Wie schnell ist das Internet im Homeoffice?
11. Oktober 2020Im Sommer diesen Jahres begann Elia Merguet, als externer Berater eines Bundesministeriums in Berlin zu arbeiten. Die Corona-Pandemie war gerade einige Monate alt. "Ich war von Anfang an fast ausschließlich von zu Hause aus tätig", sagt er. Doch die Arbeit am Laptop an seinem Küchentisch im Berliner Bezirk Wedding erwies sich als schwieriger als gedacht. "Ich bin schon einmal umgezogen, seit ich in Berlin bin - und in beiden Wohnungen hatte ich Internetprobleme", erzählt er.
Merguet erklärt, dass sein Problem mit dem Netz nicht so schlimm war wie in Hannover, wo er zuvor lebte. Aber auch in Berlin erschwerte es seinen Arbeitsalltag. "Schließlich habe ich aufgehört, WLAN zu nutzen und stattdessen ein Netzwerk-Kabel genommen", sagt er.
"Ich musste schon so oft mit dem IT-Support meines Arbeitgebers sprechen, um Hilfe zu bekommen. Am schwierigsten waren die Videokonferenzen, die einen großen Teil meiner Arbeit ausmachen. Ich muss dabei immer das Video ausschalten, nur der Ton läuft", berichtet Merguet.
Die Arbeit im Homeoffice ist eine Herausforderung: kein ergonomischer Bürostuhl, keine Kantine und keine Kollegen, mit denen man bei einem Kaffee schwätzen kann. Seit Beginn der Corona-Pandemie haben sich dennoch Millionen von Menschen auf der ganzen Welt daran gewöhnt, wie Merguet am Küchentisch zu sitzen, während sie an Tabellenkalkulationen arbeiten oder Telefonkonferenzen abhalten.
Doch ohne eine schnelle und zuverlässige Internet-Verbindung machen langsame Downloads und abgehackte Audio- oder Videoanrufe Telearbeitern das Leben schwer.
Der Globus der verschiedenen Internet-Geschwindigkeiten
So wie Merguet müssen deshalb viele im Homeoffice auf datenintensive Anwendungen wie Videokonferenzen verzichten. Selbst in reichen Ländern wie Deutschland sind Internetprobleme weit verbreitet, besonders auf dem Land. Wir haben mit Open-Source-Daten von M-Lab analysiert, wie schnell Internetverbindungen rund um den Globus sind. M-Lab sammelt Daten aus vielen Millionen von Geschwindigkeitstests, welche die Benutzer jeden Monat durchführen.
Um die riesige Datenmenge etwas einzugrenzen, betrachten wir Städte mit mehr als einer Million Einwohnern und mehr als 10.000 Geschwindigkeitstests, die von M-Lab gespeichert wurden. Diese Daten zeigen, dass die Geschwindigkeiten rund um den Globus sich stark unterscheiden. Städte in Nordamerika haben insgesamt höhere Downloadraten als auf anderen Kontinenten. Mit einer mittleren Download-Geschwindigkeit von 23 Megabit pro Sekunde (Mbit/s) belegt Berlin den zehnten Platz unter den europäischen Städten mit mehr als einer Million Einwohnern.
Schnell, schneller, Budapest
In Budapest arbeiten die Ingenieure Eszter Kiss und Imre Körmendy seit März im Homeoffice. In ihrem kleinen Haus am Südrand der ungarischen Hauptstadt sitzen beide vor ihren Laptops. "Wir müssen jeden Tag an Videokonferenzen teilnehmen, der gesamte Arbeitsablauf findet online statt", sagt Kiss im Gespräch mit der DW. Umso gravierender sei es, wenn das Internet einmal ausfalle, so Körmendy.
Mit solchen Ausfällen müssen Kiss und Körmendy jedoch nicht rechnen. Ungarn hat eines der schnellsten und stabilsten Breitbandnetze der Welt. Das liege an vielen verschiedenen Faktoren, erklärt Attila Miszori. Er arbeitet für den Betreiber des ungarischen Internet Exchange BIX in Budapest, über den Provider den Internetverkehr zwischen ihren Netzen austauschen.
"Wir sind ein kleines Land, die Daten müssen also nur kurze Wege zurücklegen", so Miszori zur DW. Zudem habe Ungarn, im Gegensatz zu Deutschland oder Österreich, schon früh auf schnelle Glasfaserleitungen gesetzt.
Für ein reibungsloses Arbeiten im Homeoffice ist allerdings kein besonders schnelles Netz wie das in Ungarn nötig. Download-Raten von 50 Megabit pro Sekunde (Mbps) seien vollkommen ausreichend, selbst wenn eine ganze Familie gleichzeitig von zu Hause aus arbeite, sagt Attila Miszori. Die US-amerikanische Federal Communications Commission (FCC) empfiehlt Internetgeschwindigkeiten von 25 Mbps, wenn man von zu Hause aus arbeiten und dabei datenintensive Aufgaben wie das Herunterladen von Dateien und Videokonferenzen erledigen muss.
Langsam, langsamer, Lagos
61 Prozent aller von M-Lab in diesem Jahr erfassten Geschwindigkeitsmessungen lagen unter 25 Mbps. So wie die von Demilade Oladugba. Der 21-jährige Grafikdesigner und Webentwickler kam beim letzten Test nur auf Daten-Downloads von 1,7 Mbps. "Ich bin ganz und gar nicht zufrieden", sagt er der DW. Oladugba lebt im Surulere-Viertel von Lagos in Nigeria, dem Wirtschafts- und Finanzzentrum Westafrikas, der bevölkerungsreichsten Stadt des Kontinents.
Seit Beginn der Pandemie arbeitet Oladugba freiberuflich von zu Hause aus. "Deshalb bin ich sehr abhängig vom Internet. Aber es funktioniert nicht so wie es sollte", sagt er im Internet-Telefonat mit der DW. Die Qualität des Anrufs bestätigt Oladugbas Aussagen: Der Ton klingt abgehackt, manchmal ist er kaum zu verstehen.
"Das macht meine Arbeit schwieriger. Wenn ich ein Projekt abschließe, dann möchte ich es den Kunden schnell zeigen. Und dann schicken wir Dateien hin und her, es gibt Korrekturen. All das braucht viel Zeit. Es ist ziemlich stressig." Oladugba sagt, er habe seinen Provider schon einige Male angerufen und gefragt, warum sein Internet so langsam sei - ohne eine zufriedenstellende Antwort zu erhalten. Sein Vertrag sei bereits so teuer, dass ihn sich die meisten Nigerianer nicht leisten könnten. Dennoch denkt er darüber nach, auf eine schnellere - und noch teurere - Verbindung umzusteigen.
Afrika: Warten auf den nächsten Stromausfall
Seit 20 Jahren sprechen Wissenschaftler von einer digitalen Kluft zwischen Menschen mit und ohne Internetzugang. Mittlerweile haben Mobiltelefone das Internet zwar auch an abgeschiedene Orte gebracht. Dennoch sind Nutzer in wohlhabenden und städtischen Regionen besser mit Computerhardware und Breitbandanschlüssen ausgestattet als diejenigen, die in ärmeren, ländlichen Gebieten leben, sagt Elvis Melia. Er ist Politikwissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen und berät afrikanische Regierungen in Fragen der digitalen Transformation.
Die Pandemie habe die digitale Kluft vertieft, sagt er der DW. Vor allem beim Zugang zum Netz und bei der Zuverlässigkeit der Verbindungen stellten sich viele Fragen. "Kann ich mir den Internetanschluss leisten? Und außerdem: Habe ich Geräte, die funktionieren? Oder jongliere ich mit Handy und Laptop mit kaputtem Bildschirm, während ich auf den nächsten Stromausfall warte?"
2025 weltweit schnelles mobiles Internet
Melia glaubt dagegen nicht, dass langsames Internet die Arbeit im Homeoffice massiv beeinträchtigt. "Das ist heute kein großes Problem und wird vor allem morgen kein Problem sein", sagt er und weist darauf hin, dass Firmen wie Alphabet (ehemals Google) oder SpaceX Ballons und Satelliten mit niedriger Umlaufbahn gen Himmel schicken. Sie sollen schnelles Internet auch in entlegene Teile der Welt bringen. Melia prophezeit, dass wir in fünf Jahren überall auf der Welt Zugang zu schnellem mobilen Internet haben.
Viele Experten sind sich einig, dass die Netz-Geschwindigkeit nicht der der einzig entscheidende Faktor ist. Der Inclusive Internet Index etwa versucht zu messen, wie leicht verfügbar und erschwinglich der Internetzugang in verschiedenen Ländern der Welt ist. Der Index bezieht dabei auch die digitale Kompetenz der Bevölkerung ein und schaut, ob überhaupt genug relevante Web-Inhalte in lokalen Sprachen zur Verfügung stehen.
Afrikas Internet-Vorreiter Kenia
Nigeria erreicht im Inclusive Internet Index den fünften Platz auf dem afrikanischen Kontinent. Die Forscher halten die Kosten für mobile und feste Internetanschlüsse im Verhältnis zum Einkommen für vergleichsweise niedrig. Das Land hinke jedoch bei der Netzqualität und der digitalen Kompetenz hinterher. "Kenia ist das Land, auf das jeder blickt", sagt Elvis Melia.
Es erreicht im Index den dritten Platz auf dem afrikanischen Kontinent und liegt nur knapp hinter Südafrika und Marokko. "Kenia macht sich für ein relativ armes Land gut", so der Politikwissenschaftler. "Die Erfahrungen dort kann man sicher nicht einfach auf ärmere Länder wie Niger und Burkina Faso übertragen. Aber ich glaube, dass andere Länder sich an Kenia orientieren."
Melias Ratschlag für Regierungen im Globalen Süden: Sie sollten mehr digitale Arbeitsplätze schaffen. Etwa im Bereich des maschinellen Lernens. Hier werden beispielsweise Menschen gebraucht, die Bilder mit Schlagworten versehen, um Computerprogramme Bilderkennung beizubringen. Ohne ausreichend viele Jobs, die im Homeoffice erledigt werden können, nützten auch die schnellsten Internetverbindungen nichts.
Im Globalen Norden werden die Arbeitslosenraten wohl steigen, solange die COVID-19-Pandemie nicht nachlässt. Diejenigen, die einen Job haben, der sich von zu Hause aus erledigen lässt, können sich glücklich schätzen. Auch wenn sie dabei mit Routern, Kabeln und abgestürzten Videokonferenzen zu kämpfen haben.
Daten und Code hinter dieser Analyse https://github.com/dw-data/broadband-cities
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