Berlin verbannt Bettelkinder
30. Juli 2015Bettelnde Kinder - für viele Berlin-Touristen sind sie das erste, was sie in der Hauptstadt sehen. Vor dem Gebäude des Hauptbahnhofs fragen sie die Besucher nach Geld, noch bevor diese das Brandenburger Tor, die Museumsinsel oder den Alexanderplatz erreichen.
Die meisten der Kinder sind Roma, ein handbeschriebenes Pappschild weist viele von ihnen als taub oder stumm aus. Ab und zu kommen Beamte vorbei, nehmen die Kinder mit und bringen sie zum Jugendamt, wo ihre Erziehungsberechtigten sie abholen müssen.
Nun hat der Berliner Senat ein Gesetz erlassen, das es Eltern verbietet, ihre Kinder zum Betteln mitzunehmen. Werden sie dennoch beim Betteln mit ihren Kindern erwischt, erwartet sie eine Geldstrafe von bis zu 500 Euro.
Sorge um das Wohl der Kinder
Entworfen hat das Gesetz Berlins Innensenator Frank Henkel. Der Christdemokrat gibt sich besorgt über organisierte Bettelgruppen, die Kinder systematisch ausnutzen, um Almosen zu erhalten: "Kinder zum Betteln zu missbrauchen, stellt eine grobe Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht dar", sagte Henkel in einer Stellungnahme,."Diesen Missbrauch wollen wir mit der Verordnung bekämpfen und Sanktionen gegen die Verantwortlichen verhängen."
Die Strafe soll Erwachsene davon abhalten, Kinder dafür zu missbrauchen, die Spendenbereitschaft von Passanten zu erhöhen. "Sie erhöhen den Mitleidsfaktor", sagt der Berliner Staatssekretär Bernd Krömer. Das Problem daran sei: "Diese Kinder betteln, während andere in der Schule sitzen."
Mehrheit befürwortet Bettelverbot für Kinder
Viele Deutsche sehen das genau so. In einer Umfrage im Auftrag des Nachrichtenmagazins "Stern" sagten 70 Prozent der Befragten, dass man Kindern - also Personen unter 14 Jahren - das Betteln verbieten müsse.
Grundsätzlich ist Betteln nicht illegal in Deutschland. Nur aggressives Betteln - also etwa Personen physisch zu bedrängen, um Geld zu erbitten - ist vielerorts untersagt. Auch das Betteln mit Kindern haben bereits mehre Städte - zum Beispiel Bremen und München - unter Geldstrafe gestellt.
Doch nicht in allen Rathäusern sieht man die Notwendigkeit für eine solche Verordnung. Ein Kölner Stadtrat sagte der Tageszeitung "Die Welt", er sehe kein Problem darin, wenn Kinder ihre Eltern beim Betteln begleiten. Grund zum Handeln sehe die Stadt nur, wenn das Wohl des Kindes auf dem Spiel stehe - etwa wenn das Betteln bis in die Nacht gehe.
Kampf gegen organisierte Kriminalität
Ein erklärtes Ziel des Berliner Verbots ist es, organisierte Banden davon abzuhalten, Kinder zum Betteln zu missbrauchen - oder auch Eltern dazu zu zwingen, ihre Kinder zu benutzen, um mehr Geld zu erbetteln. Aber kann eine Geldstrafe Menschen davon abhalten, wenn sie auf der anderen Seite von einer kriminelle Vereinigung bedroht werden?
Benedikt Lux glaubt das nicht. Er sitzt für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus und hält es für falsch, die Eltern mit einer Geldstrafe zu belegen: "Natürlich muss der Staat eingreifen, wenn Kinder missbraucht werden", erklärt Lux im Gespräch mit der DW. "Aber dieses Gesetz verdrängt das Problem lediglich aus dem öffentlichen Raum." Der Senat entzöge sich damit seiner Verantwortung, es wirklich zu lösen, sagt Lux.
"Wenn man die Hintermänner erwischen will, genügt es nicht, die Erziehungsberechtigten mit einer Zahlung von 500 Euro zu bestrafen", sagt der Grünen-Abgeordnete. Man müsse den Dingen auf den Grund gehen und gegen die Drahtzieher ermitteln.
Geldstrafe bedroht arme Familien
Viel mehr würde die Geldstrafe besonders denjenigen Familien zusetzen, deren einzige Einkommensquelle Almosen sind, sagt Lux: "Ihre Lage wird durch das neue Gesetz nur noch schlimmer." Aus Angst vor einer Strafe, die sie nicht zahlen können, könnten Eltern ihre Kinder zuhause oder in fragwürdiger Obhut zurücklassen, während sie selbst betteln gehen.
Das neue Gesetz dürfte vor allem Roma betreffen, weil sie besonders häufig mit ihren Kindern am Straßenrand sitzen. Deshalb hat auch Rüdiger Benninghaus Bedenken. Er engagiert sich im Kölner Verein "Latscho Drom", der sich dem Dialog mit Sinti und Roma widmet. "Vielleicht wissen diese Frauen einfach nicht, wohin mit ihren Kindern, während sie unterwegs sind", schreibt Benninghaus auf Anfrage der DW. "Es wäre sinnvoller, erst einmal Sozialarbeiter zu diesen Familien zu schicken, die sie über die Gefahren der Kinder-Bettelei aufklären, bevor man sie verbannt."
Im Herbst wird sich zeigen, wie gut die Verbannung in Berlin funktioniert. In zwei Monaten stimmen die Bezirksbürgermeister darüber ab, ob das neue Gesetz wirklich in Kraft tritt.