht in dieser Straße mit ihren vielen kleinen Geschäften, Restaurants und Cafés ein reges und fröhliches Treiben. Heute sind nur wenige Passanten unterwegs.
Wer in den Boutiquen und Designergeschäften einkaufen will, muss einen Impfausweis oder sein frisches Testzertifikat vorzeigen. Doch in den meisten Geschäften ist nichts los. "Es ist wie ein Totentanz", sagt eine Verkäuferin resigniert. Noch nie habe sie eine solche Flaute erlebt. Aber bei den hohen Infektionszahlen traue sich niemand mehr vor die Tür.
Omikron breitet sich aus
In der Tat sind die Infektionszahlen in Berlin in den letzten Tagen in die Höhe geschossen. Das Virus breitet sich vor allem in den dicht besiedelten Bezirken der Millionen-Metropole rasant aus. In Mitte, Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg hatte die Inzidenz schon vor dem Wochenende die Marke 1000 bei weitem überschritten.
Dabei hat Omikron die Delta-Variante längst abgelöst. Wissenschaftler des Max-Delbrück-Centrums haben in den letzten Wochen die Berliner Abwässer untersucht. Ihr Fazit: innerhalb von einem Monat hat die Omikron-Variante die Herrschaft übernommen und Delta vollständig verdrängt.
Lange Schlangen vor den Testzentren
In den letzten Tagen führten die hohen Infektionszahlen zu einem Ansturm auf die zwölf landeseigenen Testzentren. Auf der Müllerstraße im Stadtviertel Wedding bildete sich am Wochenende eine lange Schlange, die sich bis auf die Parallelstraße erstreckte. Wer hier ansteht, will einen PCR-Test machen, um Gewissheit zu haben, ob er angesteckt ist. Manche wollen sich nach überstandener Infektion aus der Quarantäne freitesten.
Andere wiederum haben eine Warnung auf der Corona-App erhalten. So wie ein junges Paar, das am Samstag Nachmittag vor dem Testzentrum in der Kälte steht. Eine Stunde stehen die beiden schon an, eine weitere Stunde werden sie sicher noch warten müssen. "Wir haben zwei Schnelltests gemacht, die jedes Mal negativ waren", erzählen sie. "Aber wir hatten Kontakt mit jemandem, der infiziert ist. Darum wollen wir jetzt durch einen PCR-Test Klarheit."
Hinter ihnen reihen sich die Wartenden, alle mit FFP-2 Masken und mit großen Abständen. Mindestens 300 Meter lang ist die Schlage an diesem kalten Samstag Nachmittag. Zu Beginn der Woche kommt noch Regen hinzu. Wer hier nicht an Corona infiziert ist, wird sich sicher mindestens eine Erkältung holen.
Antigen- oder PCR-Test?
Weniger lang sind die Schlangen vor den Testzentren des kommerziellen Anbieters Coronatest.de. Die Firma betreibt bundesweit 50 Teststellen, zwanzig davon in Berlin. Sie bietet Antigen- und PCR-Tests an, die in vier eigenen Laboren ausgewertet werden, erklärt Geschäftsführer Benjamin Föckersberger im Gespräch mit der DW.
PCR-Abstriche kosten hier zwischen 14,99 und 120 Euro, je nachdem, wie schnell man eine Antwort möchte und wofür man den Test benötigt. PCR-Tests sind offenbar die einzige Möglichkeit, die Omikron-Variante zuverlässig nachzuweisen. Doch Föckersberger kann lediglich Antigen-Tests kostenlos anbieten. Nur die werden ihm vom Senat vergütet.
Testlabore vor dem Kollaps
"Das ist die Diskussion, die ich schon die ganze Zeit versuche, mit der Politik zu führen", sagt er. "Wenn wir den PCR-Test für zwölf Euro netto machen und der Antigen-Test uns 12,50 Euro Vergütung vom Staat bringt, dann ist es doch eine Farce, dass der Senat diese blöden Antigen-Tests bezahlt. Stattdessen sollte man lieber in PCR-Kapazitäten investieren."
In Berlin seien nur zwei Labore beauftragt, die Tests aus den öffentlichen Testzentren auszuwerten. Wegen der Überlastung dauere es manchmal drei und mehr Tage, bis das Ergebnis mitgeteilt werde. Sogar das Universitätskrankenhaus Charité sei davon betroffen, denn jeder Patient, der aufgenommen werde, müsse zunächst isoliert werden, bis das Ergebnis des PCR-Tests eintreffe. Seine Firma habe angeboten, hier einzuspringen und Kapazitäten anzubieten, aber bislang habe die Gesundheitsverwaltung dies abgelehnt.
Krankheitsausfälle bedrohen die Wirtschaft
Benjamin Föckersberger hofft, dass die neue Gesundheitssenatorin Ulrike Gote das Problem der übervollen Testzentren bald löst und dabei auch seine Firma zum Zuge kommt. Derzeit allerdings hat er ein Problem: auch in seinen Testzentren haben sich zahlreiche Mitarbeiter krankgemeldet, so dass er manche Zentren nur noch mit halber Kapazität betreiben kann.
Hohe Infektionszahlen und Krankenstände könnten in Berlin schon bald für Ausfälle bei der Versorgung der Bevölkerung führen. Noch sind in den Supermärkten die Regale gut gefüllt. Aber die Verkehrsbetriebe haben schon angekündigt, in dieser Woche die Anzahl der Busse auf einigen Linien einzuschränken.