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Berlinale zeigt "Elser" von Oliver Hirschbiegel

Jochen Kürten12. Februar 2015

Bei der Berlinale steht die Weltpremiere von "Elser" auf dem Programm - die Geschichte des gescheiterten Hitler-Attentats von 1939. Doch was hat "Elser" mit Edward Snowden und dem Ukraine-Konflikt zu tun?

Elser Film Still
Bild: Lucky Bird Pictures, Bernd Schuller

Filme über historisch verbürgte Geschehnisse erzählen im günstigsten Fall immer zwei Geschichten: die des tatsächlichen Ereignisses und - auf einer zweiten Ebene - etwas über unsere heutige Zeit. "Elser" von Regisseur Oliver Hirschbiegel, der jetzt im Rahmen der 65. Berliner Filmfestspiele uraufgeführt wurde, ist so ein Film. Er blickt zurück auf das gescheiterte Münchner Attentat auf Adolf Hitler vom November 1939. Gleichzeitig, so zumindest die Intention von Regie und Drehbuch, soll "Elser" an die Zuschauer von heute appellieren, Mut zu zeigen und Stellung zu beziehen.

"Wir brauchen einen Wertekompass"

"Heutzutage droht die Grenze zwischen Freiheitskämpfern und Terroristen mehr und mehr zu verschwimmen", sagt Fred Breinersdorfer, der zusammen mit seiner Tochter Léonie-Claire das Drehbuch zum Film geschrieben hat: "Die Ereignisse in der Ukraine oder den arabischen Ländern führen uns drastisch vor Augen, dass wir unbedingt einen Wertekompass brauchen, der uns diese Unterscheidung ermöglicht." Breinersdorfer sieht einen Zusammenhang zwischen den historischen Ereignissen kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs, die der Film "Elser" behandelt, und dem aktuellen Weltgeschehen.

Die Nazis kontrollieren das Leben auch in der deutschen ProvinzBild: Bernd Schuller

Ein mutiger Individualist

Was erzählt uns der Film? Georg Elser, Handwerker aus der schwäbischen Provinz, und freiheitsliebender Individualist, wollte dem fortschreitenden Wahnsinn in Nazi-Deutschland Ende der 1930er Jahre nicht mehr untätig zusehen. Doch politische Parteien und Widerstands-Bewegungen lagen dem stillen Elser fern. Irgendwann reifte in ihm allerdings die Idee, sich an entscheidender Stelle zu Wehr setzen zu müssen. Der handwerklich begabte Tüftler baute eine Bombe, die er dann in nächtelanger Arbeit dicht über dem Redner-Pult im Münchner Bürgerbräukeller platzierte. Dort sollte Adolf Hitler am 8. November eine groß angekündigte Rede an die Deutschen halten.

Die Bombe explodierte tatsächlich - Hitler hatte den Saal allerdings 13 Minuten vor der Detonation verlassen. Acht Menschen wurden in den Tod gerissen, der "Führer" kam mit dem Leben davon, das politische Attentat, das möglicherweise den Lauf der Welt hätte verändern können, war gescheitert. Georg Elser wurde kurz darauf festgenommen, anschließend gefoltert und verhört, Jahre später, unmittelbar vor Kriegsende wird er dann noch von den Nazis exekutiert. Obwohl damals schnell klar war, dass Elser der Bombenleger war, wollten die braunen Machthaber nicht wahrhaben, dass es sich bei ihm tatsächlich um einen Einzeltäter handelt.

Oliver HirschbiegelBild: picture-alliance/dpa/L. Schulze

Nationalsozialismus in deutscher Provinz

Der Film von Oliver Hirschbiegel zeigt diese quälenden Verhöre, zeigt, wie standhaft Georg Elser bleibt, wie er selbst unter schwerster Folter an der Wahrheit festhält. Eine Wahrheit, die die Nationalsozialisten freilich nicht akzeptieren können: dass es ein Einzeltäter tatsächlich fast geschafft hätte Adolf Hitler zu töten. Zwischendurch blendet der Film immer wieder zurück in die schwäbische Heimat Georg Elsers, erzählt vom langsamen Hineinsickern des nationalsozialistischen Gedankenguts in die deutschen Provinz, zeigt wie fast alle mitgerissen werden vom nationalsozialistischen Wahn und die wenigen, die sich offen wehren, in Arbeitslager verschleppt werden.

Was hat Oliver Hirschbiegel, der vor Jahren mit "Der Untergang", dem Film über die letzten Tage Adolf Hitlers, einen Welterfolg und eine Oscarnominierung feiern konnte, an dem Stoff fasziniert? "Seine Hellsichtigkeit", gibt der Regisseur zu Protokoll: "Elser ist ja kein politisch organisierter Mensch, sondern einfach ein Freigeist, der an Individualität und Selbstbestimmung glaubt." Elser habe damals eine "Energie gespürt, die er als zerstörerisch ansieht - ein System, das alles kontrolliert, an Gewalt glaubt und jede Individualität oder Kreativität unterdrückt."

Elser (Christian Friedel, M.) wird von den Verhörbeamten in die Zange genommenBild: Bernd Schuller

Keine Spannungsdramaturgie à la Hollywood

Und dass es ja bereits zwei Verfilmungen des "Falles Georg Elser" gegeben habe, eine TV-Verfilmung aus den '60er Jahren und zuletzt die von und mit Klaus-Maria Brandauer 1989 - warum jetzt also eine dritte? In dem ersten Film habe noch die Auffassung in Deutschland geherrscht, Georg Elser sei ein tumber Eigenbrötler gewesen, Brandauer habe später einen klassischen Spannungsfilm à la Hollywood gedreht. Genau das aber habe er vermeiden wollen. Ihn habe vielmehr interessiert, "dass hier die Spannung über die Psychologie erzeugt wird, über die Situation, in die ein ganzes Volk gerät."

Der Zuschauer erlebt das gescheiterte Attentat und die Verhaftung Elsers direkt zu Beginn. Was dann folgt, sind - in Rückblenden - Antworten auf die Frage, wie es so weit hat kommen können in Deutschland. Und - in den Verhörszenen - der Blick auf die Nazis, die schier daran verzweifeln, dass hier ein Einzelner die oberste Führung beinahe im Alleingang hätte zu Fall bringen können. Lange habe es in Deutschland diverse Verschwörungstheorien gegeben, sagt Hirschbiegel: "Es wurde behauptet, Elser wäre ein Handlanger der feindlichen Geheimdienste und insofern ein Verräter am eigenen Volk gewesen oder von den Nazis dazu beauftragt worden, den Anschlag zu verüben, damit man Hitler als unsterblich feiern konnte."

Bei der Vorbereitung des Attentats im Münchner Brauhaus: Christian Friedel als Georg ElserBild: Bernd Schuller

Vom Umgang mit Geschichte

Diese Theorien hätten sich in verschiedenen Variationen hartnäckig gehalten und seien erst in jüngster Zeit eindeutig widerlegt worden. "Zum anderen kommt hinzu: Dass so ein kleiner Handwerker aus dem Schwabenland als einziger erkennt, was in Deutschland passiert, und etwas dagegen unternimmt - das ist beschämend." Das habe damals "den Reflex ausgelöst, diese Geschichte unter den Tisch zu kehren."

Hirschbiegel und seine Drehbuchautoren wollen mit dem jetzt bei der Berlinale aufgeführten Film zeigen, wie es damals wirklich zugegangen ist - abseits aller Formen des üblichen Spannungskinos. Dabei ist "Elser" kein dokumentarisch oder essayistisch anmutender Film, sondern ein solides und handwerklich gut gemachtes Stück Kino über eine bemerkenswerte Episode deutschen Widerstandes.

Oliver Hirschbiegel und sein Team bei der BerlinaleBild: AFP/Getty Images/O. Andersen

Parallelen zum heutigen Weltgeschehen

Und was hat "Elser" nun mit Edward Snowden zu tun? Was hat dieser Film über einen einsamen Hitler-Attentäter überhaupt mit uns heute zu tun? Die entscheidende Antwort liegt im Begriff der "Zivilcourage" sagt Hirschbiegel: "Wann kommt der Punkt, an dem man sagt: 'Da mache ich nicht mehr mit, das kann ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren?'"

Natürlich will Hirschbiegel Nazi-Deutschland nicht mit den USA vergleichen. Er habe während der Vorbereitungen zum Film aber sofort an Edward Snowden denken müssen: "Der hat auch über Jahre hinweg gesehen, was da in einem vorgeblich demokratischen System passiert; es hat ihm keine Ruhe gelassen, bis er ausgestiegen ist und seine Informationen an die Öffentlichkeit weitergeleitet hat - obwohl er wusste, dass sein bisheriges Leben damit ein für alle Mal vorbei sein würde. Was diesen inneren Drang betrifft, ist Snowden, dieser hoch intelligente und differenzierte Mann, dem Elser sehr verwandt."

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