Die Preisträgerinnen und Preisträger standen schon fest, jetzt konnten sie ihre Goldenen und Silbernen Bären in Empfang nehmen.
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Die 71. Filmfestspiele von Berlin laufen anders ab als alle vor ihr. Es gab die Berlinale schon im Sommer und auch mit eisglatten Gehwegen im Winter, sie hat für Skandale gesorgt und für große Emotionen. Eines war dabei aber immer irgendwie selbstverständlich: dass es sie gab, dass sie neue Filme präsentierte und Publikum im Kinosaal saß.
Diese einstigen Selbstverständlichkeiten standen 2021 lange auf der Kippe. Erst spät fiel die Entscheidung, die Berlinale in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie zu teilen: in einen digitalen Teil für Branche und Presse und ein Summer Special, das dank niedriger Infektionszahlen aktuell und noch bis zum 20. Juni vor Zuschauerinnen und Zuschauern stattfinden kann.
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Schmucklose Bekanntgabe
Normalerweise ist die Preisverleihung der Internationalen Filmfestspiele für Kritik und Filmfans der Höhepunkt: Bekommt der eigene Favorit einen Bären? In diesem Jahr war auch hier alles anders. Vielfach kritisiert wurde, dass zum Ende des ersten Berlinale-Teils bereits die Gewinnerinnen und Gewinner des Goldenen und der Silbernen Bären gewählt wurden. Recht schmucklos erfolgte die Bekanntgabe im März digital, nicht mal die Ausgezeichneten selbst waren zugeschaltet.
Den festlichen Rahmen holte die Berlinale nun an diesem Sonntagabend (13. Juni 2021) nach, als die prämierten Filmschaffenden auf der Bühne des eigens für das Summer Special eingerichteten Freiluftkinos auf der Berliner Museumsinsel die Bären überreicht bekamen.
Russland lehnt Bären-Gewinner ab
Wirklich überraschen konnte die Preisverleihung also nicht, als der rumänische Regisseur Radu Jude - 2015 bereits mit dem Silbernen Bären für die beste Regie ausgezeichnet - den Goldenen Bären für die umstrittene Satire "Bad Luck Banging or Loony Porn" annahm.
In seinem Film dreht eine Lehrerin - gleich zu Beginn sehr detailliert inszeniert - ein privates Sextape, das bald darauf in ihrer Schule die Runde macht und die Moralapostel auf den Plan ruft.
Wie sehr der Filmemacher damit die Geschmacksgrenzen ausreizt, zeigt eine aktuelle Reaktion aus Russland. Das russische Kulturministerium kündigte jüngst an, dass "Bad Luck Banging or Loony Porn" keine Vertriebslizenz erhalten werde, weil der Film gegen das Pornografiegesetz verstoße.
Berlinale 2021: Die Gewinner der Goldenen und Silbernen Bären
15 Filme gingen im Wettbewerb der 71. Berlinale ins Rennen um die Bären. Die ausgezeichneten Filme könnten unterschiedlicher kaum sein.
Bild: Christine Fenzl
Goldener Bär für "Bad Luck Banging or Loony Porn"
"Bad Luck Banging or Loony Porn" beginnt drastisch: Eine Lehrerin dreht ein Sextape, das bald darauf in ihrer Schule die Runde macht und die Moralapostel auf den Plan ruft. Der rumänische Regisseur Radu Jude (2015 Silberner Bär für die beste Regie) mischt seine Geschichte mit statischen Bildern wie in einer Videoinstallation - und wird mit dem Goldenen Bären belohnt.
Bild: Silviu Ghetie/Micro Film 2021
Silberner Bär: Großer Preis der Jury
Als Hommage an die Frauen versteht Ryusuke Hamaguchi seinen Film "Wheel of Fortune and Fantasy", den er in drei Akten erzählt. Dabei inszeniert der japanische Regisseur die Szenen fast ausschließlich innerhalb eines Raumes mit stets nur zwei Darstellerinnen und Darstellern. Für die tiefgründigen Dialoge zeichnete ihn die Berlinale-Jury mit dem Großen Preis aus.
Bild: 2021 Neopa/Fictive
Silberner Bär: Beste Regie
Die Kurzfilme und Dokumentationen des ungarische Regisseurs und Drehbuchautors Dénes Nagy sind preisgekrönt. Mit "Natural Light" stellte er auf der Berlinale sein Spielfilmdebüt vor: Er begleitet ungarische Soldaten während des Zweiten Weltkriegs auf der Suche nach Partisanen durch die Sowjetunion und schildert ihre moralischen Abgründe. Von der Regiearbeit war die Jury besonders beeindruckt.
Bild: Tamás Dobos
Silberner Bär: Preis der Jury für Langzeitdoku
Mit ihrer Langzeitdokumentation "Herr Bachmann und seine Klasse" gewann Regisseurin Maria Speth den Preis der Jury. Speth begleitet an einer Schule in Hessen den Lehrer Dieter Bachmann, dessen 12- bis 14-jährige Schülerinnen und Schüler zum Teil noch kein Deutsch sprechen. Mit Geduld und Empathie hilft Bachmann den Kindern bei der Integration und beweist, wie wichtig Bildung ist.
Bild: Madonnen Film
Silberner Bär: Beste Hauptrolle
Was ist Glück und was braucht man, um glücklich zu sein? Können künstliche Intelligenz und Roboter dazu beitragen? Maren Eggert ist in der Hauptrolle von Maria Schraders "Ich bin dein Mensch" skeptisch. Während des Films öffnet sich ihre Figur Alma allmählich und schüchtern ihren Sehnsüchten. Maren Eggert überzeugte die Jury als beste Schauspielerin in einer Hauptrolle.
Bild: Christine Fenzl
Silberner Bär: Beste Nebenrolle
Für den ungarischen Episodenfilm "Forest - I See You Everywhere" standen Regisseur Bence Fliegauf kaum finanzielle Mittel zur Verfügung. Die Besetzung besteht deshalb neben professionellen Schauspielern aus Laiendarstellern. Auch Lilla Kizlinger gibt hier ihr Filmdebüt - und wird sogleich mit dem Silbernen Bären für die Beste Schauspielerische Leistung in einer Nebenrolle gewürdigt.
Bild: Akos Nyoszoli and Matyas Gyuricza
Silberner Bär: Bestes Drehbuch
Auch der nur rund einstündige Beitrag "Introduction" des südkoreanischen Regisseurs Hong Sang-soo wird episodisch erzählt. In schwarz-weißen Bildern bei stets trübem Wetter reden die Protagonisten aneinander vorbei und verfallen dabei immer wieder auf belanglose Worthülsen. Hong Sang-soo erhielt 2020 bereits den Regie-Bären, nun zeichnet ihn die Jury für das beste Drehbuch aus.
Bild: Jeonwonsa Film Co.Production
Silberner Bär: Künstlerische Leistung
Alonso Ruizpalacios erhielt 2018 den Silbernen Bären für das beste Drehbuch. Sein aktueller Film "A Cop Movie" ist ein Hybrid aus Dokumentation und Spielfilm. Zwei Schauspielerinnen steigen in Polizeiuniformen und damit auch in die ambivalente Rolle, die die Polizei im Spannungsfeld von Gewalt, Korruption, Kriminalität und Schutzfunktion in Mexiko spielt. Die Jury lobte das "innovative Kinowerk".
Bild: No Ficcion
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Auch Publikum vergibt Preis im Wettbewerb
Maren Eggert, die den Silbernen Bären für die beste Hauptrolle in Maria Schraders Komödie "Ich bin dein Mensch" entgegennahm, sagte kurz und knapp: "Ich bin glücklich." In dem Film spielt sie Alma, die testweise mit einem humanoiden Roboter zusammenlebt, für den sie trotz anfänglicher Skepsis bald Gefühle entwickelt.
Um trotzdem etwas Spannung in den Wettbewerb zu bringen, gibt es in dieser Sparte in diesem Jahr zum ersten Mal einen Publikumspreis. Zuschauerinnen und Zuschauer können bei den Vorführungen per Stimmzettel teilnehmen. Mal sehen, ob sie mit dem Urteil der Jury übereinstimmen oder eigene Favoriten mit einem Bären beehren werden. Der Preis wird zum Ende der Berlinale am 20. Juni vergeben.
Berlinale: Highlights der Dokumentarfilme
Die Berlinale prämiert auch herausragende Dokumentarfilme. Gewinner ist diesmal Alice Diops "We" über Frankreichs Zerrissenheit.
Bild: Avi Mograbi
"We"
Alice Diops Film "We" erhielt den Berlinale Dokumentarfilmpreis - nur drei Monate, nachdem er schon die Sektion "Encounters" angeführt hatte. Diops Film erkundet die Vorstädte rund um Paris und erzählt Geschichten von der Zerrissenheit der französischen Gesellschaft. Die Jury lobte die Filmemacherin für ihre "Neugier auf das menschliche Befinden und ihre nachdenkliche Sprache".
Bild: Sylvain Verdet
"The First 54 Years - An Abbreviated Manual for Military Occupation"
Die Komplexität und Ausweglosigkeit des Nahostkonflikts spiegelt der Beitrag des israelischen Regisseurs Avi Mograbi. Sein Film zeigt die Folgen der Besetzung der palästinensischen Gebiete anhand von Interviews mit Männern, die in den vergangenen 54 Jahren als Soldaten auf der Seite Israels in Gaza und im Westjordanland eingesetzt waren. Der Berlinale-Jury war das eine "Lobende Erwähnung" wert.
Bild: Avi Mograbi
"Herr Bachmann und seine Klasse"
Maria Speths hoffnungsvoller Beitrag zum Thema Schulbildung wurde bereits mit dem Silbernen Bären der Jury ausgezeichnet. Auch wenn er fast vier Stunden dauert, ist der Film ein fesselndes Lernerlebnis: In einer multikulturellen deutschen Stadt leitet Lehrer Dieter Bachmann, 64, eine Gruppe von Schülern aus 12 Nationen.
Bild: Madonnen Film
"Una película de policías"
Die Polizei ist eine der umstrittensten Institutionen in Mexiko. Regisseur Alonso Ruizpalacios erforscht in dieser Netflix-Produktion, was es bedeutet, ein Polizist in Mexiko-Stadt zu sein. Mit einer besonderen Mischung aus Dokumentation und Rollenspielen ist dies aber kein typischer Polizeifilm. Die Berlinale-Jury würdigte die außergewöhnliche Schnittarbeit von Yibran Asuad.
Bild: No Ficcion
"Courage"
Der Film von Aliaksei Paluyan erforscht die gesellschaftliche Rolle unabhängiger Künstler im autokratischen Belarus. Er folgt dem Schicksal von drei Schauspielern des Free Belarus Theater in Minsk, die an den Massenprotesten nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen 2020 teilnehmen. Der Dokumentarfilm begeisterte auch schon außerhalb der Berlinale auf diversen internationalen Film Festivals.
Bild: Living Pictures Production
"Miguel's War"
In diesem intimen Porträt kombiniert Regisseurin Eliane Raheb Animationen, Interviews und Archivmaterial. Im Mittelpunkt steht Miguel, der 1963 in eine katholische libanesische Familie geboren wurde. Weil das mit seiner Sexualität nicht vereinbar war, floh er vor 37 Jahren nach Spanien. Der Film begleitet ihn bei der Rückkehr in sein Heimatland, wo er die Traumata seiner Vergangenheit seziert.
Bild: ITAR productions
"As I Want"
Eine Kundgebung zum zweiten Jahrestag der ägyptischen Revolution wurde von einer Reihe von gewalttätigen sexuellen Übergriffen überschattet. Frauen reagierten darauf, indem sie auf die Straße gingen. Um sich zu schützen, nahm Samaher Alqadi ihre Kamera mit, als sie sich den Protesten anschloss. So entstand diese eindringliche politische Dokumentation.
Bild: Prophecy Films
"Tina"
Dieser Dokumentarfilm der US-amerikanischen Produktionsfirma HBO gehört zwar nicht zu den Filmen, die für einen Preis bei der Berlinale nominiert sind, sorgt aber dennoch für viel Aufsehen beim Festival: Der Film über das bewegte Leben von Superstar Tina Turner ist im Programm des Berlinale Special zu sehen.
Bild: Rhonda Graam
"A River Runs, Turns, Erases, Replaces"
Der Name Wuhan gilt als Synonym für den Ausbruch des Coronavirus, doch Shengze Zhus Porträt über die Beziehung der Metropole zum Jangtse-Fluss und die Auswirkungen der Industrialisierung handelt nicht von der Pandemie selbst. Dennoch spiegelt sein meditativer Ton die Atmosphäre der Trauer des vergangenen Jahres wider. Der Film wurde mit dem Caligari Filmpreis ausgezeichnet.
Bild: BURN THE FILM
"Dirty Feathers"
Carlos Alfonso Corrals Dokumentarfilm liefert ein unerwartet poetisches Porträt über eine Gemeinschaft obdachloser Menschen an der Grenze zwischen den USA und Mexiko. Die ausgegrenzten Protagonisten des Films fühlen sich vom System im Stich gelassen, ihre Verletzlichkeit wird in dem schwarzweißen Film sinnlich betont. Traumata, Sucht und Polizeigewalt gehören bei ihnen zum Alltag.