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Berlin setzt Zeichen gegen rassistischen Straßennamen

Stuart Braun
17. Juli 2025

Es war ein langer Kampf mit Anwohnern, bis ein Berliner Boulevard mit rassistischem Namen umbenannt werden konnte. Er heißt jetzt Anton-Wilhelm-Amo-Straße - nach dem ersten schwarzen Philosophen in Deutschland.

Eine Frau hält lächelnd das Straßenschild mit der Aufschrift "Anton-W-Amo-Straße" hoch.
Der neue Straßenname ist dem vergessenen schwarzen Philosophen Anton Wilhelm Amo gewidmetBild: Initiative Schwarze Menschen in Deutschland

"Dekolonisierung passiert nicht durch ein paar neue Straßennamen", sagte der Politikwissenschaftler und Menschenrechtsaktivist Joshua Kwesi Aikins 2020 gegenüber der DW, nachdem bekannt wurde, dass eine zentrale Berliner Straße, deren Name von vielen als rassistisch empfunden wird, umbenannt werden sollte. Dies hatte die Bezirksverordnetenversammlung Berlin-Mitte damals beschlossen. Einen neuen Namen gab es auch schon: Anton Wilhelm Amo, ein deutscher schwarzer Philosoph der Aufklärung, der 1734 als erster in Afrika geborener Gelehrter einen Doktortitel an einer europäischen Universität erhielt.

Die deutsche Kolonialgeschichte

07:09

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Doch bevor die Umbenennung umgesetzt werden konnte, klagten Anwohnende dagegen.

Nun hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin bestätigt: Die Klageberechtigung der Anwohnenden gegen die Umbenennung sei nicht gegeben.

Seit Jahrzehnten fordern zivilgesellschaftliche Gruppen, den Namen der Mohrenstraße (oft respektvoll als M-Straße abgekürzt) und des gleichnamigen U-Bahnhofs zu ändern.

Laut Joshua Kwesi Aikins gehe das Wort "Mohr" ursprünglich auf das Griechische zurück, wo es zwar "dunkel" oder "schwarz" bedeute, aber auch Konnotationen wie "dumm" oder "primitiv" trage.

Eine Straße im Schatten des Kolonialismus

Die heutige M-Straße verläuft durch das historische Zentrum des früheren Preußens - nur wenige Schritte vom rekonstruierten Berliner Schloss entfernt: Von dort aus wurden einst die Kolonialexpeditionen nach Afrika koordiniert. Auch der Ort, wo die Berliner "Kongo-Konferenz" von 1884/85 stattfand, liegt in der Nähe. 
Dieses Treffen auf Einladung des deutschen Kanzlers  Otto von Bismarcks zwischen europäischen Staaten und Vertretern der USA war ein zentraler Moment der imperialen Machtausdehnung Europas und markiert den offiziellen Beginn der systematischen Ausbeutung Afrikas durch den Westen.

Wie der britisch-ugandische Autor Musa Okwonga es formulierte: In Berlin wurde damals diskutiert, "wie man Afrika unter sich aufteilen könnte". Diese Konferenz markierte den Beginn der kolonialen Gewaltherrschaft Deutschlands in Namibia - inklusive des Völkermords an den Herero und Nama.

Aktivisten haben schon vor Jahren einen Umlaut aus dem "O" gemacht, um aus M-Straße die Möhrenstraße zu machen Bild: Imago/Bernd Friedel

Der Name der M-Straße verweist auch auf eine verbreitete Praxis im 17. und 18. Jahrhundert: Afrikanische Versklavte wurden als sogenannte "Hofmohren" nach Deutschland verschleppt - als Dienerinnen und Diener oder zur Belustigung und Unterhaltung von Kurfürsten und preußischen Königen.

"Der Straßenname, vergeben Anfang des 18. Jahrhunderts, transportiert diese rassistische Gewalterfahrung bis in die Gegenwart", schrieb der Historiker Christian Kopp von der Initiative "Decolonize Berlin-Mitte "auf dem Bildungsportal "Lernen aus der Geschichte".

Anton Wilhelm Amo: vergessener Philosoph

Auch Anton Wilhelm Amo soll als Kind in Ghana versklavt und 1707 - im selben Jahr, in dem die M-Straße ihren Namen bekam - dem Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel "geschenkt" worden sein. Trotz dieser gewaltsamen Verschleppung sah Amo sich als Teil der deutschen Gelehrtenkultur - ohne dabei seine afrikanischen Wurzeln zu verleugnen.

Seine erste, inzwischen verlorengegangene juristische Dissertation trug den Titel "Die Rechte der Schwarzen in Europa". Amo beherrschte sechs Sprachen und promovierte später über Descartes' Körper-Geist-Dualismus - doch in der europäischen Geistesgeschichte wurde er lange übergangen.

Vom Namensstreit zur Anerkennung

Der U-Bahnhof M-Straße war selbst das Ergebnis einer Umbenennung nach der Wiedervereinigung 1991 - zuvor trug er den Namen Otto-Grotewohl-Straße, nach einem DDR-Politiker.

May Ayim (rechts) wehrte sich gegen rassistische Diskriminierung, sie wurde nur 36 Jahre alt.Bild: Dagmar Schultz

Schon damals kritisierte die schwarze deutsche Aktivistin und Dichterin May Ayim die Verwendung des rassistischen Begriffs. Ayim war Mitbegründerin der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) und Herausgeberin des bis heute prägenden Buchs "Farbe bekennen".

Für Ayim war die M-Straße ein Symbol dafür, dass schwarze Deutsche in der weißen Dominanzgesellschaft des wiedervereinigten Deutschlands nicht einbezogen wurden.

2010, vier Jahre nach Ayims Tod, wurde eine Uferpromenade im Berliner Stadtteil Kreuzberg nach ihr benannt - vorher trug sie den Namen Otto Friedrich von der Groebens, der einst die Brandenburger Kolonie in Ghana mitbegründete. Die Umbenennung galt als ein erster konkreter Schritt der Dekolonisierung im Stadtbild.
 

Aus dem Englischen adaptiert von Silke Wünsch. Es ist die aktualisierte Fassung eines Artikels, der ursprünglich am 28. August 2020 veröffentlicht wurde.

Stuart Braun Australischer DW-Journalist und Buchautor.
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