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Politik

Berlin wertet Drei-Meere-Initiative auf

5. Juni 2019

Nach anfänglicher Skepsis unterstützt Deutschland die Initiative im Osten der EU, Bundespräsident Steinmeier reist zum Treffen der Gruppe in Ljubljana. Denn die Region wird zum geostrategischen Brennpunkt der Großmächte.

Drei-Meere-Initiative Treffen in Bukarest Plenum
Im vergangenen Jahr trafen sich Vertreter der Drei-Meere-Initiative im September in BukarestBild: picture alliance/AP Photo

Die drei Meere, das sind die Ostsee, die Adria und das Schwarze Meer. 2015 riefen Polen und Kroatien diesen lockeren Verbund von zwölf EU-Ländern in der östlichen Hälfte der EU ins Leben, von Estland im Norden bis Kroatien im Süden und Rumänien und Bulgarien im Osten. Was die Länder außerdem verbindet: Alle sind Mitglieder der EU und bis auf Österreich alle ab 2004 beigetreten.

Ziel ist eine verstärkte Zusammenarbeit vor allem in den Bereichen Infrastruktur, Energie und Sicherheit. Die Mitglieder fühlen sich nicht nur von Russland bedroht und wollen in ihrer Energieversorgung unabhängiger von russischer Versorgung werden. Sie glauben auch, dass ihre Interessen innerhalb der EU zu wenig Gehör finden. Ihr relativ geringes politisches Gewicht hat zum Teil wirtschaftliche Gründe: Zwar machen die Länder der Drei-Meere-Initiative rund ein Viertel der Fläche und der Einwohner der EU aus, sie erwirtschaften aber nur zehn Prozent des EU-Bruttosozialprodukts.

Gemeinsam, so das Kalkül, kann man in Brüssel mehr erreichen. Außerdem wollen sie die Verkehrsverbindungen untereinander ausbauen, denn, so der Politikwissenschaftler Kai-Olaf Lang von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP): "Im Gegensatz zu den Ost-West-Verbindungen fehlt es an Süd-Nord-Korridoren."

Streit um Nord Stream 2

In Berlin hat man die Initiative zunächst eher desinteressiert bis argwöhnisch beäugt. Die Bundesregierung befürchtete eine weitere Spaltung der Europäischen Union in Ost und West, die in der Migrationspolitik ohnehin groß ist. Heftigen Streit zwischen Berlin und den Mitgliedern der Initiative gab es außerdem um die Erdgasleitung Nord Stream 2, die noch mehr russisches Gas durch die Ostsee direkt nach Deutschland bringen soll.

Präsident Trump ergriff 2017 in Warschau offen Partei für die Osteuropäer und gegen Deutschland in der ErdgasfrageBild: picture-alliance/PAP/J. Turczyk

Als am zweiten Treffen der Drei-Meere-Initiative im Juli 2017 in Warschau sogar Donald Trump teilnahm, ergriff er in der Erdgasfrage offen Partei gegen Deutschland. Der US-amerikanische Präsident kritisierte, Berlin mache sich zu abhängig von Russland. Die USA haben dabei allerdings eigene Interessen: Jenseits der politischen Dimension sehen sie Osteuropa als einen potentiellen Absatzmarkt für ihr Flüssiggas.

Deutschland will raus aus der Zuschauerrolle

Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter zieht aus dem Streit folgenden Schluss: "Es war ein deutliches Zeichen, auch nationale, als wirtschaftlich betrachtete Projekte früher mit den EU-Partnern zu beraten. Leider ist vorher die Zeit nicht genutzt worden, Misstrauen vorzubeugen." Der Streit um Nord Stream 2 habe "deutlich gezeigt, wie wichtig Energiepolitik für den Zusammenhalt der EU ist. Die Osteuropäer haben eine große Sensibilität für dieses Thema, und das muss Deutschland ernster nehmen." Ähnlich denkt Dietmar Nietan, SPD-Bundestagsabgeordneter und Vorstandsvorsitzender Deutsch-Polnischen Gesellschaft: "Die Interessen der beteiligten mittel- und osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten zu begreifen und gemeinsam mit ihnen Möglichkeiten der Kooperation zu identifizieren, sollte für uns eine hohe Priorität haben. Das gilt für strittige Fragen wie Migrations- und Energiepolitik, aber auch darüber hinaus."

CDU-Politiker Roderich KiesewetterBild: picture-alliance/dpa/S. Pilick

Der Trump-Auftritt war auch ein Weckruf anderer Art. In Berlin hat man mittlerweile erkannt, dass sich nicht nur die US-Amerikaner aus geostrategischen Gründen verstärkt für die Region interessieren. Auch China ist mit seinen Investitionsoffensiven immer mehr präsent, während Russland ohnehin seine strategischen Interessen dort verfolgt. Mit seinen engen wirtschaftlichen Verbindungen zu den Ländern der Initiative möchte Deutschland nicht länger abseits stehen. "Man will nicht nur zuschauen", so Kai-Olaf Lang, "sondern man weiß, dass die infrastrukturellen Projekte auch eine außenpolitische Dimension haben."

Berlin steuert um

Bereits im vergangenen Jahr vollzog Berlin einen Schwenk: Außenminister Heiko Maas fuhr zur dritten Konferenz der Drei-Meere-Initiative nach Bukarest. Dabei kündigte er in Anlehnung an die Entspannungspolitik unter Bundeskanzler Willy Brandt in den 1970er Jahren eine "neue Ostpolitik" an und sagte, Deutschland wolle "Brückenbauer und Moderator im Geiste europäischer Einheit" sein.

Maas bewarb sich sogar um eine volle Mitgliedschaft Deutschlands in der Staatengruppe. Das Echo war geteilt. Während der damals gastgebende rumänische Präsident Klaus Iohannis den Wunsch unterstützte, strafte der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki das Angebot durch Nichtbeachten. Und nur wenn alle Mitglieder zustimmen, kann Deutschland beitreten.

Auch EU zeigt Interesse

Jetzt wertet die Bundesregierung das vierte Treffen im slowenischen Ljubljana noch mehr auf, indem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier teilnimmt. Die Europäische Union interessiert sich ebenfalls verstärkt für die Initiative. Zusammen mit Maas war im vergangenen Jahr in Bukarest Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker dabei. Auch für dieses Mal hat er sich angekündigt.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (l.) und Außenminister Heiko Maas im September 2018 in BukarestBild: Imago Images/photothek/F. Zahn

Ein Zeichen, dass die Kommission in der Initiative keine Konkurrenz zur EU sieht. Juncker unterstützt auch den deutschen Wunsch nach einer Mitgliedschaft. Lang glaubt aber: "Wahrscheinlich wird Deutschland kein vollständiges Mitglied der Initiative werden, denn das würde ihren Charakter verändern." Berlin wolle aber seine Kooperationsbereitschaft signalisieren.

Ein Finanzierungsfonds soll helfen

Bisher sieht die Bilanz der Drei-Meere-Initiative bescheiden aus, meint Lang. Die Kooperation der Länder sei "vage, konkret passierte noch nicht viel". Das könne sich aber mit der Gründung eines Fonds ändern, der gemeinsame Infrastrukturprojekte finanzieren soll. Dieser Fonds wurde erst vor wenigen Tagen bei einer polnischen Wirtschaftsbank aufgelegt und soll von Polen, Rumänien und Tschechien geführt werden. Bisher liegt das Finanzvolumen bei etwa 500 Millionen Euro, Ziel sind vier bis fünf Milliarden.

Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und PolitikBild: SWP

In den 1930er Jahren gab es schon Bestrebungen einer ähnlichen Initiative unter polnischer Führung. Der Verbund von mehreren Ländern zwischen der Ostsee, dem Adriatischen und dem Schwarzen Meer sollte geostrategischen Charakter haben und verstand sich als Schutz vor der Sowjetunion unter Josef Stalin und dem nationalsozialistischen Deutschland unter Adolf Hitler. Von solchen historischen und geostrategischen Parallelen wollen die Initiatoren der Drei-Meere-Initiative aber nichts wissen und betonen vor allem die wirtschaftliche Bedeutung.

Solche informelle Verbünde hätten aber immer auch "eine geostrategische Dimension", betont Kai-Olaf Lang entgegen den Dementis aus den Reihen der Drei-Meere-Initiative. In Berlin habe man das erkannt, insbesondere weil sich heute auch China und Russland stärker für die Region interessieren. Das Fazit des Politikwissenschaftlers: "Damit steigt auch in der EU und in Deutschland das Bewusstsein für die Relevanz dieses Teils Europas". Der SPD-Politiker Dietmar Nietan meint: "Diese Länder sind nicht etwa die Peripherie Europas! Sie spielen eine Schlüsselrolle im Zuge einer dringend nötigen Neuen EU-Ostpolitik, wie sie Außenminister Maas fordert."

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