Berlin weist Protest gegen Satire zurück
29. März 2016 Der deutsche Botschafter in Ankara, Martin Erdmann, hat in einem Gespräch im türkischen Außenministerium den Schutz der Presse- und Meinungsfreiheit angemahnt. Erdmann habe deutlich gemacht, "dass Rechtsstaatlichkeit, die Unabhängigkeit der Justiz und der Schutz grundlegender Freiheiten, einschließlich der Presse- und
Meinungsfreiheit, hohe Güter seien, die gemeinsam geschützt werden müssten", hieß es nach dem Gespräch aus dem Auswärtigen Amt in Berlin.
Der Botschafter war bereits in der vergangenen Woche wegen einer TV-Satire des Nordeutschen Rundfunks über den türkischen Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan in das Außenministerium in Ankara einbestellt worden. Jetzt folgte ein weiteres Gespräch mit einem Unterstaatssekretär.
Türkei verärgert
Die Einbestellung eines Botschafters signalisiert im diplomatischen Umgang der Staaten erhebliche Verstimmung. Die Türkei hatte zu dieser zwischen Verbündeten eher ungewöhnliche Maßnahme gegriffen, aus Verärgerung über ein in der NDR-Sendung "Extra 3" am 17. März ausgestrahltes satirisches Lied über Erdogan. In dem knapp zwei Minuten dauernden Film wird unter anderem dessen Vorgehen gegen regierungskritische Journalisten kritisiert.
Schon bei dem ersten Treffen habe Erdmann darauf hingewiesen, dass politische Satire in Deutschland von der Presse- und Meinungsfreiheit gedeckt sei "und es deshalb weder eine Notwendigkeit noch die Möglichkeit für ein Handeln der Bundesregierung gibt", verlautbarte aus dem Auswärtigen Amt weiter. Nach Angaben aus türkischen Diplomatenkreisen forderte Ankara, eine weitere Verbreitung des Films zu stoppen. Das Video wurde auf Youtube bis zum Dienstagabend knapp 800.000 Mal angeklickt.
Kritik von allen Seiten
In Berlin wurde die Intervention der türkischen Regierung einhellig verurteilt. Der CDU-Außenexperte Norbert Röttgen bezeichnete die Einbestellung Erdmanns als "aussichtslose Anmaßung" Ankaras. Die SPD-Politikerin Michelle Müntefering, Vorsitzende der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe, sagte "Spiegel Online", dass nach türkischen Journalisten nun auch deren deutsche Kollegen und sogar Diplomaten unter Druck gesetzt würden, verleihe dem Verhalten der Regierung in Ankara "eine zusätzliche negative Qualität"
Die Grünen-Abgeordnete Renate Künast bezeichnete die Presse- und Kunstfreiheit als "konstitutive Merkmale unserer Demokratie". Sie forderte die Bundesregierung auf, diese Merkmale zu bewahren und gegenüber der Türkei aktiv dafür einzutreten. Ähnlich äußerte sich auch die außenpolitische Sprecherin der Linkspartei, Sevin Dagdelen,
NDR legt nach
Die Redaktion der Satire-Sendung veröffentlichte als Reaktion beim Kurznachrichtendienst Twitter ein Bild Erdogans mit der Überschrift "extra3-Mitarbeiter des Monats", stellte englische Untertitel für den Film bereit und spottete über Erdogans Vorstellungen von "Video on demand".
In der Türkei stehen derzeit zwei Journalisten der regierungskritischen Tageszeitung "Cumhuriyet" vor Gericht. Ihnen wird die Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen sowie Spionage vorgeworfen. Der Prozessauftakt am vergangenen Freitag wurde zur Empörung Erdogans von europäischen Diplomaten beobachtet. Unter ihnen war auch der deutsche Botschafter.
wl/SC (dpa, afp, rtr, epd)