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Architektur

"Konzept von Tegel funktioniert nicht mehr"

Gönna Ketels | Klaudia Prevezanos
5. November 2020

Die letzte Maschine ist gelandet. Berlins Flughafen Tegel (TXL) schließt. Erbaut wurde er von den Architekten Meinhard von Gerkan und Volkwin Marg. Eine DW-Gespräch über seine Geschichte.

Meinhard von Gerkan (l.) und Volkwin Marg sind die Architekten des Flughafens Berlin Tegel (TXL). Bei einem Tegel-Besuch im Juni 2020 haben sie noch einmal die sechseckigen Brillen aufgesetzt, die zum Richtfest des Flughafens jeder Gast bekommen hatte (Foto: DW/Gönna Ketels)
Bild: Gönna Ketels/DW

Der Flughafen Tegel war den Berlinern von Anfang an eine Herzensangelegenheit. Kurz nach Beginn der sowjetischen Blockade West-Berlins 1948 errichteten die französischen Besatzungstruppen auf dem Gelände im Nordwesten der Stadt einen Flugplatz. Damit sollten die Alliierten bei der Berliner Luftbrücke unterstützt werden. Das Provisorium blieb und war für die West-Berlinerinnen und -Berliner ein weiteres wichtiges Fenster, um die Stadt zu verlassen. Dies wurde mit dem Beginn des Mauerbaus 1961 umso wichtiger. Schnell stieg die Zahl der Passagiere und Flüge an und so wurde Tegel ausgebaut.

Sechseckige Gästebrillen zum Tegel-Richtfest

Nach den Plänen des jungen Hamburger Architektenbüros von Gerkan, Marg und Partner (gmp) begann 1970 der Neubau des Hauptgebäudes für den Flughafen Tegel "Otto Lilienthal". Zum Richtfest bekamen alle Gäste eine sechseckige Brille. Am 1. November 1974 wurde das bis 2020 genutzte sechseckige Gebäude eröffnet. Für gmp bedeutete der Erfolg des dezentralen Flughafenkonzepts den Sprung auf die internationale Architektenbühne.

Das Sechseck von Tegel Bild: Ralf Hirschberger/dpa/picture alliance

Mit dem Fall der Mauer zwischen Westdeutschland und der DDR 1989 stieg der Flugverkehr nach Berlin und Tegel noch einmal massiv an, ein neuer, größerer Flughafen wurde nötig. Die ursprünglich für 2012 geplante Schließung von Tegel verschob sich immer weiter, da sich der Bau des neuen Berliner Flughafens Berlin-Brandenburg (BER), an dem gmp zunächst auch beteiligt war, immer weiter verzögerte. 2019 nutzten 24 Millionen Passagiere den Flughafen Berlin-Tegel, der ursprünglich für gut zwei Millionen Fluggäste pro Jahr geplant war.

Die Architektur des neuen Flughafens BER in Berlin

04:19

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Am 31. Oktober 2020 nahm der neue Berliner Flughafen "Willy Brandt" doch noch seinen Betrieb auf. Wenn Tegel an diesem 8. November 2020 schließt, fliegen nur noch Hubschrauber der Bundeswehr bis voraussichtlich 2029 vom militärischen Teil des Flugplatzes aus.

Meinhard von Gerkan und Volkwin Marg auf Abschiedsbesuch

Die Tegel-Architekten Meinhard von Gerkan (Jahrgang 1935) und Volkwin Marg (Jahrgang 1936) haben der Deutschen Welle im Juni 2020 in Tegel ein Interview gegeben.

Entspanntes Gespräch im Warte-Bereich: Meinhard von Gerkan (l.) und Volkwin Marg in TegelBild: Gönna Ketels/DW

Deutsche Welle: Am 8. November 2020 soll der Berliner Flughafen Tegel endgültig geschlossen werden: Wie geht es Ihnen damit?

Volkwin Marg: Es ist ein Abschied, mit dem wir seit langem gerechnet haben. Denn eigentlich sollte ja der neue Flughafen in Berlin schon 2012 fertig sein. Jetzt ist es ein Abschied mit einer gewissen Wehmut. Tegel ist Dokument einer Zeit, in der es darum ging, den Menschen zu dienen.

Der Flughafen Tegel für die Hauptstadt Berlin quoll (vor der Corona-Pandemie, Anm. d. Redaktion) schon lange aus allen Nähten. Trotzdem wird er von Fluggästen geschätzt und geliebt: Mit wenigen Schritten ist man vom Flieger am Gepäckband oder geht direkt zum Ausgang. Bis zum Taxistand oder zur Bushaltestelle sind es kurze Wege. Warum hat sich das Konzept der kurzen Wege danach nicht für andere Flughäfen durchgesetzt?

Meinhard von Gerkan: Für uns stand an erster Stelle, einen Flughafen mit kurzen Wegen, guter Übersichtlichkeit und Orientierung, mit einer schnellen Anbindung an die Stadt Berlin und auch allen Einrichtungen innerhalb des Flughafens zu bauen. Der Fluggast war der Maßstab für die gute Funktion des Flughafens. Heutzutage ist fast jeder neue Flughafen ein Shoppingcenter mit T-Shirts, Cocktails und Schnapsflaschen. Irgendwo sind auch noch die Flugzeuge. Es ist genau das Gegenteil von dem, was wir angestrebt haben. Ein Einkaufszentrum mit Flugzeug-Anschlüssen ist in erster Linie für die Fluggäste unerfreulich.

Nach 46 Jahren macht der Berliner Flughafen Tegel nun endgültig zu Bild: Gönna Ketels/DW

Volkwin Marg: Aber damit kann man auf irgendeine Weise leben. Hinzugekommen sind auch die zunehmende Kriminalität und die Sicherheitsprobleme. Fast alle Flughäfen der Welt haben Personenkontrollen, Absperrungen, Gepäckkontrollen und andere langwierige Kontrollmaßnahmen einzurichten, so dass der Weg vom Eingang des Flughafens bis zum Sitzplatz gewissermaßen zu einem Leidensweg geworden ist, den jeder Passagier auf sich nehmen muss. Diese beiden Phänomene begründen, warum unser Flughafen-Konzept heute nicht mehr geeignet ist. Tegel ist ein Flughafen mit dezentraler Abfertigung, das heißt innerhalb des Rings gehen Sie direkt zu Ihrem Abflug und werden dort kontrolliert. 30 Meter weiter gehen Sie direkt ins Flugzeug. Diese Dezentralität hat natürlich zur Folge, dass sich das Kontrollpersonal vervielfacht, weil es an jedem Einstieg nötig ist. Auch die hinzugekommenen, ganzen Absperrungen und die Umwege müssen sehr umständlich gestaltet werden.

Durch den Bau des Flughafengebäudes Tegel mit seiner drei- und sechseckigen Form sind Sie als Architekten mit Ihrem Büro gmp berühmt geworden. Seitdem haben Sie zahlreiche renommierte Bauprojekte im In- und Ausland umgesetzt. Warum ist Tegel für Sie immer noch so etwas wie eine Herzensangelegenheit?

gmp-Architekt Marg Bild: Gönna Ketels/DW

Volkwin Marg: Dass wir den Auftrag damals bekommen haben, war absolut sensationell! Für ein Architekturbüro, das gar nicht existierte. Wir waren zu zweit. So ein Büro würde heutzutage gar nicht mehr eingeladen, um an einem solchen Wettbewerb überhaupt teilzunehmen. Tegel ist von den Großprojekten sozusagen unser Erstgeborener. Und alles, was man zum ersten Mal im großen Maßstab selbst macht im Leben, das brennt sich fest und bleibt in Erinnerung. Auch wenn man Mitte 80 ist. Damals war man 20, und schaut heute natürlich mit Wehmut darauf zurück. Aber auch mit etwas Stolz, denn welcher Architekt oder welche Architekten-Gemeinschaft kann schon sagen, dass mehrere Bauten von ihr bereits zu ihren Lebzeiten Baudenkmäler sind? Wir sind begeistert, dass das mit Tegel passiert ist. Der Senat hat das nicht aus Jux und Tollerei gemacht, sondern weil er merkte: Das finden die Berliner gut. Und dass wir die Leistung damals erbracht haben und der Flughafen auch noch gefeiert wurde und es hieß, 'das ist die Zukunft des Fliegens', hat uns natürlich Vorschub und Reputation weltweit erbracht, so dass wir unsere Aktivitäten in einem starken Maße ins Ausland ausweiten konnten.

Sie haben bereits etwas zu den veränderten Anforderungen an den Bau und die Architektur von Flughäfen gesagt. Was würden Sie anders planen, wenn Sie heute einen Flughafen in einer internationalen Metropole bauen sollten?

Meinhard von Gerkan: Unsere Gesellschaft hat sich geändert, als man angefangen hat, den Markt derart zu liberalisieren. Da haben Tankstellen eben nicht mehr nur Benzin verkauft, sondern alles. Das hat man auch mit Bahnhöfen gemacht, früher konnte man dort nur Reiseproviant und Zeitungen kaufen. Flughäfen haben früher davon gelebt, dass die Fluggäste an Start- und Landegebühren mitzahlten, damit der Flughafen seine Kosten deckte. Und natürlich war ein Flughafen eine öffentliche Einrichtung, genau wie ein Bahnhof. Ergebnis ist, dass heute Flughäfen nicht wagen, die Landegebühren zu erhöhen. Auch die internationale Konkurrenz greift im Grunde genommen mit dem Handel ihr Einkommen ab, um sich finanzieren zu können. Das sind zum Teil 50 bis 60 Prozent.

Wurde in vier Jahren erbaut: Flughafen Tegel "Otto Lilienthal" von außenBild: Gönna Ketels/DW

Erstens: Wir haben Tegel damals für zwei Millionen Passagiere gebaut und eine Erweiterung vorsehen zur Verdopplung auf fünf Millionen. Wir wissen heute, dass das schon nicht mehr die Realität erfüllt. Das heißt, ein zukünftiger Flughafen muss als Prozess auf Wachstum angelegt werden. Das führt zu einem ganz anderen Schema. Das Zweite ist, wenn man akzeptiert, dass Terroristen und Kriminelle genau an solchen Orten ihre Attentate verüben, kommen wir um eine zentrale Sicherheit nicht herum. Dann kann das dezentrale Konzept von Tegel nicht mehr funktionieren. Und mit Corona wird sich sicherlich auch noch etwas bei der Sicherheit verändern. Und wenn drittens unsere Gesellschaft sich nicht ändert und den Konsum überall erlaubt, auch dort, wo gar keine Stadt ist - im Gegensatz zu unseren europäischen Innenstädten mit ihrer Lebendigkeit -, dann werden wir auch den Einzelhandel am Flughafen nicht verhindern können.

Wenn Sie es entscheiden dürften: Was würden Sie mit dem alten Flughafengebäude nach der Tegel-Schließung machen?

Volkwin Marg: Auf die Frage kann ich nur etwas abstrakter antworten und sagen, dass es uns ein großes Anliegen ist, dass dieses Gebäude öffentlich bleibt. Dass die Öffentlichkeit daran partizipiert, zum Beispiel mit einer Schule, mit Forschungseinrichtungen, mit Ausstellungen und vielen anderen Darbietungen für die Bewohner Berlins. Aber die Entscheidung darüber wird in der nächsten Zeit von der Stadt Berlin getroffen. Die Herausforderung ist jetzt, dass die Nutzung, die man hier vorsieht, eben keine Flughafen-affine Nutzung werden kann. Eine, für die das Haus gar nicht entwickelt ist. Dieser Wandel muss so geschickt gemacht werden, dass diese Anlage in ihrer Identität nicht unkenntlich wird. Das ist ein richtiger Zielkonflikt und wir sind sehr daran interessiert, dass der richtig gut gelöst wird.

Sie kennen sich nun sehr lange und arbeiten immer noch zusammen. Wie haben Sie das gemacht?

Ein Abschied mit Wehmut für die beiden Tegel-Architekten Bild: Gönna Ketels/DW

Volkwin Marg: Unsere Sozietät, unsere Architektengemeinschaft gibt es seit über 55 Jahren. Dass wir uns beim Studium kennengelernt haben, liegt mehr als 60 Jahre zurück. Wir haben seitdem pausenlos Projekte in die Welt gesetzt. Und auch ganz viel verloren. Da haben wir aber nie geheult. Auch nicht beim neuen Flughafen, an dem wir ja anfangs auch beteiligt waren.

Meinhard von Gerkan: Wir hatten vom ersten Tag an bis heute ein gemeinsames Arbeitszimmer. Mit gelegentlichen Unterbrechungen, die aber nur damit zu tun hatten, dass wir zeitweise an verschiedenen Orten gearbeitet haben. Aber auch in China haben wir gemeinsame Arbeitszimmer in mehreren unserer Büros. Weil das nämlich so praktisch ist: Man kriegt alles mit, was man gar nicht wissen will.

Fragen von Gönna Ketels und Klaudia Prevezanos

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