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Berlin: Wirklich ein Hotspot für Startups?

7. September 2017

Berlin ist nicht mehr "arm, aber sexy" sondern einfach nur "sexy". Wenigstens für die internationale Startup-Szene. Die findet in Berlin immer noch gute Bedingungen vor.

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Bild: Fotolia/Marco2811

Johannes Reck musste nicht lange überlegen, als es um den Umzug aus der Schweizer Bankenmetropole Zürich nach Berlin ging. 2011 musste die Plattform "GetYourGuide", mit der man Tickets für Touristenattraktionen buchen kann und die er mit gegründet hatte, wachsen. Und dafür war Zürich zu teuer . "Wir waren nur ein paar Studenten in einer Garage und mussten irgendwohin, wo wir uns das Leben leisten und wo wir auch Leute anstellen konnten."

Heute ist Reck CEO einer Firma, für die 400 Menschen in zehn Städten weltweit arbeiten. Dazu gehört immer noch Zürich, aber das Herz der Firma schlägt in Berlin. Denn die Stadt, sagt Reck, ziehe "viele Arbeitskräfte an". 

Während in London und Frankfurt der Tech-Sektor weitgehend auf Finanzdienstleistungen fokussiert ist und hochspezialisierte Mitarbeiter anzieht, ist Berlin zu einer preiswerten Alternative für die geworden, die auf anderen Feldern experimentieren wollen. Digitale Lösungen für das Einkaufen, für Medien und Lieferdienste sind typisch für Berlin.

Johannes Reck findet, das man das "arm" aus dem Wowereit-Spruch "Berlin ist arm aber sexy" getrost streichen könne.Bild: DW/W. Glucroft

Berlin ist halt billig

Hier könne man, schwärmt Reck, für weniger Geld besser leben. Der berühmt gewordene Spruch des ehemaligen Bürgermeisters Klaus Wowereit, nach dem Berlin "arm, aber sexy" sei, sei überholt: "Das "arm" können sie streichen."

Das stimmt in gewisser Weise. Berlin hatte, so die Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK), in den Jahren 2013 und 2014 signifikant zur Steigerung des deutschen Bruttoinlandsproduktes beigetragen, die Steuereinnahmen stiegen.

Offiziellen Zahlen zufolge steigen die Einkommen und die Arbeitslosigkeit sinkt. Eva Glanzer, im Vorstand von GetYourGuide als Vize-Präsidentin für Personal zuständig, erzählt, dass sie "viel Zeit dafür aufwendet, Job-Kandidaten die Zahlen und die Größenverhältnisse zu erklären. Denn wenn man San Francisco, London oder Stockholm mit Berlin vergleicht, sieht man schnell, dass Berlin einen hohen Lebensstandard bietet."

Die Stadt muss noch viel aufholen

Natürlich hinkt Berlin den deutschen Standards hinterher. Die IHK-Daten zeigen, dass zwar das verfügbare Einkommen Berliner Haushalte 2013 in absoluten Zahlen gestiegen, tatsächlich aber - im Vergleich zum Bundesdurchschnitt - gesunken sei. Bei den Direktinvestitionen ausländischer Kapitalgeber lag Berlin im Jahr 2013 bundesweit auf dem fünften Platz mit einem Investitionsvolumen von 22,6 Milliarden Euro. Einen Platz hinter Hamburg. Die Hafenstadt, wie Berlin ein deutscher Stadtstaat, zog im selben Jahr 35 Milliarden Euro an.

Das Wachstum Berlins ist außerdem jüngeren Datums. Weil aber Geld über die Zeit immer mehr Geld anzieht, wird daher die Berliner Aufholjagd zu einem schwierigen Unterfangen. Westdeutsche Städte wie Düsseldorf oder München haben jahrzehntelange Erfahrungen mit Neugründungen und mit wachsenden Firmen. Berlin aber war über Jahrzehnte durch die Mauer von der Welt abgeschnitten und viele Firmen sind erst nach Berlin gezogen, als die Mauer 1989 gefallen war.

Das Silicon Valley in Kalifornien: Vorbild, Traum und Sehnssuchtsort der Tech- und StartupkulturBild: Reuters/N. Berger

Startups und deutsche Mittelstandskultur

"Wir tun manchmal so, als seien die Startups eine total neue Sache", sagt Cem Özdemir, Spitzenkandidat der Partei Die Grünen im Bundestagswahlkampf, als er am Rande einer Startup-Veranstaltung in Berlin mit DW über Deutschlands Digital-Wirtschaft sprach. "Dabei haben wir mit dem deutschen Mittelstand schon so viele kleine und mittlere "Startups" auf den Weg gebracht." Manche dieser Firmen sind inzwischen mehr als 100 Jahre alt.

Einige dieser ehemaligen "Startups" treiben jetzt nicht nur Deutschlands Wirtschaft an, sie fördern inzwischen selbst wieder andere Startups. Axel Springer, der Berliner Medien-Gigant brachte 2013 den "Plug and Play Accelerator" in Berlin an den Start. In diesem Jahr gründete Siemens gemeinsam mit der Berliner School of Economics and Law den "Startup Incubator Berlin".

Im Forschungsbereich arbeitet das Institute for Internet and Society seit 2012 an der Alexander-von-Humboldt-Universität und seit 2016 will das Einstein Center Digital Future für 50 Professorenstellen im Bereich Digitalisierung sorgen.

Diese Beispiele zeugen von Berlins Bemühen, noch mehr Jobs in der Digitalwirtschaft zu schaffen. Der gegenwärtige Startup-Boom wird ermöglicht durch niedrige Mieten, niedrige Löhne und einen "Brain-Import". Da aber die Kosten steigen, muss die Stadt für eine eigene Infrastruktur sorgen, um ihrem Ruf als Boom-Town weiter gerecht werden zu können.

Eine "irgendwie blöde Situation": David Carter würde sich selbst heute eher nicht einstellen.Bild: DW/W. Glucroft

Wer wächst, hat andere Ansprüche

"Es gibt viele Dinge, die man braucht, wenn man die Schwellen von 10, 50 oder 100 Mitarbeitern erreicht. Dinge, die man nicht braucht, wenn die Firma kleiner ist", sagt David Carter, ein Entwickler der Marketing-Plattform "Uberall".

Zum Beispiel Leute, die sich um die Finanzen kümmern oder dafür sorgen, dass die Rechnungen geschrieben werden. Das sind Elemente, die für ein Startup am Anfang noch nicht wichtig sind und es betrifft Arbeiten, die eine spezielle Ausbildung erfordern. "Die Qualität der Bewerbungen, die in Frage kommen, sind allgemein niedriger als wir es uns wünschen", sagt Carter.

Coding Bootcamps  sind inzwischen zu einem populären Angebot geworden. Das sind kurze und intensive Programme, um Menschen ohne technischem Hintergrund eine Art Grundausbildung zu ermöglichen.

Carter selbst, der in den USA spanische Literatur studiert hat, ist auf diesem Weg zu einem Job im Tech-Startup-Business gekommen. Das hatte gereicht, um ihm vor ein paar Jahren einen Einsteiger-Job zu verschaffen, von dem er sich inzwischen empor gearbeitet hat.

Doch das Umfeld verändert sich. "Das, was man tut, wenn man gerade am Anfang ist, ist etwas ganz anderes als das, was wir nun, vier Jahre später und mit vielen Angestellten, machen", sagt Carter. "Ich hätte mich selbst vor vier Jahren wahrscheinlich gar nicht eingestellt. Das ist jetzt irgendwie eine ziemlich blöde Situation."
 

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