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Den Ton der Straße richtig treffen

Heiner Kiesel19. September 2016

Die Protestpartei AfD schafft erneut den Einzug in ein Länderparlament. Ihrer Strategie haben die etablierten Parteien nichts Neues entgegenzusetzen. Aber die Kanzlerin macht das ziemlich nachdrücklich.

Frauke Petry Jörg Meuthen Bundespressekonferenz BPK Berlin
Frauke Petry (Mitte) und Jörg Meuthen (rechts) nach der Berlin-WahlBild: picture-alliance/dpa/B.von Jutrczenka

Erklärungsversuche nach der Wahl

02:36

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Die Rollen auf dem Podium sind gut verteilt. Da sitzen drei führende Politiker der Partei Alternative für Deutschland (AfD). Sie freuen sich alle auf ihre Art über den beachtlichen Erfolg ihrer Protestpartei bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus. Sie sind hier zum ersten Mal angetreten und haben gleich 14,2 Prozent der Stimmen bekommen. Es ist das zehnte Landesparlament, in das die AfD einzieht. Zackig erklärt das die Parteivorsitzende Frauke Petry zum "Countdown für die Bundestagswahl" im nächsten Herbst. Bei den drei bis dahin anstehenden Landtagswahlen will sie auch erfolgreich sein. An diesem Tag nach der Wahl erscheint für sie alles möglich. Sie schaut auf ihre Wahlanalyse und sagt, "die SPD hat aufgehört, die Partei der kleinen Leute zu sein", denn die würden jetzt die AfD wählen. Auch die CDU wird heftig beerbt: "Es zeichnet sich jetzt schon in Berlin ein bisschen ab, dass das, was die CDU einmal war, die AfD übernimmt."

Der Spitzenkandidat Georg Pazderski ist der Konziliante in der Riege. Er unterstreicht seinen Willen zur konstruktiven Mitarbeit an der Berliner Politik. "Wir wollen keine Frontalopposition", betont er - und dass es seiner Partei gelungen sei, die Nichtwähler an die Urnen zu locken. Bei Letzterem spart er nicht mit dem Superlativ: "Die Wahlanalyse zeigt, dass die AfD das größte demokratische Projekt der letzten Jahrzehnte ist." Wie es dazu kommen konnte, ist für Pazderski klar: "Offensichtlich sprechen wir die Sprache des Bürgers auf der Straße."

Freut sich darauf, Berliner Politik mitzugestalten: AfD-Spitzenkandidat Georg PazderskiBild: Reuters/F. Bensch

Dazu gehören aber auch fragwürdige Aussagen. Als Pazderski auf mögliche nationalistische und antisemitische Verbindungen von Parteimitgliedern angesprochen wird, lacht er irritiert. "Das ist eine unverschämte Frage", reagiert die Parteivorsitzende Petry und fordert, man solle doch besser nach den NPD-Verbindungen bei der CDU forschen.

Erklärungsversuche nach der Wahl

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Für solche Momente sitzt der ruhige Parteierklärer und Vizevorsitzende der AfD, Jörg Meuthen, dabei. Er kommt aus Baden-Württemberg und kann darauf verweisen, dass er dort einen Antisemiten aus der Landtagsfraktion entfernt hat. Meuthen steht für demokratische Kontrolle.

Fingerzeigen bei CDU und SPD

Was die meisten anderen Parteien nach der Berlin-Wahl präsentieren, sieht mehr nach Kontrollverlust aus. Bei den ehemaligen Regierungspartnern SPD und CDU herrschen die gegenseitigen Schuldzuweisungen vor. Die Christdemokraten haben mit 17,2 Prozent ein historisch schlechtes Ergebnis eingefahren. "Bitter" nennt es der Chef der Berliner CDU und Noch-Innensenator Frank Henkel. Er grämt sich wegen des Streits, den die bayerische Schwesterpartei CSU wegen der Asylpolitik mit der CDU angezettelt hat. "Rückenwind sieht anders aus", sagt er trocken.

Wahlverlierer Frank Henkel findet, dass er gute Arbeit geleistet hat in der RegierungBild: Getty Images/S. Gallup

Auch mit dem Regierungspartner SPD ist er unzufrieden. "Hilfreich war auch nicht, dass der Regierende Bürgermeister nahezu jede Gelegenheit genutzt hat, um einen Streit in der Koalition anzuzetteln, um seinen Koalitionspartner schlecht aussehen zu lassen." Aber trotzdem wolle er sich nicht verweigern und stehe für Sondierungsgespräche für eine Regierungsbildung bereit.

Die Stimmen der CDU werden aber für die SPD zum Regieren nicht reichen. Auch die Sozialdemokraten haben ein historisch schlechtes Ergebnis eingefahren: 21,6 Prozent. Die Partei hatte einst auch schon mal 60 Prozent in der Metropole. Schuld daran sei die Bundes-CDU und ihr Streit mit der CSU, heißt es bei SPD-Spitzenpolitikern. "Es geht nicht mehr um Sachthemen, sondern nur noch um Flüchtlinge. Und das befeuern CDU und CSU noch", sagte SPD-Generalsekretärin Katarina Barley im Fernsehsender Phoenix. Gleichzeitig stärke das die AfD. "Da muss man sich nicht wundern, wenn es links und rechts stärker wird und nicht in der Mitte", fügte die SPD-Politikerin hinzu.

Beruhigend auch bei den Verlusten: Wahrscheinlich wird der Regierende Bürgermeister auch künftig Michael Müller von der SPD sein. Aber mit wem wird er regieren? Die wahrscheinlichste Kombination ist eine mit den Grünen und den Linken. Es würde reichen, denn die Linken freuen sich über moderate Zugewinne, die Grünen beklagen ebensolche Verluste. Aber wer weiß? So richtig sympathisch finde Müller die Linken nicht, hört man immer wieder. Dann könnte es doch was werden mit SPD und CDU. Das ginge zusammen mit dem zweiten Aufsteiger bei diesen Wahlen: Die FDP ist wieder da! Die Liberalen haben es nach einer Legislaturperiode wieder ins Abgeordnetenhaus geschafft (6,7 Prozent).

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) ist Wahlsieger mit schlechtem ErgebnisBild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Ungewohnt selbstkritische Kanzlerin

Eine, die nicht reflexhaft nach anderen Schuldigen für das Wahldebakel ihrer Partei sucht, war am Montag nach der Berlin-Wahl Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie trat in der Parteizentrale in Berlin ans Mikrofon. "Ich bin Parteivorsitzende, ich drücke mich nicht vor der Verantwortung", eröffnet sie ihr Statement und gesteht daraufhin langjährige Fehler bei der Flüchtlingspolitik ein. Es ist das Thema, das mehr als jedes andere zum Höhenflug der AfD beiträgt. "Wenn ich könnte, würde ich die Zeit um viele, viele Jahre zurückspulen, um mich mit der ganzen Bundesregierung und allen Verantwortungsträgern besser vorbereiten zu können", sagt sie im Rückblick auf die Flüchtlingsströme des Spätsommers 2015.

Sie hat wohl nicht den Ton der Straße getroffen wie die AfD: "Wenn eine Ursache für das schlechte Abschneiden der CDU ist, dass manch einem Richtung, Ziel und Grundüberzeugungen unserer Flüchtlingspolitik nicht ausreichend erklärt worden sind, so möchte ich mich gerne darum bemühen." Den AfD-Sympathisanten wird das aber wahrscheinlich nicht ausreichen, denn in der Sache bleibt Bundeskanzlerin Merkel standhaft: "Wenn gemeint sein sollte, dass die Menschen schlichtweg keine Fremden, speziell keine Muslime, bei uns aufnehmen wollten, dann stehen dem unser Grundgesetz, völkerrechtliche Bindungen unseres Landes, aber vor allem auch das ethische Fundament der CDU und meine persönlichen Überzeugungen entgegen."

Sieht die Aufnahme von Flüchtlingen als ethisch geboten: Bundeskanzlerin Angela MerkelBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler
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