Berlin: Keine Einwände gegen TV-Übernahme durch Berlusconi
2. September 2025
Kulturstaatsminister Wolfram Weimer, im deutschen Kanzleramt unter anderem für Medienpolitik zuständig, machte sich Sorgen. Die fast abgeschlossene Übernahme von mehr als 50 Prozent der Aktien des Fernsehkonzerns ProSiebenSat.1 mit seinen 15 Programmen durch die italienische Gesellschaft MediaForEurope (MFE) hätte nach Weimers Auffassung die Medienvielfalt in Deutschland gefährden können. Der Vorstandsschef von MFE ist Pier Silvio Berlusconi, ein Sohn des 2023 verstorbenen italienischen Ministerpräsidenten und Medienmoguls Silvio Berlusconi. Die Berlusconi-Familie kontrolliert über ihre Holding FinInvest einen großen Teil des italienischen TV- und Werbemarktes. Staatsminister Weimer lud Berlusconi zu einem klärenden Gespräch an diesem Dienstag ins Kanzleramt in Berlin.
"Wir müssen wissen, wie die politische Einflussnahme von neuen, ausländischen Eigentümern beschaffen sein wird", sagte Weimer, vor seinem neuen Posten selbst Verleger, vor einigen Wochen dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". "Wie wird die journalistische Qualität und Unabhängigkeit gewahrt? Was heißt das für den TV-Standort Deutschland? Die Fragen haben eine hohe Relevanz für die Wahrung der Medienfreiheit in Deutschland. Deswegen kümmere ich mich darum."
Weimer sieht "gute Nachricht"
Diese Fragen konnte Berlusconi offenbar alle positiv beantworten. Nach dem Treffen in Berlin teilte der Staatsminister schriftlich mit: "Redaktionelle Unabhängigkeit ist von zentraler Bedeutung – sie darf nicht angetastet werden. Wir sind in diesem Punkt einer Meinung, und das ist eine gute Voraussetzung für ein gelingendes Engagement im deutschen Medienmarkt."
Der italienische Gast sicherte dem Kulturstaatsminister zu, dass der Standort München, wo der deutsche Sender seinen Sitz hat, gestärkt werde. Dort sollen auch gemeinsame Einrichtungen der gesamten Berlusconi-Gruppe angesiedelt werden. "Wir möchten ein lokaleres Angebot produzieren und anbieten, das noch stärker auf das deutsche Publikum zugeschnitten ist: mit mehr Nachrichten, mehr Unterhaltungssendungen und mehr Fernsehserien – und im Laufe der Zeit weniger zugekauften Formaten", teilte Berlusconi mit.
Weimer zeigte sich zufrieden und beruhigt, weil die Berlusconi-Gruppe den Standort Deutschland mit einer pan-europäischen Plattform stärken, die kreative Infrastruktur ausbauen und auch ihre Steuern in Bayern abführen wolle. Und weil es so überraschend harmonisch zuging, haben die beiden gleich das nächste Treffen vereinbart.
Medienaufsicht stimmte bereits zu
Verhindern können hätte der oberste Medienpolitiker der neuen Bundesregierung die Übernahme sowieso nicht. Es handelt sich um ein zulässiges Geschäft im europäischen Binnenmarkt. Die Bayerische Landeszentrale für neue Medien hat als Aufsichtsbehörde über die in München ansässige ProSiebenSat1-Gruppe keine rechtlichen Bedenken. Die Übernahme durch die italienische MFE sei unbedenklich für die Medienvielfalt in Deutschland, teilte die Behörde Anfang August mit.
In Deutschland gibt es neben ProSiebenSat1 noch die RTL-Group unter dem Dach des Medienkonzerns Bertelsmann und die beiden öffentlich-rechtlichen Systeme ARD und ZDF als die großen Spieler auf dem Fernseh- und Streamingmarkt.
Ob und wie sich die Berlusconi-Firma MFE in Programm und Inhalte von ProSiebenSat.1 einmischen wird, ist nicht klar. Bislang habe sich MFE bei anderen Investitionen etwa im spanischen Fernsehmarkt auf wirtschaftliche Reformen, mehr Effizienz, gemeinsame Werbestrategien und technische Synergie konzentriert, Programmentscheidungen aber den lokalen Unternehmen in ihren Heimatmärkten überlassen. Bereiche, die nicht zum Mediengeschäft gehören, wie das Vergleichsportal Verivox oder der Dating-Service Parship, könnten abgestoßen werden.
Das Ziel von Berlusconi ist nach eigener Aussage, mit MediaForEurope ein schlagkräftiges europäisches Gegengewicht zu den US-amerikanischen Streaming-Plattformen wie Netflix oder Amazon aufzubauen. ProSiebenSat1 hatte die Übernahme durch MFE nach anfänglichem Zögern begrüßt. Denn MFE wird auch die hohen Schulden des deutschen Unternehmens übernehmen. ProSiebenSat.1 leidet unter schrumpfenden Werbeeinnahmen. Analysten der Warburg Bank sahen die wirtschaftlichen Aussichten bei ProSiebenSat1 eher schlecht und empfahlen, die Aktie nicht zu kaufen.
Wird Berlusconi in die Politik gehen?
Sorgen könnte dem deutschen Kulturstaatsminister auch machen, dass Berlusconi den wachsenden MFE-Konzern als Sprungbrett für eine politische Karriere nutzen könnte. Jahrelang hatte Berlusconi ausgeschlossen, seinem konservativ-rechtspopulistischen Vater Silvio nacheifern zu wollen. Anfang Juli klang das aber anders. Da sagte Berlusconi bei einem Presseempfang in Mailand: "Ich habe derzeit keine solchen Pläne, will es für die Zukunft aber nicht ausschließen. Mein Vater war 58, als er in die Politik ging. Ich bin jetzt 56."
Berlusconi macht aus seiner Bewunderung für die rechtsextreme Ministerpräsidentin Italiens, Giorgia Meloni, keinen Hehl. Sie führe "die beste Regierung Europas" mit großer Entschlossenheit. Die rechtspopulistische Partei Forza Italia, die Berlusconis Vater einst gründete, koaliert mit Meloni in Rom. Zur Koalition gehört auch die nationalistische Lega. Gewählt wird in Italien spätestens im September 2027. Italienische Zeitungen spekulieren, Berlusconi könnte dann als Wirtschaftsminister in ein zweites Kabinett Melonis eintreten.
Journalistenverband bedauert Übernahme
Der Deutschen Journalistenverband (DJV) kritisiert die Übernahme scharf. "Es ist bedauerlich, aber offenbar nicht mehr zu ändern, dass ProSiebenSat.1 von Berlusconi übernommen wird", teilte der DJV-Vorsitzende Mika Beuster mit. "MFE bietet keine Gewähr für den Fortbestand von Medienvielfalt und kritischem Journalismus." Es bestehe die Gefahr, dass der deutsche Sender schleichend auf populistische Berlusconi-Linie getrimmt werde, so Beuster.
Übernahmen im europäischen Fernsehmarkt sind nicht ungewöhnlich. Die RTL Group hat gerade Sky Deutschland vom US-Konzern Comcast gekauft. Dem Deal müssen noch die Wettbewerbshüter zustimmen. RTL gehört zum Medienunternehmen Bertelsmann, das auch Sender in Frankreich, Ungarn, Belgien und vielen weiteren Ländern besitzt. An ProSiebenSat1 war neben der italienischen MFE auch eine tschechische Investorengruppe beteiligt. Auch sie wollte den Münchner TV-Sender komplett übernehmen, hat ihr Angebot aber zurückgezogen und Berlusconi das Feld überlassen.
Hinweis: Die öffentlich-rechtlich verfasste Deutsche Welle wird aus dem Haushalt des Staatsministers für Kultur und Medien finanziert, ist programmlich und inhaltlich aber unabhängig.