Laute Rufe nach mehr Waffen für die Ukraine
24. Februar 2023Seit der Nacht steht ein zerstörter russischer Panzer vom Typ T-72 vor der russischen Botschaft in Berlin. Lange vor dem Morgengrauen hatten Aktivisten vom Museum "Berlin Story Bunker" das Wrack, um die 40 Tonnen schwer, auf einem Hänger auf der Prachtstraße geparkt. Symbol der russischen Aggression und Zeichen für den ukrainischen Widerstandswillen gleichermaßen. Der Panzer, so heißt es, sei Ende März 2022 bei der Schlacht um Kiew nahe Butscha von einer Mine zerstört worden.
Und nun, am Abend, umringen ihn tausende Demonstranten. Sie drängeln sich, sie schreien und singen. "Russia is a terrorist state", ist der meistgehörte Ruf beim Protest: "Russland ist ein terroristischer Staat". Es klingt entschlossen und wütend, manchmal klingt es auch verzweifelt. Mehr als ein Dutzend der Demonstrierenden klettert auf den Panzer, der von blau-gelben ukrainischen Fahnen umgeben ist. Irgendwann steigt blauer und gelber Rauch aus Brenntöpfen neben dem Gefährt auf. Im Gedränge wirft ein Protestierer ein Ei auf das dunkle Botschaftsgebäude; er wird von Sicherheitskräften festgehalten.
"Waffenlieferungen jetzt"
Es ist der erste Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine. Und wie in vielen Städten der Welt gibt es unter Motto #StandwithUkraine auch in Berlin eine Demonstration aus Solidarität zur bedrängten und leidenden Ukraine. "Die Ukraine holt gerade für uns die Kohlen aus dem Feuer, sie verteidigt Europas Freiheit und Sicherheit", sagt Ralf Fücks vom Zentrum Liberale Moderne. Er zählt seit Beginn der russischen Aggression zu den führenden Stimmen in Deutschland, die auf Solidarität und militärische Unterstützung für die bedrohten Ukrainer drängen. Fücks redet zu Beginn der Demo, auch am Ende. Und als er während des Zuges laut ins Mikrofon "Frieden schaffen mit Waffen" ruft, wird er regelrecht gefeiert und die Menge schreit "Waffenlieferungen jetzt".
Dabei hatte dieser Berliner Jahrestag auch ruhige Momente. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und drei Bundesminister, Nancy Faeser, Marco Buschmann, Lisa Paus, sind früh am Morgen bei einem ökumenischen Friedensgebet der Kirchen in der Kapelle der Katholischen Akademie. Und wie alle anderen Besucher entzündeten sie zum Ende ganz besinnlich eine der länglichen honiggelben Kerzen, die typisch sind für die orthodoxen Kirchen.
Auch der offiziellste Termin, eine zentrale Veranstaltung bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Schloss Bellevue, an dem Bundeskanzler Olaf Scholz und fast alle Mitglieder seines Kabinetts teilnahmen, hatte stille Momente. Nicht nur bei der kurzen Gedenkminute. Da schilderten Ukrainerinnen und Ukrainer ihre Lage und ihr vergangenes Jahr, sprachen vom Leid und vom Tod geliebter Menschen. Und selbst am Panzer "Unter den Linden" verweilen über den Tag immer wieder Passanten, fotografieren, bleiben stumm stehen. Kinder fragen ihre Väter oder Mütter, es gibt leise Antworten.
Der eigentliche Demonstrationszug beginnt am Nachmittag im Osten der Berliner Mitte. Dort findet sich an einer der breiten Prachtstraßen, der Karl-Marx-Allee, ein legendäres Café, das eigentlich "Café Moskau" heißt, doch nun für einige Tage umbenannt ist in "Cafe Kyiv". Auch die Fassade dieses Gebäudes trägt nun teilweise die Farben Blau und Gelb.
"Ein harter Tag"
Die ersten, die sich dort versammeln und von denen viele eine ukrainische Fahne über der Schulter tragen, sind Geflüchtete. "Es ist ein extrem harter Tag für mich und für viele von uns", sagt Stanislava, die aus Kiew nach Berlin geflohen ist, der Deutschen Welle. Deshalb sei es wichtig, vielen Landsleuten zu begegnen. Allein in Berlin leben nach offiziellen Angaben über 300.000 geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer.
Allmählich kommen weitere Demonstranten hinzu, darunter auch ältere Menschen - die meisten wollen nur ihren Vornamen nennen. Anke sagt der Deutschen Welle, "früher, in den 1968er Jahren", sei sie "öfter auf Demonstrationen" gewesen, einmal dann noch bei einem Protest der Klimaschutzbewegung "Fridays for Future". Aber nun habe sie sich bewusst zur Teilnahme entschieden, "um die ukrainische Community zu stärken", und weil sie einen Aufruf einiger deutscher Prominenter, die von der Bundesregierung statt Waffenlieferungen an die Ukraine Friedensverhandlungen wollen, "unsäglich" finde. Sie wirkt aufgewühlt.
Nino ist mit seinem Hund eigens aus Rostock zur Demo gekommen. Seit Kriegsbeginn, sagt er, fahre er regelmäßig mit Freunden in die Ostukraine und unterstütze humanitäre Helfer in der Gegend von Charkiw und Bachmut. Vor einer Woche sei er zuletzt zurückgekehrt. "Dieser Krieg", sagt er, "das ist nicht wie Kosovo oder Afghanistan. Wenn Sie das Ausmaß der Zerstörungen sehen, erinnert das an Bilder vom Zweiten Weltkrieg."
Auch Nino trägt eine ukrainische Fahne. Viele der anderen haben handgemalte Plakate in ukrainischer, deutscher oder englischer Sprache, manchmal ist es nur ein Stück Karton an einem Holzstab. "Stop Putin" steht da oder "Putin nach Den Haag", "12 Monate Genozid" oder "Waffen für die Ukraine", auch "Panzer und Jets für die Ukraine". Als der Demonstrationszug hinter einer 30 Meter langen ukrainischen Fahne startet, sind es nach Polizeiangaben rund 4000 Teilnehmende. Doch auf den gut zwei Kilometern zum Brandenburger Tor schließen sich ständig Gruppen von Menschen der Demo an. Sie rufen und brüllen "Slava Ukraini", "Ruhm der Ukraine". Sie singen, manchmal fast melancholisch, ihre Nationalhymne.
"Kampf um das Morgen"
Nach Stunden – es ist längst dunkel – steht die Menge beim Abschluss vor dem Brandenburger Tor. Nun sind es nach Angaben der Polizei 10.000 Menschen. Da sprechen einer nach dem anderen Politiker von SPD und CDU, FDP und Grünen, die die Bedeutung des Kampfes der Ukraine für Europa und die europäischen Werte betonen.
Aber besonders gebannt lauschen die Zuhörer einer langen Video-Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selensky. "Wir müssen um das Morgen kämpfen", schwört er seine Landsleute ein und spricht dann unter Aufzählung zahlreicher militärischer und strategischer Details zuversichtlich von 2023 als dem Jahr des Sieges. Schließlich betritt der ukrainische Botschafter in Berlin, Oleksii Makeiev, mit dutzenden in Berlin akkreditierten Botschaftern zahlreicher Länder die Bühne. Die Ukraine steht nicht allein. So wirkt es. Und hinter ihnen leuchtet in die beginnende Nacht das Brandenburger Tor im blau-gelben Licht.