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Politik

Berlin will europäische Asylreform

28. Juni 2020

Während der anstehenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft will die Bundesregierung auch die lange überfällige Reform des europäischen Asylsystems angehen. Der Druck zu handeln ist groß, die Widerstände aber ebenso.

Migranten an EU-Außengrenze Griechenland
März 2016: Migranten protestieren mit Blumen gegen die Schließung der griechisch-mazedonischen GrenzeBild: picture-alliance/Joker/T. Georgiev

Weltweit sind mehr Menschen auf der Flucht als je zuvor, nach UN-Angaben fast 80 Millionen, mehr als ein Prozent der Weltbevölkerung oder fast so viele, wie Deutschland Einwohner hat. Zwar wollen nicht alle Flüchtlinge nach Europa; außerdem bremst zurzeit noch die Corona-Pandemie die Wanderungsbewegungen. Doch der Migrationsdruck bleibt hoch. Europa tut gut daran, sich darauf einzustellen.  

Eigentlich ist der Umgang mit Asylbewerbern in der Europäischen Union klar geregelt. Nach den sogenannten Dublin-Regeln muss sich der Staat um die Menschen kümmern, wo diese zum ersten Mal den Boden der EU betraten. Das sind aus geographischen Gründen vor allem Griechenland und Italien. Spätestens seit den Jahren 2015 und 2016 mit sehr hohen Flüchtlingszahlen scheint das System unhaltbar. "Das aktuelle europäische Asylsystem funktioniert nicht mehr und kann auch nicht durch punktuelle Verbesserungen repariert werden. Wir brauchen dringend einen echten Neustart", sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums vor wenigen Tagen.

Knackpunkt Flüchtlingsverteilung

Schon seit Jahren tritt das Hauptaufnahmeland Deutschland für eine Asylreform ein. Ziel war vor allem eine gerechtere Verteilung von Flüchtlingen auf alle EU-Länder. Die Kommission legte im Sommer 2016 ein Reformpaket dazu vor. Doch die Idee scheiterte immer wieder am massiven Widerstand einiger Staaten, die auf keinen Fall Flüchtlinge aufnehmen wollten, allen voran die sogenannten Visegrad-Staaten Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei.

Jetzt, während der deutschen Ratspräsidentschaft, will Berlin einen neuen Anlauf unternehmen. Und Flüchtlings- und Migrantenorganisationen ermutigen die Regierung dazu, zum Beispiel der Bundeszuwanderungs- und -integrationsrat: "Wir rufen die Bundesregierung dazu auf, die Ratspräsidentschaft dafür zu nutzen, dass in der EU endlich gemeinsam Verantwortung für Geflüchtete übernommen wird", erklärte der Vorsitzende Memet Kilic anlässlich des Weltflüchtlingstags am 20. Juni.

Pro Asyl: keine fairen Verfahren

Der wichtigste Reformvorschlag von Innenminister Horst Seehofer gefällt diesen Organisationen allerdings überhaupt nicht. Denn Seehofer setzt zunächst einmal auf Abwehr: Mit Asylzentren und einer Vorprüfung an den EU-Außengrenzen sollen nur noch diejenigen nach Europa hereinkommen, die eine Chance auf Asyl haben. Die anderen sollen gleich abgewiesen und nur die anerkannten dann verteilt werden. "Wir sind bereit, Schutzbedürftige aufzunehmen", so Seehofer vergangene Woche, "aber der Rechtsstaat muss sich auch durchsetzen, dass die Personen, die nicht schutzbedürftig sind, wieder in ihre Herkunftsländer zurückkommen." Der CDU-Innenpolitiker Patrick Sensburg sagte der Deutschen Welle, diese Vorprüfung sei wichtig, "um dem Pull-Effekt illegaler Zuwanderung entgegenzuwirken".

Wiebke Judith von der Organisation Pro Asyl glaubt jedoch, so würden "faire Verfahren" verhindert. Der Deutschen Welle sagte sie, eine Prüfung der Fluchtgründe an den Außengrenzen wäre "in der Praxis so umfassend und umfangreich, dass große Lager und lange Haftzeiten unvermeidbar sind." Sie weist auf die Tragweite der Prüfung für den Einzelnen hin: "Im Asylverfahren wird entschieden, ob eine Person als verfolgt anerkannt wird und Schutz bekommt. Damit wird über existentielle Fragen entschieden, die für die betroffenen Personen sogar den Unterschied von Leben und Tod bedeuten können." Die Antragsteller brauchten ein Verfahren, "das ihnen ermöglicht, ihre Verfolgungsgründe umfassend darzulegen und in dem diese auch entsprechend berücksichtigt werden." In Seehofers Plan sieht sie das nicht gewährleistet.

Setzt auf Asylzentren an den EU-Außengrenzen: Bundesinnenminister Horst SeehoferBild: picture-alliance/AP Photo/M: Schreiber

Das sieht Patrick Sensburg von der CDU anders: "Natürlich muss jeder Einzelfall genau geprüft werden. Pushbacks darf es nicht geben. Die Menschen haben ein Recht auf Asyl. Ich finde es aber besser, wenn es auf eine sichere Art und Weise passiert und die Menschen nicht auf Schmuggler angewiesen sind und dabei im Extremfall ihr Leben riskieren." Sensburg vermutet bei Pro Asyl das Ziel, "dass auch Menschen ohne Asylrecht in die EU und nach Deutschland kommen sollen, da man dann für ihren Verbleib kämpfen kann. Das ist aber nicht Sinn und Zweck des Asylrechts."

SPD nicht grundsätzlich dagegen

Sogar innerhalb der großen Koalition aus Union und SPD sind Seehofers Pläne umstritten. Lars Castellucci, der migrationspolitische Sprecher der Sozialdemokraten, lehnt sie als "abgeschwächte Asylverfahren" ab.

Die SPD-Innenpolitikerin Ute Vogt ist nicht grundsätzlich gegen eine Vorprüfung: "Es kommt dabei ganz stark darauf an, was genau unter Vorprüfungen zu verstehen ist. Es spricht grundsätzlich nichts gegen schnelle Asylerfahren in gemeinsamen europäischen Asylzentren für bestimmte Gruppen Geflüchteter, zum Beispiel für Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten oder für diejenigen, über deren Anträge schnell und unkompliziert entschieden werden kann", sagte sie gegenüber DW. "Was wir ablehnen, sind Vorprüfungen vor oder an den EU-Außengrenzen, die das Recht auf Asyl unterlaufen." 

Visegrad-Staaten unnachgiebig

Das entscheidende Hindernis einer Reform ist aber nicht der Streit in der Berliner Koalition oder Kritik von Hilfsorganisationen, sondern der Widerstand anderer Regierungen: Die Mitgliedsstaaten des östlichen Europa wollen am liebsten gar keine Migranten mehr ins Land lassen, ob mit oder ohne Asylgrund.

Patrick Sensburg von der CDU fordert, "dass sich alle EU-Staaten an der Aufnahme von Migranten beteiligen". Weder Druck noch gutes Zureden haben aber bisher geholfen. Eine Zeitlang haben die EU und Deutschland gedroht, ihnen die EU-Finanzmittel zu kürzen. Aber inzwischen hat sich überall die Bereitschaft durchgesetzt, dass sich aufnahmeunwillige Länder mit Geld quasi von einer Aufnahmepflicht freikaufen können.

Die Willkommenskultur von 2015 ist längst vorbeiBild: picture-alliance/dpa/A. Gebert

Das sieht auch Ute Vogt von der SPD so: "Mit Zwang ist nicht viel zu erreichen. Wir setzen lieber auf ein arbeitsteiliges Modell innerhalb der gemeinsamen Asylpolitik (…) Wenn Mitgliedsstaaten sich nicht an einem Verteilungssystem beteiligen wollen, heißt das nicht, dass sie aus ihrer Verantwortung entlassen werden." Denkbar sei ein finanzieller oder personeller Ausgleich. Man solle Geschichte, Stärken und Schwächen und Interessen der unterschiedlichen Partner berücksichtigen.

Diese Idee dürfte die Bundesregierung erneut in die Diskussion einbringen, außerdem den Vorschlag, dass Entwicklungsländer mehr Geld von der EU bekommen, wenn sie ihre abgelehnten Staatsbürger zurücknehmen und deren Perspektiven zuhause verbessern. Sensburg hält es in der Diskussion für wichtig, dass die "Aufnahmekapazität Europas" berücksichtigt wird, um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhalten.

Corona überlagert alles andere

Seehofer weiß um die Widerstände gegen eine Asylreform in Europa, besonders bei der Frage der Flüchtlingsverteilung. Die Skeptiker hofft er offenbar mit diesem Argument zu überzeugen: Wenn Asyl-Vorprüfungen an den europäischen Außengrenzen eingeführt werden und es EU-Rückführungsabkommen mit Herkunftsländern gibt, wird die Zahl derer deutlich sinken, die überhaupt nach Europa kommen, und dann müssten auch weniger verteilt werden.

Doch zunächst ist die EU-Kommission am Zug, Vorschläge zu machen. Die haben sich wegen der Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen und das Corona-Konjunkturpaket stark verzögert. 

Allen Beteiligten ist klar, dass die Bewältigung der Pandemie die meisten Kräfte der deutschen Ratspräsidentschaft binden wird. "Das ist nicht die Präsidentschaft, auf die wir uns jahrelang vorbereitet haben", so der deutsche EU-Botschafter Michael Clauß diese Woche in Brüssel. Er glaube nicht, dass Deutschland in seiner Präsidentschaft beim Asylthema einen Durchbruch erzielen werde, nicht nur wegen Corona, sondern auch wegen der harten Widerstände gegen eine Asylreform: "Dazu sind die Leute noch zu sehr in ihren Gräben."

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