Berlin und London entwickeln gemeinsame Langstreckenwaffe
16. Mai 2025
Die Bundeswehr soll "konventionell zur stärksten Armee Europas" werden. Dieses ambitionierte Ziel gab Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in seiner ersten Regierungserklärung im Bundestag aus. "Wir müssen uns verteidigen können, damit wir uns nicht verteidigen müssen", betonte der neue Regierungschef mit Blick auf die Bedrohung durch Russland. Das soll in enger Abstimmung mit den europäischen Partnern geschehen. Einen besonderen Fokus legt Deutschland nun auf die militärische Zusammenarbeit mit Großbritannien.
Besiegelt wurde diese bereits im Herbst mit einem Abkommen, das beide Länder als "historisch" feierten: die sogenannte Trinity-House-Vereinbarung. Benannt wurde sie nach dem Ort in London, an dem sie von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und seinem britischen Amtskollegen John Healey (Labour Party) im vergangenen Oktober unterzeichnet wurde. Nie zuvor hat es ein solches Abkommen zwischen beiden Ländern gegeben. Healey reiste an diesem Donnerstag (15.05.2025) nach Berlin, um die gemeinsamen Pläne zu konkretisieren.
Gemeinsame strategische Ziele
Die Nuklearmacht Großbritannien ist zwar nicht mehr Mitglied der EU, aber ein militärisch starker Partner in der NATO, der gemeinsame Interessen mit Deutschland teilt. "Großbritannien ist auch gerade in den geographischen Räumen stark engagiert, die für Deutschland wichtig sind, also im Baltikum, im hohen Norden, aber auch teilweise an der Ostflanke der NATO", unterstreicht Ben Schreer, Leiter des Berliner Büros des Internationalen Instituts für Strategische Studien (IISS).
Hier wollen beide Länder nun ihre Kräfte bündeln, etwa zum Schutz des Nordatlantiks und der Nordsee. Durch die Nordsee verlaufen nicht nur wichtige Seehandelsrouten, sondern auch Gaspipelines und Kabel, die Strom von den großen Offshore-Anlagen zur Küste leiten.
Nach mutmaßlich russischen Angriffen auf Unterseekabel in der Ostsee befürchten Sicherheitsexperten vergleichbare Angriffe in der Nordsee. Dem wollen beide Länder durch "ein klares und umfassendes Unterwasser-Lagebild" entgegenwirken, heißt es in dem Abkommen.
Gemeinsame Operationen mit U-Booten und Seefernaufklärern sind ebenfalls Teil dieses Plans. Deutsche Seefernaufklärer vom Typ P-8A Poseidon sollen künftig dabei helfen, von Schottland aus den Luftraum über dem Nordatlantik zu überwachen. Die Bundeswehr hat diese Flugzeuge neu bestellt, die britische Armee nutzt sie bereits, so dass deutsche Crews dort schon trainieren können.
"Diese Seefernaufklärer können U-Boote bekämpfen, und das über weite Distanzen", betonte Verteidigungsminister Pistorius nach den Beratungen mit seinem britischen Amtskollegen. Damit stärkten beide Partner gemeinsam die Fähigkeiten der NATO zur U-Boot-Jagd im Nordatlantik und der Nordsee.
Entwicklung von Langstreckenwaffen
In beiden Ländern gibt es eine starke Rüstungsindustrie - auch hier soll es Kooperationen geben. So stellt der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall in seinen Werken im Vereinigten Königreich den Transportpanzer Boxer her, von dem das britische Heer 500 Stück bestellt hat. Zu den Schlüsselelementen des Abkommens gehört die gemeinsame Entwicklung von Präzisionswaffen mit einer Reichweite von mehr als 2000 Kilometern, der sich auch andere europäische Länder anschließen können.
Ein weiterer Bereich der Zusammenarbeit ist die Entwicklung bewaffneter Drohnen. Die Bundeswehr hat hier Defizite, sie steigt erst in diesem Jahr in die Beschaffung von kleineren Kampfdrohnen ein. Die britische Armee hingegen verfügt über jahrelange operative Erfahrung auf dem Gebiet, von der die Bundeswehr profitieren könnte.
Systeme, die kompatibel sind
Auch bei den Kampflugzeugen der Zukunft wollen beide Länder kooperieren - zumindest bis zu einem gewissen Grad. Denn hier entwickelt Deutschland zusammen mit Frankreich und Spanien ein neues System, Großbritannien zusammen mit Italien und Japan hingegen ein anderes. "Aus europäischer Sicht macht es absolut Sinn, dass man da zumindest Interoperabilität herstellt, so dass die beiden Systeme bei gemeinsamen künftigen Einsätzen auch zusammenarbeiten können", betont Sicherheitsexperte Schreer.
Damit spricht er einen Punkt an, bei dem sich Europa immer wieder selbst im Weg steht: Es gibt es zu viele unterschiedliche Waffensysteme, die teilweise nicht miteinander kompatibel sind. "Wir brauchen gemeinsame Standards, und wir brauchen in Europa eine Vereinfachung der Systeme", forderte Bundeskanzler Friedrich Merz kurz nach seinem Regierungsantritt.
In einer Zeit, in der die europäischen NATO-Staaten eine größere Last in der Verteidigung schultern müssen, könnte von der deutsch-britischen Zusammenarbeit eine Signalwirkung ausgehen. Sie sei "ein sinnvoller Baustein" in Ergänzung zu anderen Kooperationen, sagt Schreer, etwa der zwischen Deutschland und Frankreich.
"Die spannende Frage ist, was Großbritannien bereit und auch in der Lage sein wird, zur Verteidigung Europas beizutragen. Und da stellen sich natürlich schon einige kritische Fragen, gerade auch nach Großbritanniens Verteidigungshaushalt, wo größere Zuwächse zunehmend schwieriger werden dürften."
Wieviel Geld bekommt die Bundeswehr?
Auch in Deutschland stellt sich die Frage nach der Höhe des künftigen Verteidigungsbudgets. Wegen des Regierungswechsels gibt es noch keinen Haushalt für 2025, dafür aber schon hitzige Diskussionen über die benötigten Summen.
Außenminister Johann Wadephul (CDU) stellte sich an diesem Donnerstag hinter das von US-Präsident Donald Trump ausgegebene Ziel, in der Zukunft bis zu fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Verteidigung auszugeben - und wurde vom Koalitionspartner, den Sozialdemokraten, sofort gebremst.
Die Aufstellung des Verteidigungshaushalts liege in seinem Haus, kommentierte Verteidigungsminister Pistorius nach seinem Treffen mit Healey. Maßstab seien für ihn die Beschlüsse der NATO auf ihrem anstehenden Gipfel im Juni. "Wir wissen alle, dass das sehr viel teurer wird als die zwei Prozent, die heute im Raum stehen." Drei Prozent der Wirtschaftsleistung oder mehr seien "nicht unrealistisch". Der britische Verteidigungsminister Healey ergänzte: "Es geht nicht nur darum, wieviel wir ausgeben, sondern wie wir das tun."